Ungarns Ministerpräsident:Orbán ehrt antisemitischen Schriftsteller

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bricht gerne Tabus. Die umstrittene Ehrung von Kornél Döbrentei gehört dazu. (Foto: dpa)

Der ungarische Ministerpräsident Orbán zeichnet einen Lyriker aus, von dem sich viele aufgrund seiner Äußerungen distanziert haben. Der Fall taugt dem Ministerpräsidenten als politisches Signal.

Von Wilhelm Droste

Der März ist in Ungarn der Monat staatlicher Auszeichnungen. Vor dem Nationalfeiertag, dem 15. März, der an den Ausbruch der Revolution 1848 für ein von den Habsburgern unabhängiges, souveränes Ungarn erinnert, werden zahlreiche Preise verliehen. Seit 1996 auch Lorbeerkränze der Republik Ungarn, so hießen sie ursprünglich, die Auszeichnungen für besondere literarische Leistungen. Der von Ministerpräsident Viktor Orbán nicht geliebte Begriff "Republik" wurde 2011 aus dem Namen gestrichen. Wer die Liste der Preisträger studiert, spürt das politische Gewicht dieser Umbenennung an den Ausgezeichneten: Die Republikaner werden eher weniger, die Nationalisten eher mehr.

Der soeben geehrte Kornél Döbrentei ist eine wahrscheinlich ganz bewusst kalkulierte politische Provokation. Orbán selbst, so berichten die ungarischen Medien, hat diesen Lyriker und Publizisten auszeichnen lassen, der 2004 den Schriftstellerverband zur Spaltung brachte. Nach einer antisemitischen Rede Döbrenteis wollten international bekannte ungarische Autoren nicht mehr einem Verband angehören, der eine solche Gesinnung im Führungsgremium duldet. Spätestens seit dieser Rede ist Döbrentei als Lyriker und Essayist kaum noch gefragt. Für viele ist er ein rotes Tuch, für eine Minderheit ein christlich nationaler Märtyrer im Kampf gegen den kosmopolitisch verseuchten Weltgeist.

Der Preis gilt nicht der literarischen Leistung, sondern dem Potenzial als Skandalfigur

Die Mehrheit der Preisträger wird ihren Lorbeerkranz nun ratlos und unglücklich anschauen. Er verbindet sie jetzt erneut mit einem, den sie meiden. In Ungarn schwinden Tag für Tag die letzten Refugien, die von einer geltungssüchtigen Politik bislang verschont geblieben sind.

Viktor Orbán weiß genau, warum er gerade jetzt Döbrentei ins Spiel bringt, da er gegenüber der EU ein wenig zurücksteckt, eigene Plakate überklebt, vorsichtige Gesprächsbereitschaft antäuscht. Mit dieser Lorbeerverleihung macht er seinen Anhängern deutlich, dass er sich auch weiterhin konsequent und rücksichtslos auf der Tabugrenze bewegen wird, heute einen Schritt darüber hinaus, morgen einen halben zurück. So kommt der Autokrat in Ungarn erfolgreich voran.

Und wieder geht es nicht um Literatur. Der 72 Jahre alte Lyriker Döbrentei ist fast zu bedauern, weil er auch jetzt nicht gelesen, sondern lediglich als politisches Signal benutzt wird. Der Preis gilt nicht seiner literarischen Leistung, sondern seinem Potenzial als Skandalfigur. Er selbst wird sich noch tiefer hineinsteigern in die Rolle des letzten Soldaten der wahren ungarischen Werte, von aller Welt verkannt, von Gott berufen und beflügelt. Wo immer er auftritt, spricht er sich in Rage, laut, leidenschaftlich und heftig. Ihm muss allerdings zu Gute gehalten werden, dass er mit ganzer Seele tatsächlich glaubt, was er sagt. Damit halten es andere nicht so genau.

Es ließe sich wieder von Kulturkampf sprechen in einem Land, das seine Akademie der Wissenschaften zerlegt, die beste Universität aus dem Land jagt und unabhängigem Theater die Existenzbasis entzieht. In einem echten Kulturkampf aber stünden sich miteinander rivalisierende Kulturen gegenüber. Doch in Ungarn wird Kultur lediglich missbraucht, vertrieben und vernichtet. Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Noch gibt es Kultur im Land, die das verhindern kann.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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