Oper:Seltsam ambivalent

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Probenfoto aus den Salzburger "Meistersingern": Georg Zeppenfeld als Hans Sachs (hinten), Adrian Eröd als Beckmesser. (Foto: OFS/Monika Rittershaus)

Christian Thielemann dirigiert in Salzburg die "Meistersinger" - und es wirkt nicht so, als wolle man ihn dort ziehen lassen.

Von Egbert Tholl

Die Salzburger Osterfestspiele, einst gegründet von Herbert von Karajan, sind ein etwas merkwürdiges Festival. Man begnügt man sich mit einer großen Opernproduktion pro Ausgabe - in diesem Jahr Wagners "Meistersinger" -, dazu gibt es paar Konzerte. Seit Peter Ruzicka Intendant ist, kommt eine zeitgenössische Oper als Kammerspielproduktion dazu, in diesem Jahr "Thérese" von Philipp Maintz, in Koproduktion mit der Hamburger Staatsoper. Ein mächtiger Förderverein ist Garant des Erfolgs; die Karten für die "Meistersinger" kosten im obersten Segment 490 Euro, falls man im Einzelverkauf überhaupt welche ergattert. Das alles führt dazu, dass man sich wie auf einer Privatveranstaltung der sehr wenigen Glücklichen wähnt. Der Fuhrpark vor dem großen Festspielhaus passt dazu ausgezeichnet.

Andererseits ist da die künstlerische Bedeutung der einen, solitären Großproduktion. Seit 2013 ist Christian Thielemann der Künstlerische Leiter der Festspiele, mit ihm kam die Dresdner Staatskapelle nach Salzburg. Die "Meistersinger" sind im positiven Sinn ein Schicksalsstück für ihn: Mit dieser Oper wurde er Generalmusikdirektor in Nürnberg, lang her, mit ihr debütierte er in Bayreuth. Als Thielemann Chefdirigent der Münchner Philharmoniker war, avancierte das "Meistersinger"-Vorspiel zum Signaturstück des Orchesters - besser hat man es nie gehört.

Auch nun in Salzburg nicht. Wo ist das Funkeln, das vielstimmige Leuchten? Nicht da. Thielemann dirigiert irritierend kurz angebunden, aber sehr dezidiert. Der Klang ist überdeutlich, aber ohne jedes Geheimnis, selbst das Hymnische am Ende des Vorspiels bleibt seltsam unwirsch. Dennoch ist der Klang irgendwie imposant, weil so seltsam ambivalent, was auch an der Akustik des großen Festspielhauses liegen mag.

Erwartet hatte man eher eine Demonstration umfassender Großartigkeit. Im Vorfeld grollte der Meister wiederholt, weil der Aufsichtsrat der Osterfestspiele beschlossen hatte, Nikolaus Bachler, bis 2021 noch Intendant der Bayerischen Staatsoper, zu bestallen, von 2020 als kaufmännischen Direktor, von 2022 an als Intendant. Thielemanns spontane Reaktion darauf: Mit mir nicht. Inzwischen ließ er aber versöhnlichere Töne vernehmen, es gehe doch nur um die Musik allein.

Man kann sich fragen, weshalb ein Festival mit nur einer großen Opernproduktion einen Intendanten und einen künstlerischen Leiter braucht. So keimte schnell der Verdacht, die Personalie Bachler ziele letztlich darauf, mit ihm Kirill Petrenko, derzeit in München und bald in Berlin, und mit den beiden die Berliner Philharmonikern wieder nach Salzburg zu holen. Bachler selbst sagte dazu nichts, und die Berliner Philharmoniker sind derzeit vertraglich mit den österlichen Festspielen in Baden-Baden verbunden. Der Schlussapplaus für Thielemann, und dessen gelöste Entspanntheit, ließen jedenfalls keinerlei Schluss zu, dass die Salzburger ihn ziehen lassen wollten.

Die Pressekonferenz am Sonntag Mittag zielt dann zwar in die Zukunft, aber nur in die nahe: 2020 gibt es Verdis "Don Carlo", eine Henze-Uraufführung, das Konzertprogramm wird größer und avancierter, Thielemann dirigiert Schönbergs "Gurrelieder". Jede Frage nach Bachler wehrt Sarah Wedl-Wilson, Vorsitzende des Aufsichtsrats der Osterfestspiele, freundlich ab. Thielemann sitzt lächelnd daneben, als lausche er dem Jubel des Vorabends nach. Doch diesem Jubel ging harte Arbeit voraus.

Jede Frage nach dem künftigen Intendanten wehrt man in Salzburg ab

Nach dem Vorspiel schleppt sich der erste Aufzug ereignislos dahin. Aufhorchen lässt hier vor allem Sebastian Kohlhepp als David mit leuchtender Frische in der Stimme. Ansonsten ist die musikalische Konversation eher eine Mühsal, langatmig, spannungsarm. Der erste Höhepunkt ist im zweiten Akt Sachs' "Fliedermonolog", der Traum des alternden Mannes von einer frühlingshaften Regung. Da erschafft Thielemann reine Poesie, unendlich schön. Nun stellt sich Glückseligkeit ein. Von da an geht es bis zum fulminanten, vollkommen überwältigenden Schluss aufregend wechselhaft zu: Gerade die leisen, intimen Stellen gelingen grandios, zwischen ihnen ist immer wieder Lärm, der laut, aber nicht unbedingt spannend ist, durchaus plump wirkt. Und lang. Der dritte Aufzug allein dauert deutlich mehr als zwei Stunden. Im Getös geht manche Stimme verloren, die Konversation der Meister bleibt mitunter ein Raunen, Jacquelyn Wagner ist zwar als Eva eine beeindruckende Erscheinung, stimmlich aber vermittelt sie kaum mehr als eine Ahnung von ihrer Partie.

Von Eva abgesehen ist die Aufführung jedoch grandios besetzt. Georg Zeppenfeld ist derzeit der wohl beste und modernste Sachs, den man kriegen kann, er ist schlank, viril, hat keinerlei Probleme mit den Anforderungen der Partie, singt knackig, man versteht jedes Wort - ein sensationelles Rollendebüt. Adrian Eröd ist ein heller, irrlichternder Beckmesser, er spielt nie Karikatur, sondern echte Not, Vitalij Kowaljow ist ein souveräner Pogner. Christa Mayer (Magdalene) hat ohnehin mit nichts Probleme, sie strahlt wärmende Menschlichkeit aus. Und Klaus Florian Vogt als Stolzing macht das, was er immer macht. An seiner engelshellen Stimme, der Naivität seines Spiels scheiden sich die Geister. Aber: das Preislied gelingt ihm betörend.

In der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog will Sachs Theater machen. Als Intendant eines Kleinstadttheaters probt er anfangs in der Kulisse einer gotischen Kirche. Mathis Neidhardt hat liebevoll die Szenerie entworfen, an den Seiten der Festspielhausbühne Proszeniumslogen wie in der Semperoper angebracht, in der Mitte eine Drehbühne, Theater auf dem Theater. Mal sieht man Sachs' Theater von vorne, mal von hinten, mal das Intendantenbüro, auf dessen Couch Eva mit Sachs flirtet. Im Keller hat Sachs noch seine Schusterstube, aber zum Schustern kommt er kaum.

Das funktioniert alles sehr lange sehr gut, ist eine von schauspielerischen Details durchwirkte Liebeserklärung ans Theater, in dem lustige Statisten und drei dicke Putten herumwuseln. Gerne sähe man, was sich Intendant Sachs als Regisseur da so ausdenkt, aber dazu kommt es leider nicht. Herzog öffnet den Raum zu einem Nürnberger Gartenlokal, verliert die Situation aus dem Griff, der Chor der Dresdner Oper wird nun etwas hyperaktiv. Mit dem Preislied und einem guten, alten Theaterspot fängt sich die Sache wieder. Wenn Sachs am Ende Stolzing erklärt, dass der die Meister achten solle, stehen beide allein vor dem geschlossenen Vorhang der Bühne auf der Bühne. Eine intime Szene. Gut. Doch Stolzing will nicht, Eva auch nicht. Sie zerstört das bereits angefertigte Meisterbild von Stolzing, die Liebenden fliehen. Zurück bleiben Sachs und die heilige deutsche Kunst.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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