Opernfilm: "La Bohème" fürs Kino:Der blühende Tod

Ratatouille-Paris in Wien: Die Oper "La Bohème" wird opulent verfilmt, eine schneewittchensüße Anna Netrebko singt Playback und Rolando Villazón bleibt ewiger Kasperl. Ein Besuch am Set.

Willi Winkler

Wien, wo auch sonst? Paris hätte es auch sein können, die Stadt der Kunst, der legendär brotlosen, der hungerleidenden Boheme. Wien ist sogar noch besser, das dekadente, walzerbeschwingte, todestrunkene Wien, und außerdem kommt die österreichische Filmförderung im Verein mit dem ORF für ein Drittel der Produktionskosten auf.

Opernfilm: "La Bohème" fürs Kino: Ein vertrautes Paar: Anna Netrebko und Rolando Villazón traten schon bei "Wetten dass..." auf, um ihre Sangeskünste unter Beweis zu stellen.

Ein vertrautes Paar: Anna Netrebko und Rolando Villazón traten schon bei "Wetten dass..." auf, um ihre Sangeskünste unter Beweis zu stellen.

(Foto: Foto: ddp)

Geld ist nicht alles, aber es zaubert ein Ratatouille-Paris nach Wien, so lebensecht, wie es auch im 19. Jahrhundert nie war, als Henri Murger in seinem Schmachtfetzen vom Leben der Boheme sich und seine Freunde feierte, woraus bei Giacomo Puccini die immergrüne Repertoire-Oper La Bohème wurde.

Sie kreist und kriselt um die flatterhafte Mimi, die bereits Murger mit inbrünstigen Worten vom wirklichwahren Leben abschilderte: "Junges Blut floss heiß und schnell durch ihre Adern und überzog ihre zarte, kamelienweiße Haut mit einem rosigen Schein. Diese etwas krankhafte Schönheit verführte Rodolfo, und er verbrachte manche Stunde der Nacht damit, die bleiche Stirn seiner schlafenden Geliebten mit Küssen zu bekränzen, während die feuchten, müden Augen hinter den halbgeschlossenen Lidern unter dem Vorhang der prächtigen braunen Haare hervorblitzten." Wenn er dem Luder nur trauen könnte!

Das Luder ist die schöne Anna Netrebko. Umringt von ihren Freunden sitzt sie im Café Momus, sie stoßen mit Champagner an, Musik, groß orchestriert, braust in der Luft, jauchzende Stimmen, aber sie kommen vom Band. Anna Netrebko singt nicht, sondern bewegt nur sacht den Mund, wenn sie alle singen: "E via i pensier, alti i bicchier!"

Echter als die Wirklichkeit

Zusammen mit ihrem Rodolfo Rolando Villazón stellt sie eine Hauptszene der Bohème zu der Musik nach, die im vorigen Jahr in der Münchner Philharmonie aufgenommen wurde. Mit diesem Soundtrack und den beiden Hauptdarstellern auf der Höhe ihres musikalischen Könnens produziert Jan Mojtos Firma Unitel eine Kino-Version der Bohème, für die sich bislang noch gar kein Verleih gefunden hat, die aber auf jeden Fall noch vor Weihnachten ins Kino kommen soll. Fast fünf Millionen Euro kostet die Produktion, und anders als beim Theater wird hier nicht gespart.

In den Rosenhügel-Studios im 23. Bezirk ist Wien Paris und das Pflaster, "das Rodolfo oft genug als Bett gedient hatte", butterweich und eine echte Gefahr für stöckelnde Frauenbeine, wie es sich wellt zwischen Bouquinisten, Obstständen, Putzmacher-Lädchen und Auslagen mit duftenden Pralinées, die jede Brigitte-Diät in Sekunden zunichte machten.

Der Originalabzug eines echt Pariser Pflasters soll es sein, echter als die Wirklichkeit und die angemessene Kulisse für den showdown, zu dem Mimi mit ihren allzu vielen Männern im Café Momus zusammentrifft. Draußen flanieren für einen Tagessatz von dreißig Euro bis zu hundert teuer nach der Mode des französischen Empire eingekleidete Statisten durcheinander. Es geht ihnen aber nicht ums bescheidene Geld, sondern um das Glück, bei der Produktion dabei sein und die Stars aus nächster Nähe betrachten zu dürfen, mit ihnen im Bild zu sein.

Auf der nächsten Seite: Warum Anna Netrebko jederzeit explodieren kann.

Der blühende Tod

Die Pressebetreuerin hatte gewarnt, dass alle Darsteller friedlich und ansprechbar seien, Frau Netrebko aber jederzeit explodieren könne. Sie ist, wie der Weltöffentlichkeit sogleich zu Kund getan ward, im zweiten Monat schwanger, und es hat der Produktion sicherlich nicht geschadet, dass dieser glückliche Umstand am Beginn der Dreharbeiten annonciert wurde.

Zu den Freuden des für Drehberichte wie diesen sorgsam eingebetteten Journalisten gehört es, sich einen heimlichen Augenblick lang tatsächlich auf dem Bett auszustrecken, nicht auf irgendeinem, sondern pfeilgrad jenem, auf dem, keine Woche zuvor, die bleich und grau geschminkte Anna Netrebko einen so schmerzlich frühen Tod gefunden hat.

Kunst eben oder echtes Wien

In Wien ist der Tod traditionell ein vielleicht nicht willkommener, aber recht häufiger Gast. Auch Mayerling ist nicht weit, wo Kronprinz Rudolf 1889 zusammen mit seiner Geliebten Mary Vetsera den Liebestod starb, und warum sollte es der Mimi hier besser ergehen? Allein, diese Mimi strahlt wie das blühende Leben.

Zum Glück ist sie auch nicht tot, sondern sitzt aufrecht in ihrer Sterbekammer, das blühende Leben, die zarte, kamelienweiße Haut mit einem rosigen Schein. Eingerahmt von Regisseur Robert Dornhelm (Krieg und Frieden) und ihrem Sing-Partner Rolando Villazón lächelt sie schneewittchensüß und rosenrot, kennt auch abends nach einem mehr als zehnstündigen Arbeitstag keine Müdigkeit. Sie strahlt die Journalisten an, denen sie ihr großzügiges Dekolleté offeriert und scherzt mit Villazón, der keinen ernsthaften Satz zustandebringt, ohne ihn sogleich zu veralbern.

Dornhelm erläutert sein traditionelles, antibrechtisches Programm mit dem Satz "Wir schließen die vierte Wand" und meint damit, dass er bewusst mit äußerster Künstlichkeit arbeitet, weil Oper nun einmal nichts Realistisches sei. Der Zuschauer soll die Leiden der Boheme und Mimis Sterben am Ende wie in einem Raritätenkasten erleben, Kunst eben oder echtes Wien. Villazón, ein ewiger Kasperl, sobald er sich nicht mehr liebeskrank spielen muss, sekundiert mit einem naturalistischen Argument: "Wie sollte sich Mimi im Ernst in jemanden mit meinen Augenbrauen verlieben?"

Bescheidender Erfolg

Selbst unter den musikbegeisterten Statisten gibt es etwas defätistische Zweifel, ob "La Bohème" als Film überhaupt Zuschauer finden kann. Jan Mojto will davon nichts wissen. Es gebe "reges Interesse". Wie Herbert von Karajan, mit dem zusammen die Unitel vor vierzig Jahren gegründet wurde, denkt Mojto weiter, möchte er die Bohème "qualitätsmäßig so machen, dass es Bestand hat". Außerdem ist das leicht Ridiküle an der Oper, die maßlose aber stimmstarke Übertreibung, bei der es immer gleich um alles und nichts, um Tod und (bei Wagner) gleich auch noch um Erlösung geht, das ideale Genre für einen großen Produzenten.

Mojto verfolgt das Kirch-Konzept der vielländrigen Verwertungskette wesentlich erfolgreicher als sein ehemaliger Arbeitgeber Leo Kirch. Das Projekt wird daher auch kein Fiasko werden; die weitere Auswertung im Fernsehen und als DVD am Ende zumindest für einen bescheidenen Erfolg sorgen.

Hinten in der Tischlerei, wo neue Kulissen gesägt und zugeschnitten werden, arbeitet noch jemand an der Ewigkeit. Ein Bühnenarbeiter hat seine eigene Maske angefertigt und erläutert, wie das geht: Vaseline auftragen, damit die zähe Masse dann nicht kleben bleibt, vorsichtig abtragen. Zehn lange, zähe Minuten musste er unbewegt im Dunkeln bleiben, schon eine eigentümliche Erfahrung. Der Tod ist doch nirgendwo so schön wie in Wien.

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