Oper:So kurz davor

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Viele suchen, wenige finden - auch vor der Generalprobe des "Tannhäuser" hofften viele vor dem Nationaltheater auf ihr Glück. (Foto: Stephan Rumpf)

Zur Generalprobe umsonst in die Oper - das klingt verlockend, aber die Karten sind rar, und wer sich dafür anstellt, braucht Geduld und Nerven

Von Jutta Czeguhn

Der Ton ist rau in der Schlange vor dem Nationaltheater. "I bin z'erscht doa, ihr Bayern glaubt emmer, mir san mir!" - "Dann gehen'S doch nach Ihrem Württemberg zurück und nehmen'S vor allem Ihre Anti-Aggressiva ein!" Die beiden reifen Damen, die da an einem Spätnachmittag Anfang März so temperamentvoll aneinander geraten sind, schenkten sich keinen Zentimeter. Da gab es wenig subtile Bodychecks, Sidekicks, Handtaschen wurden zu Stoßdämpfern. Der körperliche Einsatz war hoch, es ging schließlich um einiges: Alle wollten dabei sein, wenn Jonas Kaufmann seinen Kopf verliert, bei der Generalprobe der Oper "Andrea Chenier".

Wenn Stars wie Kaufmann, Wagner-Neuinszenierungen wie "Tannhäuser" drinnen im Haus ihren letzten Testlauf vor Publikum haben, kann es vor der Staatsoper schon mal zugehen wie beim Sturm auf die Bastille. Passanten auf dem Max-Joseph-Platz fragen sich dann, ob es da wohl etwas umsonst gibt. Stimmt, die Tickets für so eine Vor-Premiere kosten nichts, dafür sind sie unglaublich rar.

Generalproben vor Publikum gibt es in der Regel für alle Neuinszenierung an der Staatsoper, an diesem Mittwoch zwischen 11.30 Uhr und 16 Uhr beispielsweise für die Festspielpremiere von "Oberon, König der Elfen" im Prinzregententheater. Öffentlich geprobt wird aber auch bei einzelnen Ballett-Produktionen und oder Akademiekonzerten. Nur in Ausnahmefällen, etwa, wenn ein Hauptsolist kurzfristig ersetzt werden muss oder das Regieteam noch letzte Korrekturen vornehmen will, bleibt die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Wobei "Öffentlichkeit" Definitionssache ist: Denn für die insgesamt 2101 Plätze, die bei einer Generalprobe zur Verfügung stehen, haben die festen Mitarbeiter des Hauses den Erstzugriff. "Die Belegschaft soll Gelegenheit bekommen, Neuproduktionen zu sehen. Schließlich sind die meisten Premieren ausverkauft", sagt Staatsopern-Sprecher Christoph Koch.

Der Personalrat verteilt die begehrten Karten, auf denen am rechten Rand in schwarzen Lettern drohend der Hinweis "unverkäuflich" steht. Sie gehen an alle Abteilungen im Haus, von der Technik, über die Maske bis zum Zentralen Kartenverkauf. Obwohl laut Koch der Grundsatz gilt, ein Ticket pro Mitarbeiter, gibt es Ausnahmen. So bekommt etwa die Abteilung Kinder- und Jugendprogramm in der Regel ein größeres Kontingent, denn Schüler- und Studentengruppen sollen Generalproben besuchen können. Auch das Künstlerbesetzungsbüro darf mehr Karten ausgeben. Etwa für Gastsolisten, die gerade am Haus in anderen Produktionen proben. Dann sind da noch die Volkshochschulen, die Generalproben-Tickets erhalten, für spezielle Einführungskurse zu den Neuproduktionen.

Da bleibt nicht mehr so viel für das externe Publikum, das sich dann stets einer besonderen Prozedur unterwerfen muss. Am 18. Mai, dem Tag der Tannhäuser-Generalprobe, war es wieder so weit: Für 17 Uhr hat Generalmusikdirektor Kirill Petrenko den Beginn angesetzt. Wie schon bei Chenier, herrscht großes Gedränge. Ein Mitarbeiter der Staatsoper ist gerade dabei, 270 sogenannte Ansteh-Nummern zu verteilen. Doch kaum einer der Wartenden, die bei zünftiger Hitze hinter einem Absperrseil wie am Skilift anstehen, kann sich sicher sein, Romeo Castelluccis Inszenierung auch wirklich zu sehen zu bekommen. Nur 34 Opernfreunde würden an diesem Tag hineingelassen, verbreitet sich das Gerücht. Doch sicher ist das nicht, alles hängt nun davon ab, wie viele Tickets von der Belegschaft an die Abendkasse zurückgegangen sind. Bei großen Choropern etwa, wenn viel Personal auf der Bühne steht, steigen die Chancen für die Externen.

Die Leute harren deshalb unter dem Portikus des Nationaltheaters aus oder haben sich an den Treppen hingelagert. Viele schreiten mit einem "Suche-Karte"-Schildchen die Reihen ab. Unter ihnen ist Roland Koschek, ein Opern-Routinier und Wagnerianer. Er hat die hohe Ansteh-Nummer 120 erwischt, nimmt das aber sehr gelassen. Er ist nicht zum ersten Mal dabei. Mit dem Absperrseil sei die Prozedur geordneter geworden, sagt er und erzählt von "entwürdigenden" Zuständen in der Vergangenheit.

"Die Leute waren da wie Hyänen, wenn der mit den Nummern vor die Tür trat, haben sich alle auf ihn gestürzt." Er schätzt die Generalproben, schließlich seien die Operntickets in München "wahnsinnig teuer". Man könne sich, unbeeinflusst von Kritiker-Urteilen, sein eigenes Bild machen. Zudem würden die Akteure in der Regel bei so einer Generalprobe schon 90 Prozent Leistung bieten. Denn abgebrochen werde selten, das bestätigt auch Opern-Sprecher Koch: "Was schief gehen kann, ist schon vorher schief gegangen." Schade eigentlich, denn gerade Pannen können unvergessliche Momente sein: Wer damals dabei war, bewundert noch heute die Coolness von Anna Netrebko, als ihr 2007 bei der Generalprobe im Gasteig zu einer konzertanten Bohème der Rudolfo (Villazón) abhanden kam und sein Part eingesprochen werden musste. Als dann auch noch eine Allergie-Attacke den Marcello (Mariusz Kwiecien) außer Gefecht setzte, wurde es erst richtig unterhaltsam.

Vor dem Nationaltheater kommt am Tannhäuser-Generalprobentag nun Bewegung in die Menge. Schwerbehinderte und Studenten dürfen - ohne Nummer - die Mitteltür passieren, ebenso Leute, für die eine Karte hinterlegt wurde, in Kuverts. Ja, die geheimnisvollen Kuverts. Auch ein Herr, der sich als "Dauergast" vorstellt und die Partiturplätze der Galerie quasi sein zweites Zuhause nennen kann, wird gleich den Tannhäuser bequem vom ersten Rang aus verfolgen können. "Ich möcht's einmal gescheit sehen", erläutert er, das reiche ihm dann aber auch gründlich. Bei der Frage, wie er denn an seinen schönen Rangplatz gekommen sei, wird er mit einem Mal recht introvertiert und verdreht verschwörerisch die Augen: "Mei, da müssen'S natürlich a bissl Beziehungen haben." Damit ist er allerdings auskunftsfreudiger als die meisten ziemlich Externen, die nun an den Wartenden vorbei durch die Mitteltür entschweben.

Gerade weil das Einlass-System zu einer gewissen Legendenbildung einlädt, wünschen sich viele Operngeher ein transparentes Prozedere wie beispielsweise bei den Münchner Philharmonikern, wo die Tickets für die sechs öffentlichen Generalproben pro Saison zu bezahlbaren 10,40 Euro in den Vorverkauf kommen und auch noch an der Tageskasse zu haben sind. Und wo Valery Gergiev sich von diesem Herbst an bei weiteren Proben über die Schultern schauen lassen lässt. Ein kleiner Flashback für ältere Fans der Philis, die sich da an die zugänglichen Orchesterproben von Sergiu Celibidache erinnern.

Am Max-Joseph-Platz aber ist Durchhaltevermögen gefragt: Kurz vor 17 Uhr, gleich wird Kirill Petrenko mit der Tannhäuser-Ouvertüre beginnen. Die Ansteher werden nun der Nummern-Folge nach aufgerufen, mehr als 30 Glückliche huschen im ersten Schub nun durch die Tür, dann ist erst mal Schluss. Doch erstaunlich viele Opern-Freunde wie Roland Koschek harren weiter aus. Wer weiß, vielleicht springt im letzten Moment ein Lehrer mit einem übrigen Ticket vors Portal, weil ein Schüler in Panik vor vier Stunden Wagner gekniffen hat. Jetzt fällt den Wartenden auch eine schlanke Frau mit fein geschnittenem Gesicht auf: Nike Wagner. So argwöhnisch jeder gemustert wird, der durch die Mitteltür ins Innere der Staatsoper entschwindet: Der Urenkelin des Meisters neidet niemand den Vortritt.

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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