Opernfestspiele:Kein Ausweg, zum Glück

Christian Gerhahers fabelhafter Liederabend

Von Egbert Tholl

So ein Programm muss man erst einmal zusammenkomponieren: Ein paar von Benjamin Brittens "Purcell Realizations", also quasi neu erdachte Barockmusik inklusive Koloraturen, dann Brahms-Lieder, aber die sind in ihrer volksliedhaften Blumigkeit die falsche Fährte, denn auf sie folgt Mussorgski. Modest Mussorgskis "Lieder und Tänze des Todes", dann ist Pause. Luft fürs bebende Herz! Denn es geht unabdingbar weiter, wieder Britten, die "Songs and Proverbs of William Blake", ziemlich sicher die gnadenlosesten und dabei überbordendsten Klavierlieder, die Britten je schrieb. Dann wieder Brahms-Lieder, das letzte heißt "Todessehnen", und ist doch eher ein herrlich hymnischer, fester Liebessieg.

Wer macht so ein Programm? Christian Gerhaher. Und Gerold Huber am Klavier. Anstatt hier weiter zu lesen, sollte man sich besser flugs bemühen, für Mittwochabend für dasselbe Programm in Salzburg noch eine Karte zu ergattern. Vielleicht haben die in Salzburg auch Programmhefte, die nicht ausgehen und mehr Inhalt enthalten als die Liedtexte. Was das für ein Repertoire ist, muss man erspüren, erfühlen, erdenken. Erlesen kann man nichts.

Die Uraufführung von Brittens Blake-Liedern sang 1965 Dietrich Fischer-Dieskau, Britten selbst spielte Klavier. Sieben Lieder, jedem ein Vorwort vorangestellt. Das erste Vorwort handelt von einer Art göttlichen Menagerie, der letzte Vers jedoch lautet: "Die Nacktheit der Frau ist die Arbeit Gottes." Das ist die Übersetzung, natürlich singt Gerhaher englisch. Nach diesem euphorischen Rätselspruch flanieren Gerhaher und Huber durch ein düsteres Panoptikum, emphatisch-souveräne Beobachter menschlicher Zustände, Abgründe, Fürchterlichkeiten, es zieht hinab. Ohne Pausen geht es voran, vorbei an Blakes oft grandios klugen Sätzen - "Gefängnisse sind mit Steinen des Gesetzes gebaut, Bordelle mit den Ziegeln der Religion".

Ja, das dürfte nach dem Geschmack von Gerhaher sein, dem Staatsopernintendant Nikolaus Bachler ganz am Ende, nach der Zugabe, drei Britten-Volksliedern, einen Bayerischen Löwen mit Brief vom Minister überreicht. Bachler betont, welch' Glück Gerhaher für die Musik, München, die Staatsoper und ihn selbst sei und bedankt sich beim Sänger für dessen Meinung und Haltung bezüglich der kulturellen Situation in Stadt und Land.

Ach, man müsste tausend Worte schreiben über diesen Abend und würde ihm nicht gerecht. Der Blake-Britten: nie Fanal, immer rasend klug gestaltet, man müsste ihn zehn Mal hören, um ihn zu erfassen. Mussorgskis Todestänze: Erst einmal ein grandioses Russisch, dann die Verzweiflung eines absonderlichen Humors. Ein Kind stirbt, eine Kranke auch, ein Bauer tanzt ins Erfrieren, Krieg. Der Tod siegt immer. Nur nicht über das Kunstwerk dieses Konzerts, das einem das Miterleben unabdingbar aufzwingt.

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