Süddeutsche Zeitung

Oper:Walhall für alle

Der erste niederbayerische "Ring": Das Landestheater wagt sich in Landshut an Wagners Riesenwerk, an diesem Wochenende kommt das "Rheingold" heraus

Von Egbert Tholl

Es ist eine Tugend aus der Not. 2013 überschwemmte das Hochwasser das Theater in Passau, wenig später musste das Theater in Landshut sein renovierungsbedürftiges Stammhaus verlassen. Die Theater in Landshut und Passau gehören zusammen, sie bilden das Landestheater Niederbayern, zu dem auch das Haus in Straubing gehört, das seltener bespielt wird. Nun stand das Landestheater ohne seine traditionellen Spielstätten da, in Landshut zog man in ein Zelt in einer Gegend der Stadt, in der es vor allem Gegend gibt, sonst nicht viel, aber viele Parkplätze.

Im Zelt gibt es auch viel Platz. Nicht unbedingt in den Blechschachteln, in denen die Verwaltung und der Backstage-Bereich untergebracht sind, aber auf der Bühne und im Zuschauerraum. Also beschlossen Intendant Stefan Tilch und sein Musikchef Basil H. E. Coleman, die Größe zu nutzen. Tilch: "Manches geht hier nicht, dafür ist in dieser Phase etwas anderes möglich." Was Großes. Das Größte. "Tristan" haben sie schon gemacht, es lief gut, auch wenn "man sich den Klang ein bisschen badewanniger wünschen könnte". Jetzt kommt der "Ring", jedes Jahr ein Teil, diesen Samstag hat das "Rheingold" Premiere.

Gleich nach dem Gespräch mit Tilch versteht man unmittelbar, was er meint: Bei der Generalprobe erlebt man Wagners Musik neu. Das Orchester ist vergleichsweise filigran besetzt, der Graben ist nicht tief, man sieht die vier Kontrabassisten, mehr gibt es nicht, die Schlagwerker sitzen links und rechts auf dem Niveau der Zuschauer. Wagners Musik hat hier nichts Mystisches, sie ist konkret. Theatermusik. Die Streicher finden sich gut zusammen, die Hörner sind forsch, ihr Echo knallt manchmal von hinten. Aber das Zelt ist ja leer, es fehlen die 500, 600 Zuschauer. Auch lässt sich nach einer Generalprobe nichts Endgültiges über die Sängerinnen und Sänger sagen, nur so viel: Das Niveau verblüfft. Die haben hier einen Alberich, Stefan Stoll, der eine Wucht ist. Die Rheintöchter sind extrem munter, Sabine Noack ist eine fabelhafte Wellgunde, die drei Damen bewegen sich wie hawaiianische Schlingpflanzen, überhaupt sind die Kostüme von Ursula Beutler so einfallsreich wie genau, Fricka (Christel Loetzsch) ist eine Braut in Rot, Stephan Bootz schwankt als Wotan zwischen Clanchef und Beuys, Fafner und Fasolt sind Handwerker auf der Walz, tragen dazu Bombengürtel, dem der eine zum Opfer fällt: Jens Waldig zieht bei Heeyun Choi am Auslöser, puff, Fasolt ist weg, sein Kopf rollt über die Bühne.

Tilch will kein einengendes Setting, er nimmt den Mythos als Mythos, hineininterpretieren kann man in die Geschichte ohnehin alles - bis hin zu "Game of Thrones". Karlheinz Beer hat ihm eine riesige Bibliothek gebaut, deren Wände sich verschieben lassen, den Raum öffnen und am Ende, als Walhall, wieder fest gefügt sind, mit Stacheldraht bewehrt und mit Überwachungskameras versehen. Nun sind alle Mythen sicher an ihrem Platz verwahrt, und die ewigen Verschwender, die Götter im Licht, schotten sich gegen das aus Nibelheim dunkel heraufgrollende Begehren nach ein wenig gutem Leben ab. So viel Interpretation ist dann doch. Aber letztlich ist es ein Theaterbudenzauber, mit uralten Theatermitteln. Im Verbund mit der Musik entsteht ein reines, kurzweiliges (Kammer-)Spiel, das die Konversation und alle Figurenkonstellation ungeheuer plastisch macht. Gut, Ya-Chung Huang als Zappelphilipp Loge nervt ein wenig, auch wenn er seine Sache an sich gut macht und als Feuergott Kette raucht.

Im sechsten Jahr ist das Landshuter Theater nun im Zelt, sechs weitere werden folgen, bis das Stammhaus renoviert und der Neubau fertig ist. Dass nun ein zumindest vager Zeitplan steht, hat offenbar die Laune von Stefan Tilch enorm aufgehellt. Ihm gefällt es hier, seit 2002 ist er Intendant des Landestheaters. Nur eines ist ein bisschen schade: In Passau spielen sie "Rheingold" in der Dreiländerhalle. Die alte Nibelungenhalle gibt es nicht mehr.

Das Rheingold, Premiere am Sa., 27. April, 19.30 Uhr (Einführung 18.45 Uhr), Landshut, Theaterzelt

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SZ vom 27.04.2019
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