Süddeutsche Zeitung

Opernrarität:Die Hexe als Sexbombe

Das Huelgas-Ensemble unter Paul van Nevel entzückt mit einem Werk von Francesca Caccini, der ersten Opernkomponistin der Geschichte, in München.

Von Reinhard J. Brembeck

Fast unbeweglich steht der untersetzte freundliche Mann da, den Blick in die Partitur vergraben, und dirigiert sein kleines Ensemble: vier Blockflötistinnen, drei Miniposaunen, ein Virginal, fünfzehn Sänger und eine Handvoll Streicher, Lirone eingeschlossen. Die Musiker sind streng bei der Sache, sie meiden Exaltation und Expressivität. Paul van Nevel und sein schon 1971 gegründetes, aber sich stets verjüngendes Huelgas Ensemble wirken wie ein aus der Zeit gefallenes Kollektiv, das so gar nichts mit den heute so aufgeregten Musiziergepflogenheiten gerade in der vorklassischen Musik gemeinsam hat. Und doch gelingt es der Truppe mühelos, eineinhalb pausenlose Stunden ohne jede Langeweile verstreichen zu lassen. Hier wird kein pralles Ölgemälde geliefert, sondern eine feine und feinsinnige Rötelzeichnung.

Paul van Nevel, 1946 in Belgien geboren, ist eben ein Alte-Musik-Meister der ganz alten Schule. Er ist also ein Forscher und Wissenschaftler, der sein Wissen zu Musik macht. Er hat sich um Johannes Ciconia, den ersten Meister der nachmittelalterlichen Musik gekümmert, um Chefchromatiker wie Michelangelo Rossi, um Massenstimmenchorstücke der Renaissance, die italienische Lauda, Claude Le Jeune, Richafort und die Geheimnisse des Songs "Malheur me bat". Den meisten Menschen sagen all diese Namen rein gar nichts, obwohl sie einst die Musikwelt erschütterten. Nevel hat aus all diesen Phänomenen immer spannende Projekte gemacht und sie in Aufnahmen dokumentiert, die interessanter und aufschlussreicher sind als jede Musikgeschichte.

Ein besonderes Faible hat der Zigarren- und Fado-Fan van Nevel, der nicht nur in seinen (musik)detektivischen Leidenschaften an Hercule Poirot erinnert, für jenes Florenz, wo im Umkreis der Medici um 1600 die Oper erfunden wurde. Dorthin führt sein neuestes Projekt. Er kamist damit auch in den Münchner Herkulessaal gekommen, und selbst eingefleischte Konzertgänger können sich nicht daran erinnern, dass Nevel überhaupt schon mal in der Stadt war. Auf dem Programm steht die einzige erhaltene (Kurz-)Oper der ersten Opernkomponistin, jener Francesca Caccini, die, vom Vater ausgebildet, eine der am besten bezahlten Musiker(innen) am Medici-Hof war.

"La liberazione di Ruggiero dall'isola d'Alcina" von 1625 erzählt die Geschichte um das verliebte Zauberweib Alcina, das den Ritter Ruggiero in ihre Fänge lockt, aber dann wieder von ihm verlassen wird. Das ist ein immer wieder vertonter Klassiker des Barock, der noch in Wagners "Parsifal" und de Fallas "Atlantida" nachwirkt. Zeigt sich hier die Dialektik von Sein und Schein doch besonders deutlich: Alcina ist eine hässliche Vettel, die sich nur via Zauberschminke auf Sexbombe trimmt. Obwohl auch der Held durch seine hemmungslos ausgelebte Sexsucht desavouiert wird, kann man sich kaum einen frauenfeindlicheren Stoff denken. Es wirkt schon arg ironisch, dass er auch von einer Frau vertont wurde.

Doch Caccini unterläuft wie alle guten Komponisten den Chauvinismus der Vorlage. Ihre Alcina, der Michaela Riener Noblesse und Zurückhaltung verleiht, ist einfach eine liebende Frau, die aus für sie undurchsichtigen Gründen vom Lover sitzen gelassen wird. Deren großes Leid packt Caccini in kleinste Wendungen, die nur ahnen lassen, was in Alcina vorgeht, ohne es deftig dem Publikum um die Ohren zu singen. Ähnlich traumwandlerisch auch der Ruggiero des Achim Schulz und die Melissa der Sabine Lutzenberger, die Alcina dem Helden entfremdet, wartet doch auf ihn eine andere Frau.

Alles gelingt mit leichtem Understatement, alles duftet, und dazwischen gibt der Chor wie in der griechischen Tragödie seine leitartikelnden Kommentare ab. Fast vergisst der Hörer über so viel Musikzauber, dass das einst eine Festoper für einen Staatsbesuch war, die mit irrsinnigem Pomp inszeniert und vertanzt wurde.

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SZ vom 03.02.2016
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