Oper:Verliebt ins Verliebtsein

Oper: Clémence (Susanna Phillips) und der Pilger (Tamara Mumford).

Clémence (Susanna Phillips) und der Pilger (Tamara Mumford).

(Foto: Ken Howard/Metropolitan Opera)

Robert Lepage inszeniert Kaija Saariahos "L'Amour de Loin" an der New Yorker Metropolitan Opera.

Von Peter Richter

Kaija Saariaho ist die zweite Komponistin, von der ein Werk an der Metropolitan Opera in New York aufgeführt wird. (Die erste war die Britin Ethel Smyth mit ihrer auf deutsch getexteten Oper "Der Wald"; das war 1903.) Die wie Saariaho aus Finnland stammende Dirigentin Susanna Malkki wiederum ist die vierte Frau, die in der Geschichte des Hauses am Pult stehen darf. Soweit die Statistik. Die Premiere von "L'Amour de Loin" an der Met versucht, diese Schieflage im Geschlechterproporz insofern etwas auszugleichen, als neben der schönen Prinzessin Clémence (Susanna Phillips) und einem Pilger, der ebenfalls von einer Frau, nämlich Tamara Mumford, gegeben wird, auch die dritte der vier Personen auf der Bühne weiblich ist, jedenfalls im französischen Original: la mer.

Dass das Mittelmeer die Hauptperson einer Geschichte sein kann, ist nun etwas, das die Welt schon von dem französischen Historiker Fernand Braudel gelernt hat. Die "mediterrane Welt", die er für die Zeit Philipps II. so schön von allen Seiten beschrieben hatte, war aber auch schon fünfhundert Jahre vorher ein feuchtes Spannungsfeld zwischen Orient und Okzident, von heute ganz zu schweigen.

Die Oper, mit der Saariaho damals, vor inzwischen auch schon wieder 16 Jahren, bei der Uraufführung in Salzburg so einen enormen Erfolg hatte, bleibt gewissermaßen schon durch ihr Setting fortwährend aktuell und relevant. Zeitgenössisch daran ist nicht nur die Musik, sondern auch das Thema, obwohl die Handlung im 12. Jahrhundert spielt, als tatsächlich jener Mann gelebt hat, gegen dessen Verliebtheit ins Verliebtsein jetzt in der Met nun also die drei Frauen - Cleménce, Pilger und Mittelmeer - erst einmal ankommen müssen.

Dieser Mann hieß wirklich Jaufré Rudel und war wirklich ein südfranzösischer Adeliger, der zum Troubadour wurde, und zumindest die Legenden über ihn wollen wissen, dass er wirklich in Liebe zu einer Frau entbrannte, die er noch nie gesehen, sondern über die er nur heimkehrende Jerusalem-Pilger reden gehört hatte. Und dass er sich den Kreuzfahrern anschloss, um der angebeteten "Gräfin von Tripoli" näher zu kommen, aber auf dem Schiff erkrankte und schließlich in ihren Armen starb.

Was für ein Glücksfall, dass diesen Stoff hier ein Mann bearbeitet hat, der zwar, genauso wie die finnische Komponistin, in Frankreich lebt, aber aus dem Libanon stammt: Der Autor Amin Maalouf hat also ein Libretto über den Autor Jaufré Rudel geschrieben, das jeden, der für die Macht und den Wahnwitz von Wortgespinsten etwas übrig hat, in helles Entzücken treiben muss.

Die Vorstellungen, die sich Jaufré, des jungadeligen Müßiggangs müde, in seiner Entschlossenheit zur unmöglichen Liebe von der fernen Frau macht, werden von den Berichten des Pilgers genährt. Der fährt daraufhin wieder zu der Frau und trägt die inbrünstigen Minne-Gesänge Jaufrés vor - oder jedenfalls das, was er davon noch so zusammenkriegt. Und Pathos in indirekter und noch dazu lückenhafter Erinnerungsrede wird natürlich automatisch komisch. Andererseits hat das schon auch immer seinen Resonanzraum in der Tragik der überhitzten Projektionen und enttäuschten Erwartungen, die auch heute zwischen den Ufern des Mittelmeers hin und her schwimmen.

Dieses Meer nun hat der Kanadier Robert Lepage zusammen mit seinem Bühnenbildner Michael Curry sehr bildlich dargestellt: Über die ganze Breite der Bühne sind in dichten Reihen Kabel mit LED-Lämpchen gespannt, die der Mann am Schaltpult je nach beabsichtigtem Seegang still oder hektisch blinken lassen kann. Der Pilger stakst nun mit einer Gondel von links nach rechts und wieder zurück, während abwechselnd Clémence und Jaufré auf einem brückenartigen Gestell ihre Arien singen, das abwechselnd das französische wie das morgenländische Kastell darstellt.

Es ist jedesmal etwas verstörend, wenn die Köpfe des Chors nach oben geschossen kommen

Lepage ist in New York seit seinem umstrittenen "Ring" eher berüchtigt als berühmt für den Einsatz störanfälliger Großmaschinerien auf der Bühne. Auch in dieser Aufführung hakt gelegentlich mal etwas, dann geht der Vorhang runter, damit die Mechaniker es richten können, und die Leute auf der anderen Seite applaudieren, als wär schon Pause. Wenn sie funktioniert, ist die Konstruktion aber durchaus eindrucksvoll in ihrer leicht antiquitätenhaften Anmutung. Mit den LED-Lichtern ist das schwieriger, auf die Dauer von zwei Stunden muss man schon ein großer Fan von Kreuzfahrt-Reisen sein, um das Geblinke nicht etwas eintönig zu finden.

Aber so ist es nun mal, das Meer. Während sich der Liebende und die Geliebte mittels des Pilgers im Stille-Post-Prinzip ein Bild voneinander machen, das nicht unbedingt an Klarheit gewinnt, kommen allerdings immer mal wieder die Köpfe eines Chors zwischen den LED-Schnüren nach oben geschossen, und das ist dann nicht nur jedes Mal überraschend, sondern regelrecht verstörend. Der Kollege von der New York Times fühlte sich hier an "Whack-a-mole" erinnert, die Rummelplatz-Maulwürfe, denen man mit dem Gummihammer eins auf den Kopf geben soll. Wer regelmäßig Nachrichten aus dem echten Mittelmeer verfolgt, wird unter Umständen weniger heitere Assoziationen haben.

Aber irgendwo muss der Chor schließlich seine Arbeit tun, und die tut er ausgezeichnet. Dasselbe muss man über die Solisten sagen. Susanna Phillips ist ein Burgfräulein, für das jeder vernünftige Mensch zur Not durchs Meer auch schwimmen würde. Tamara Mumford ist diejenige, die mit ihrem schönen Mezzosopran immer wieder eine Art skeptische Ruhe reinbringt: "Wie wäre es, wenn du mal ein bisschen weniger an sie denken würdest?"

Und Eric Owens, der zuletzt in New York als Petrus in der "Matthäuspassion" schon eine Art emotionalen Hyperrealismus auf die Bühne gebracht hatte, der große Eric Owens mit seinem ofenwarm bullernden Bass, ist der Mann, der glaubhaft gar nicht daran denkt, weniger an sie zu denken. Als er dann sterbend in ihren Armen liegt, während sie singt, dass sie seine Liebe erwidere, und gleichzeitig der Pilger ihm vorrechnet, dass er ohne seine Liebe zwar vielleicht nicht den Tod gefunden hätte, ohne seinen Tod aber wiederum auch nicht ihre Liebe: Gott, was soll man sagen, da ist das schon ein Liebestod, der es fast schon mit dem von "Tristan" vor ein paar Wochen an derselben Stelle aufnehmen kann.

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