Süddeutsche Zeitung

Opernwerkstatt:Schneeflöckchen, flieg!

"Zeig mir deine Wunder" nach Rimski-Korsakow

Von Egbert Tholl

Wodka gibt's, schließlich ist das hier ja ein Hochzeitsfest oder soll zumindest eines werden, und russisch geht es auch zu, da wird zweifelsohne getrunken. Emsig laufen lustige Menschen in lustigen Kostümen durchs Publikum, das auf harten Holzbänken wie in einem Zirkus sitzt, und schenken aus. Doch bereits bei der zweiten Runde gibt es Wasser statt Wodka. Das ist symptomatisch.

Franziska Kronfoth und Julia Lwowski sind zusammen das Musiktheaterkollektiv Hauen-und-Stechen; eigentlich gehört da noch der Galerist Thilo Mössner dazu, aber da wir uns in der Reithalle und bei den Münchner Opernfestspielen befinden, kommt eine Berliner Galerie nicht zum Zug. Auf jeden Fall ist es so, dass man bei den beiden Damen gut fündig wird, wenn man einen maximal ungewöhnlichen Zugriff auf Opernwerke sucht. Da war vermutlich auch die Bayerische Staatsoper verdutzt, obwohl ja die Opernwerkstatt, die die beiden mit "Zeig mir deine Wunder" eröffneten, der Ort des Experiments ist.

Kronfoth und Lwowski zerlegen die Märchenoper "Snegurotschka" (Schneeflöckchen) von Rimski-Korsakow in ihre Bestandteile, bauen sie teilweise wieder neu zusammen, werden damit aber nicht so recht fertig. Allerdings dauert dieses Nichtfertigwerden ganz schön lang, gute drei Stunden, wobei man sagen muss, dass Rimski-Korsakow ja auch nicht gerade eine Kurzoper schrieb. Doch die Länge, die das Original vorgibt, korreliert nur quantitativ mit dem Hauen-und-Stechen-Ergebnis, dessen Ereignisdichte sehr unterschiedlich ist. Mal passiert viel, mal nix.

Kronfoth und Lwowski fahren Zirkus und Poesie auf, Wirrwarr und Erhellendes. Performativ aufgeschlossene Darsteller scheuchen das Publikum auf und treffen auf teils verdatterte Mitglieder des Opernstudios und die fabelhaften Kinder der Schule für Chorkunst, eine Kapelle mäandert durch die zusammengeklebt wirkenden Arrangements von Clemens Rynkowski, dazu "Rararasputin" und viel Volksliedton, den es bei Rimski-Korsakow ja auch gibt, hier hört man nun das Derivat des Derivats, respektive die Rückführung der Volksmusik zu ihren Wurzeln, vor allem dank des Akkordeonisten Timofei Satterov und des quasi sprechenden Saxofonisten Andrej Lakisov.

Der Beginn, nachdem man von einer trötenden Prozession in die Reithalle getrieben wurde, ist ein szenisches Gedicht mit Glühwürmchen und einem im Schnee tanzenden Mädchen, schwerelos. Zur Geschichte um dieses Schneeflöckchen, das eine Menschenliebe sucht, kommen postsowjetische und sonstige Spielereien, Polka-Power und Bildpoesie stehen bruchlos nebeneinander. Irgendwann verliert man den Zusammenhang, was anfangs wie eine fast schon naiv-bruchlose Märchen- und Volkserzählung wirkte, wird zur langen Kette von Einzelereignissen, die im Verlauf der letzten 40 Minuten etwa zehn Mal endet, Epilog folgt auf Epilog auf Epilog. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, den beiden unternehmungslustigen Damen eine viel kanonischere Oper in die Hand zu geben, also ein Stück, das erstens von sich aus klarer und vor allem halt sehr bekannt ist, weil dann alle Umstellungen, Erweiterungen, performativen Scherze, Umarrangierungen der Musik und hereingeholten Kommentare deutlich erkennbar wären.

Doch bei aller anarchischen Unfertigkeit entstehen im hingezauberten Licht von Benedikt Zehm immer wieder wunderschöne Bilder. Und über allem fliegt das Schneeflöckchen Anna El-Kashem, eine beeindruckende Verheißung einer großen Sängerin und Darstellerin. Sie singt Arien, in denen die Zeit dann halt doch so stillsteht wie in jeder großen, schönen Oper, und sie spielt eine Sehnsucht und eine Lebensgier, die begeistert.

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Quelle:
SZ vom 28.06.2018
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