Hörbuchkolumne:Orestie bis Psychiatrie

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Frauen von der Antike bis zur Gegenwart erzählen, was sie schwach und was sie stark macht.

Von Florian Welle

Michael Farin ist ein ausgewiesener Kenner des österreichischen Schriftstellers Raoul Schrott. Zuletzt hat der Verleger, Autor und Hörspielregisseur dessen monumentales "Erste Erde Epos" für den Hörfunk gestemmt. Dann adaptierte er für Deutschlandfunk Kultur Schrotts Übertragung der "Orestie" nach Euripides. Dazu hatte der Euripidesʼ Dramen "Elektra" und "Orestes" neu übersetzt und zu einer "zweiten Orestie" neben der des Aischylos zusammengeführt. Das bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzte Hörspiel um Rache und Verfehlung, Recht und Gesetz vor dem Hintergrund des Atridenfluchs ist nun im Hörverlag erschienen (3 CDs, 2 Stunden 55 Minuten).

"Nichts Neues gibt es unterm Himmel - was an Schrecklichem vorstellbar ist." In Elektras Worten konzentriert sich die ganze Zeitlosigkeit des antiken Stücks. Die blutgetränkte "Orestie" hat uns heute noch etwas zu sagen, vor allem in der neuen Übertragung, in die sich schon mal ein Kinderreim wie "Hoppe, hoppe, Reiter" einschleicht, und noch stärker in der verdichteten Hörspielfassung Michael Farins. Man begegnet Figuren, deren Gefühle und Nöte hochmodern sind. Die Frauen, allen voran die elende Elektra, sind wesentlich tougher als die Männer. "Die Helden der Orestie", schreibt Farin dazu im Booklet, "das sind ihre Heldinnen."

Melika Foroutan spricht Elektra und ist dabei ganz ausgezehrtes Leben, Trauer, Hass. Corinna Harfouch als ihre Mutter Klytaimestra kontert mit kalter Schärfe. Ihre Argumente für den Mord an ihrem Gatten Agamemnon, Elektras Vater, sind nicht leicht von der Hand zu weisen: "Über uns zerreißt man sich das Maul, während die Männer, die schuld an allem sind, gut dastehen, sogar noch bewundert werden." Der Komponist Franz Hautzinger hat dazu eine elektronische Klanglandschaft von nervöser Fiebrigkeit geschaffen, in die sich vereinzelt Instrumente verirren, vor allem Trompetenstöße als bedrohliche Taktgeber.

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In ihrem Buch "Herzkraft" erzählt Katharina Hagena vielschichtig, klug und mitunter sehr persönlich über ihre große Leidenschaft: Das Singen, alleine und im Chor. Singen bedeute, "die eigene Stimme zu finden ... Das Gleiche gilt auch für das Schreiben." Für den Arche-Literatur- Verlag hat es die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin mit ihrer angenehmen Lesestimme eingesprochen (1 MP3-CD, ca. 3 Stunden).

In essayistisch kurzweiligen Abschnitten streift sie durch das eigene Leben und die Kulturgeschichte. Sie erzählt, wie ihr Vater, ein Pastorensohn, ständig Choräle anstimmte, wie ihr eine Gesangslehrerin riet, sie müsse mehr mit dem Oberschenkel singen. Als Joyce-Expertin stellt sie klar, dass dessen "Ulysses" viel eher ein Gesangs- als ein Großstadtroman sei. Breiten Raum nehmen die Stimmen der Frauen in Kunst und Mythos ein, Wasserfrauen, Sirenen, Nymphen. Philomela beispielsweise, die Nymphe, an der sich Tereus immer wieder vergreift. Sie schreit, er schneidet ihr die Zunge ab. Später wird sie von Zeus wahlweise in eine Schwalbe oder in eine Nachtigall verwandelt. Statt zu verstummen, tiriliert sie nun: "Und wer singt, gibt den Ton an, wer singt, bestimmt, wer singt, ist nicht zum Schweigen gebracht, wer singt, hat keine Angst, lebt, ist stärker."

Während man zuhört, wünscht man sich, Katharina Hagena einmal singen zu hören. Geht in Erfüllung. Gemeinsam mit Karin Klose stimmt sie das alte, plattdeutsche Liebeslied "Dat du min Leevsten büst" an.

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Noch immer wird über psychische Erkrankungen der Mantel des Schweigens gebreitet. Nicht selten schweigen auch die Betroffenen. Aus Scham! Auf dem im Supposé-Verlag erschienenen Hörbuch "Trotzdem Mutter" ergreifen nun drei Frauen das Wort und erzählen offen aus ihren von Missbrauch, Gewalt, Alkohol, Angst und schwerer Depression geprägten Leben (3 CDs mit Booklet, 202 Minuten).

Es ist eine Produktion, der man so viele Hörerinnen und Hörer wie nur möglich wünscht. Die Lebens- und Leidensgeschichten von Ute, Inge und Ramona, zwischen 40 und 60 Jahre alt, sind schwer auszuhalten. Und haben doch ein Ziel: Mut zu machen. In den Worten von Inge, die die Hälfte ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht hat und der es heute gut geht: "Wenn ich das geschafft hab, dann glaube ich wirklich, dass das ganz viele andere auch schaffen können."

Die Produktionen des Supposé-Verlags macht aus, dass ihre Gäste drauflosreden reden können, ohne dass man sie unterbricht. In früheren Aufnahmen waren es Wissenschaftler, Philosophen, Künstler. Dass hier Menschen aus dem Alltag sprechen, darf man als große Bereicherung ansehen. Ute, Inge und Ramona erzählen beeindruckend gefasst, und immer wieder bricht sich bei den Kämpferinnen ein großartig trockener Humor Bahn.

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