Oper:Tanze Tango mit mir

Die Nase

Die titelgebende Nase will nicht zurück zu ihrem Besitzer.

(Foto: Arno Declair / Staatsoper Hamburg)

Die Regisseurin Karin Beier eröffnet mit ihrer Inszenierung von "Die Nase" in Hamburg die Opernsaison.

Von Ekaterina Kel

Als Platon Kusmitsch Kowaljow aus dem süßen Schlaf eines Feudalherren erwacht - er kann sich immerhin einen persönlichen Diener leisten, den dummen Iwan -, und in den Spiegel schaut, ist sein Leben, wie er es kannte, für immer vorbei.

Gestern noch war auf seiner Nase ein Pickel gewesen. Heute Morgen findet Kowaljow nicht nur den Pickel nicht mehr, sondern auch nicht dessen Trägerin, seine Nase. Die hat sich offenbar davon gemacht. Derweil entdeckt Kowaljows Barbier die abhanden gekommene Nase (oder eine andere?) in seinem Essen, und versucht vor lauter Schreck, sie im Fluss loszuwerden.

Es ist der Beginn einer ulkigen Reise nach Absurdistan. Ausgedacht hat sie sich der russische Literat Nikolai Gogol in den 1830er-Jahren für seine Erzählung "Die Nase". Ein wenig Dada, ein wenig Gesellschaftskritik, ein wenig albtraumhaft Unheimliches. Karin Beier, Hamburgs Schauspielchefin, hat sich nun dieser Erzählung angenommen, und zwar das erste mal seit 13 Jahren wieder als Regisseurin einer Oper. "Die Nase", vertont von Dmitri Schostakowitsch, uraufgeführt im Jahr 1930, eröffnet Hamburgs Opernsaison.

Der junge Schostakowitsch, Anfang zwanzig, komponierte ein hüpfendes, ratterndes, dröhnendes Energiewerk und macht auch dem innewohnenden humoristischem Glucksen alle Ehre, das schon Gogol angelegt hat. Beier wiederum schmeißt eine weitere Assoziationsmaschine an. Vom zaristischen Russland Mitte des 19. Jahrhunderts verlegt sie die Handlung in einen überzeichneten militaristischen Pseudo-Stalinismus der Dreißigerjahre. Es ist nicht immer eindeutig warum, aber visuell gibt es was her. Auf der Bühne wehen rote Fahnen, ein Riesenauge blick in der Mitte aus einem Video ins Publikum. Männer in braungrünen Uniformen und mit Stalin-Schnauzern stolzieren unentwegt durch die Gegend. Manchmal übermannte Baier wohl das Verlangen, naheliegende Assoziationen reinzuwerfen, ohne sie auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Zum Beispiel, wenn kyrillische Buchstaben auf einem Video gezeigt werden oder plötzlich alle die Hand zum Hitlergruß erheben. Was macht die Hitleranspielung da eigentlich? Egal, scheint die Antwort zu sein, die Oper ist ja eh absurd.

Auf der Bühne hört man lange bloß schräges Lachen, Ächzen, Grunzen, Seufzen, Rotzen

Das ist wohl das Schicksal des Absurden. Es ist dazu verdammt, durch immer weitere Deutungen seine ihm innewohnende Kraft zu verlieren. Wer es inszenieren will, muss einerseits kontinuierlich Bilder finden, andererseits aber keine Angst vor der Offenheit haben.

Beier gelingt stellenweise trotzdem eine feine Groteske, besonders dann, wenn sie auf die szenische Kraft von Schostakowitschs Musik vertraut. Schostakowitschs Oper ist geordnetes Chaos, durchsetzt von kleinen Seitenhieben und platten Gags. Für lyrische Sinnlichkeit ist hier kein Platz. Starke Blechbläser, ein dominantes Schlagwerk, einfache Melodien, viel Haudrauf. Da erscheint einem sogar eine sonst recht spitz klingende Balalaika süßlich.

Generalmusikdirektor Kent Nagano beginnt eher zurückhaltend, lässt die eruptiv auftauchenden, ächzenden und krächzenden Töne aber im Laufe des etwa hundertminütigen Stücks immer lauter strotzen. Ein lauter Schlag leitet das Geschehen ein, die Bläser verkünden hämisch eine nahende Bedrohung. Auf der Bühne hört man lange bloß schräges Lachen, Ächzen, Grunzen, Seufzen, Rotzen und Sprechgesang - dann, für den überwiegenden Teil nur Männerstimmen in unterschiedlichsten Tonlagen, aber stets mit dem Hang ins Dunkle, Abgründige. Der Däne Bo Skovhus tritt als Kowaljow mit einem soliden Bariton auf die Bühne, die wenigen melodischen Stellen, die Schostakowitsch für die Rolle vorgesehen hat, lassen erahnen, welche Strahlkraft in Skovhus' Stimme liegt, hier ist aber größtenteils Prägnanz, Rhythmik, Statik gefragt, was Skovhus ebenfalls einwandfrei beherrscht.

Und die Nase? Die tanzt mir ihrem ehemaligen Besitzer ein paar Schritte Tango, bevor sie in einer Kirche zum Beten verschwindet, in Gestalt eines drei Ränge höheren Beamten als der Kowaljow selbst. Zu ihrem Besitzer will sie lieber nicht zurück. Bei Beier ist sie ein menschengroßes Kostüm in Form und Farbe einer Nase mit einer roten Stelle am Rücken, als wäre da direkt das nackte Fleisch. Unter den Nüstern tänzeln Füße in Stiefeln: Der gewiefte Tenor von Bernhard Berchtold steckt darunter.

Für die Ahnungslosen gibt es in Beiers Inszenierung eine Lehre: Kowaljow, der hochnäsige, muss die gesellschaftliche Ordnung wieder herstellen. Und für diejenigen, die bei der Abwesenheit von Sinn eine süße Freude spüren, bleibt als Trostpreis der Hitlergruß.

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