Oper:Mit blitzenden Augen

Bild Nummer 05: Asmik Grigorian (Manon Lescaut; in der vorderen linken Bildhälfte), Donato Di Stefano (Geronte de Ravoir; rechts von ihr in beigem Anzug) und Ensemble

Immer im Fokus des Geschehens: Asmik Grigorian dominiert in der Titelpartie mit großer Selbstverständlichkeit den gesamten Abend.

(Foto: Barbara Aumüller)

Die umwerfende Asmik Grigorian singt in Frankfurt die Titelrolle in Giacomo Puccinis "Manon Lescaut".

Von Egbert Tholl

Ganz selten erlebt man auf der Opernbühne, dass Gesang jede Anmutung von etwas Hergestelltem, Artifiziellen verliert. Dann findet er einfach statt, mit allergrößter Selbstverständlichkeit, braucht keine ausgestellten Gesten. Braucht auch kein Heraustreten aus der Figur, etwa wenn es eine Arie um ihrer selbst willen zu schmettern gilt und dabei jede Wahrhaftigkeit der Symbiose zwischen Spiel und Gesang verloren geht. Ein paar Handvoll Sängerinnen und Sänger können das, Asmik Grigorian ist eine davon.

Seit sie im Sommer 2018 die Salome bei den Salzburger Festspielen sang, ist Grigorian weltberühmt. Dabei singt sie schon seit einigen Jahren exponierte Rollen, zum Beispiel an der Frankfurter Oper. Bernd Loebe, der Intendant dort, hat einen guten Instinkt für Stimmen - und verpflichtete sie bereits vor vier Jahren. Unter anderem für die Titelpartie in Puccinis "Manon Lescaut". Was sie darin macht, ist ein Glücksfall für die Kunstform Oper, denn sie nimmt dieser jede Künstlichkeit.

"Manon" ist die Geschichte eines Mädchens, dem die eigene Liebe, der Lebenshunger und die Gier der Männer zum Verhängnis werden. Àlex Ollé von der Truppe La Fura dels Baus erzählt diese Geschichte schnörkellos, und so, wie er sie erzählt, geht es nur mit Grigorian. Vor Beginn ein kleiner Film, Manons Bruder liest auf dem Handy eine Nachricht von der Mutter, wo steckt seine Schwester, geschrieben auf Armenisch, der Sprache von Grigorians Vater. Man sieht Flüchtlinge in der Nacht einen Grenzzaun durchbrechen.

Der erste Akt auf der Bühne spielt dann an einem Busbahnhof, ist liebevoll mit Leben durchwirkt, Manon und ihr Bruder (Iurii Samoilov) kommen mit dem Bus, der aasige Geronte (Donato Di Stefano) wartet schon, lauert auf neues Fleisch für seinen Club, Des Grieux verknallt sich vom Fleck weg. Diesen Des Grieux singt Joshua Guerrero mit viel Kraft und lyrischer Schönheit, aber halt auch wie ein echter, altmodischer Tenor, ganz am Ende aber, wenn es ans Sterben geht, ungeheuer ergreifend.

Zweiter Akt: Gerontes Striplokal, Manon die Sensation, die am Ende die Kasse des Etablissements ausräumt und verhaftet wird. Dritter Akt: Käfig eines Abschiebelagers. Vierter Akt: die in dieser Oper seltsame Leere einer Wüste, in der Manon verdurstet und Des Grieux verzweifelt.

Diese Manon weiß über das Leben Bescheid, im Nachtclub genauso wie im Arrest

Ohne viel Umstände sieht man die Geschichte eines Menschen, der nie eine Chance hatte und gerne ein wenig Glück, ein wenig Geld gehabt hätte. Manon wird zermalmt von den Verhältnissen wie heute Millionen anderer junger Frauen. Das funktioniert, wenn man nicht zu sehr an kleinen Nuancen des Textes hängt - Manon ist zum Beispiel im ersten Akt eigentlich auf dem Weg ins Kloster -, bemerkenswert gut. Solche Aspekte pflügt Ollé einfach unter, was nie stört. Das Ergebnis ist stimmig, geht auf. Auch weil Lorenzo Viotti mit dem Frankfurter Opernorchester die Partitur in allen Möglichkeiten auslotet. Das Leitmotiv der Liebe zwischen Manon und Des Grieux kostet betörend Sehnsucht aus, daneben steht harte, trockene Brutalität, alles ist sehr akkurat musiziert und glüht vor Inbrunst.

Asmik Grigorian, geboren 1981 in Vilnius, spielt vollkommen überzeugend ein 16-jähriges Mädchen, gekleidet im üblen Osteuropa-Chic. Diese Manon weiß über das Leben Bescheid, im Nachtclub genauso wie im Arrest, wo sie die Wächter und den rasenden Geliebten mit blitzenden Augen zu beschwichtigen sucht. Ihre natürliche Präsenz rückt sie von ganz allein in den Fokus, sie muss gar nicht mehr viel machen, nur da sein und singen. Mit purer Mühelosigkeit und dramatischer Wucht.

In allen Akten steht "Love" als skulpturaler Schriftzug herum, leuchtet verheißungsvoll. Im finalen Wüstenakt, dem 25-minütigen Sterben, dreht sich langsam die Schrift, während Grigorians Manon verzweifelt nach einem letzten Tropfen Leben giert. Ihr Flehen, ganz für sich allein, hat eine Wahrheit, die über ein individuelles Schicksal weit hinausgeht. Man ist fassungslos. "Love" leuchtet nicht mehr. Wird zu grauem Beton. Zum Monument.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: