Süddeutsche Zeitung

Opernfestspiele:Wenn der Körper nichts sagt

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Saar Magal und Haggai Cohen-Milo befragen choreografisch und musikalisch "Jephta's Daughter", eine vieldeutige Geschichte aus dem Alten Testament

Von Eva-Elisabeth Fischer

Das Theater als Kultstätte: Schuhe aus, Handtaschen abgeben. Man befinde sich an heiligem Ort, steht an der Wand geschrieben. Und das ausgerechnet im Haus der Kunst. Man wird wohl wieder herumgeschubst werden, wie das so ist bei begehbaren Theater-Events. Die israelische Choreografin Saar Magal mag das: So geschah es vor drei Jahren bei ihrem bildersatten Tanz-Installations-Diskurs "Hacking Wagner". So geschieht es auch bei "Jephta's Daughter", dieser tanztheaterlichen Befragung der vieldeutigen Geschichte aus dem Buch der Richter im Alten Testament. Die verhandelt sie zusammen mit dem Musiker und Komponisten Haggai Cohen-Milo in der Festspiel-Werkstatt speziell für junges Publikum. Schuh- und taschenlos also werden an diesem Abend mehr Alte als Junge von acht Tänzerinnen und Tänzern, zwei Tenören und einer Sopranistin herumgeschubst.

Nach den ersten 40 von 110 Minuten kommen die 160 Zuschauer dann auf je einem Lammfellkissen zu sitzen, Symbol für das persönliche potenzielle Opfertier. Denn die Geschichte geht ja so: Jephta, der sich als Führer beweisen will, schwört, dass er, so er den Krieg gegen die Ammoniter gewinnt, das erste, das ihm entgegenkommt, opfern wird. Dummerweise ist das seine einzige Tochter, die er angeblich liebt. Anders als Iphigenie, die Agamemnon etwa zur gleichen Zeit, also vor circa 3000 Jahren, für günstige Winde Richtung Troja opfert, bleibt Jephtas Tochter namenlos. Sie ist dem Vater zu Willen mit der Bitte um zwei Monate Aufschub, um im Gebirge mit Freundinnen ihr ungelebtes Leben und ihre Jungfräulichkeiten zu beweinen.

Saar Magal fängt an mit dem Ende der Opferung. Denn Jephta erfüllt sein Gelübde. Und weil Frauen über Jahrtausende bis heute sich (auf)opfern und der liebe Gott, anders als beim Knaben Isaak, keinen rettenden Engel und kein Opfertier schickt, sinken die Tänzerinnen, von einem imaginären Messer tödlich getroffen, vor ihren Schlächtern ein ums andere Mal nieder. Eine, die versucht, sich selbst zu richten, kriegt postwendend beschieden: Nein, so geht das nicht, mit der Selbstopferung.

Und das alles mitten unter uns! Zeiten übergreifend! Deshalb bauschen sich über heutigen Schuluniformen weiße Satinröcke, priesterliches Gewand für archaische Rituale, entworfen von Wiebke Schlüter. Die Musik dazu reicht vom Barock in die Jetztzeit. Repetitive Vibrafon-Arpeggien treffen auf Lamenti, herzzerreißend im Chor gesungen, das Original aus Giacomo Carissimis Oratorium "Historia di Jephte". Bei der Musik funktioniert, woran es im Tanz hapert. Die emotionale Verfasstheit schafft Empathie. Die satirischen Extempores sitzen, etwa im Song von der kindlich geschlechtslosen "Little Mermaid", während vier Meerjungfrauen sich aus ihrem Fischschwanz freistrampeln.

Und was da als Begleitung auf Kontrabass, Synthesizer, Schlagwerk, Gitarre und japanischem Gong sich in fetter Fermate breitmacht, locker vor sich hin präludiert und sich schließlich zum orgiastisch donnernden Fanal ballt, das trifft als kommentierende Illustration dessen punktgenau, was Magal umtreibt. Gender politics aber lassen sich nicht allein durch Körpersprache erzählen. Hinzu kommen Sprache und, gleich einem Menetekel, die Schrift an der Wand. Die Choreografin stellte ihren Tänzern Fragen, die sie entsprechend persönlich beantworten: Was, wenn Ihr nurmehr zwei Monate hättet, bisher Ungelebtes zu leben? Wie habt Ihr Eure Jungfräulichkeit verloren?

Der Mann, der gern mal eine Frau sein möchte, wird entsprechend eingekleidet, zunächst orientalisch verschleiert, dann westlich entblößt, um dann von hinten genommen zu werden, hart, unerbittlich, ein benutztes Stück Fleisch. Wie eindeutig ist das Geschlecht? - danach fragen vier halb nackte Frauen mit vorgeschnallten Pimmelchen, keusche Hermaphroditchen, auf Spitze vorwärts trippelnd. Die Antworten in "Jephta's Daughter" liegen auf der Hand und bleiben dennoch offen. Ambivalent auch die finale Klimax, eine dionysische Feier des Lebens und Ahnung eines atavistischen Opferrituals. Trotz allem wächst die Performance nicht über die Rollenspiele in Bibel-Drama-Stunden an Gemeinde-Nachmittagen hinaus.

Jephta's Daughter, Freitag, 10. Juli, und Samstag, 11. Juli, 19 Uhr, Haus der Kunst

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Quelle:
SZ vom 09.07.2015
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