80 Jahre KritikAnalog und wunderbar

Lesezeit: 1 Min.

(Foto: Illustration: Dirk Schmidt/Foto: Niklas Keller)

Mit Stift und Block in die Premiere: Warum die Opern- und Theaterkritiker fast schon selbst zu den Klassikern zählen.

Von Christine Dössel

Kritiken galten einmal als die Königsdisziplin des Feuilletons, vor allem die Theaterkritik. Sogenannte Großkritiker haben sie mit flamboyantem Gestus betrieben. Sie reisten viel, bekamen üppig Platz, wurden von der Leserschaft bewundert. Man denke nur an den großen Joachim Kaiser! Die Bretter, die damals die Welt bedeuteten, führten direkt ins Hochkultur-Ressort. Man teilte eine gewisse Bildungsbürgerlichkeit, die Anmaßung von Deutungshoheit – und eine Relevanz, um die beide Seiten heute ringen.

Als Zögling des SZ-Feuilletons seit den 1990er-Jahren habe ich die goldene Zeit der Kritik, die auch eine Hochzeit des gedruckten Feuilletons war, noch miterlebt. Premieren waren so wichtig wie im Sport die Fußballspiele. Bei Inszenierungen in München gab es sogar eine „Nachtkritik“: erste Eindrücke, die man nach der Vorstellung aufgeregt in die Redaktion durchtelefonierte. Dort wurden sie im Format einer Meldung eingewechselt – und zwar auf Seite eins der Zeitung! Lange her. Die großen Aufführungen und Aufreger spielen sich inzwischen auf digitalen Plattformen ab, wo ein jeder sich selbst inszeniert und andere kommentiert. Ist im Internet nicht jeder User ein Kritiker?

Längst beherrschen (und beleben) andere Formen das Feuilleton – Essays, Themenstücke, Interviews, Porträts. Und doch gibt es sie noch, zumindest bei der SZ: die hauptamtliche Theaterkritik, inzwischen selbst schon ein Klassiker. Sie kostet viel Zeit und Aufwand. Ins Theater muss ich mich hinbegeben, es kommt nicht zu mir nach Hause. Musste ich früher zur Vorbereitung nur Stücke lesen, sind es jetzt oft ganze Romane. Wenn ich dann aber mit Stift und Block und dem gemeinsamen Atem aller in einer Premiere sitze, ist die Erfahrung eine wunderbar analoge und immer wieder beglückende: Theater ist live!

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Jubiläum
:Die SZ wird 80

Zeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Was waren die größten Fehlprognosen in der SZ? Was denkt die älteste Leserin über ihre Zeitung? Und was haben Essiggurken und Demenzuhren mit der Redaktion zu tun? Hier finden Sie alle Stücke zum runden Geburtstag.

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: