Süddeutsche Zeitung

Opernpasticcio:Hoffnung zwischen Ruinen

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Das Hofspielhaus zeigt "Orfeo" in Zusammenarbeit mit dem Verein "Zuflucht Kultur" unter Mitwirkung von Flüchtlingen aus den Nahen und Mittleren Osten

Von Egbert Tholl

An den Wänden des Hofspielhauses kann man arabische Schriftzeichen lesen, auch englische Sätze wie, frei übersetzt: Wenn deine Religion von dir verlangt, jemanden zu hassen, brauchst du eine neue Religion. Oder gar keine." Ein Graffito zeigt eine sorgsam zerstörte Straße. Ambiente für eine Oper? Es erklingt die Urform aller Ouvertüren, die Toccata von Monteverdis "Orfeo", gespielt von Norbert Groh und Esther Schöpf auf Akkordeon und Geige.

"Orfeo" heißt der Abend und er zersplittert in alle mögliche Richtungen. In der Musik, weil hier Teile aus vier "Orpheus"-Opern vereinigt werden, Haydn, Gluck, Monteverdi und Carl Heinrich Graun. Graun kennt heute kaum noch einer; 1742 jedoch eröffnete seine Oper "Cesare e Cleopatra" die Berliner Linden-Oper. Ein spannender Kerl, wie man nun hört.

Und auch im Inhalt zerbirst die Aufführung. Denn der Mythos vom Sänger, der die Unterwelt zum Weinen bringt, um seine misstrauische und bockige Geliebte Eurydike ins Leben zurückzuholen, wird eingebettet in die Lebensrealität im Nahen Osten: Ein Prophet sitzt am Meer, das rauscht, die Möwen kreischen, er wartet auf ein Schiff, mit dem er die Heimat verlassen will. Der Prophet, Ayden Antanyos aus Mossul, das nicht am Meer liegt, sondern in der irakischen Wüste, erzählt in einem Singsang, dem schwer zu folgen ist, die Geschichte, die man dann gleich sieht, erzählt von Liebe und dem Unglück und dem Bösen. Eurydike wird bei einem tobenden Fest mit arabischer Musik vom IS gestohlen, die Unterwelt, in die sich Orpheus aufmacht, ist die des Terrors, den zwei verkörpern, die vor diesem aus Syrien nach Deutschland geflohen sind, einer rappt arabisch, einer spielt ähnlich Gitarre.

Vielleicht ist Naivität manchmal wohltuend. Die Übertragung eines Urmythos funktioniert ohnehin an allen möglichen Orten. Hier nun also eine Parabel auf Terror, Krieg und Wahn unserer Zeit, erzählt mit der Hilfe des Vereins "Zuflucht Kultur", der schon die "Zaide" in der Alten Messe zeigte oder bei der "Carmen" von Andreas Wiedermann und "opera incognita" mitwirkte. Glückliche Folklore trifft auf Oper trifft auf (vermutlich, man versteht ja nix) hassverzerrten Rap. Und die hinreißenden Schwestern Walla und Wissam Kanaieh künden singend und tanzend vom Zauber des Orients (Regie: Annette Lubosch).

An sich wäre das Opernpasticcio selbst schon disparat genug. Groh am Klavier ist eine Bank, Schöpf an der Geige hat mehr Verve und Euphorie als technisches Vermögen, aber die Haltung zählt. Alle haben Wirkung: Durchgehend fabelhaft singt die leuchtende Schweizer Sopranistin Sela Bieri die Eurydike. Und Cornelia Lanz ist der emotionale Motor des ganzen Projekts. Als Mezzosopranistin singt sie Glucks "Habe sie verloren"-Arie zum Steinerweichen. Das greift ans Herz. Aber Haydns hohe Koloraturen sind für sie ein Abenteuer.

Doch geht es überhaupt darum, eine perfekte Opernaufführung unter schwierigen Bedingungen zu machen? Geht es nicht viel mehr um ein Signal, eine Idee? Zur Ballettmusik rast ein Videobildersturm durch den Raum: Kriege, Nazis, Aleppo. Danach keimt zart ein Pflänzchen Hoffnung.

Orfeo , Hofspielhaus, bis 13. April

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SZ vom 16.03.2018
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