Süddeutsche Zeitung

Oper:Mein lieber Schwan!

Eigentlich ist Anna Netrebko ja die Königin des Belcanto. Nun singt sie in Dresden die Elsa im "Lohengrin" - und begeistert.

Von Wolfgang Schreiber

Es war ein so extravagantes wie heiß erwartetes Rollendebüt an der Dresdner Semperoper: Die russische Sopranistin Anna Netrebko sang zum ersten Mal die Partie der Elsa im "Lohengrin", in einer von Christian Thielemann dirigierten Repertoireaufführung. Fast war es auch ein Wagner-Debüt: Als Opernküken hat Netrebko früher einmal das zweite Blumenmädchen im "Parsifal" gesungen, 1997 am Mariinsky-Theater in St. Petersburg. Nur wenige Jahre danach feierte sie schon als Donna Anna in Mozarts "Don Giovanni" in Salzburg ihren Durchbruch und war von nun an: "die Netrebko".

Eigentlich ist ihr lyrisch-dramatischer Sopran zu Hause bei Mozart sowie im russischen, französischen und italienischen Belcanto-Fach, so glänzte sie als Tatjana, Manon oder Violetta. Vor knapp zwei Jahren jedoch hat sich Anna Netrebko dann schon mal bei Richard Strauss ins deutsche Rollenfach eingesungen - indem sie sich dessen spätromantischen Schwanengesang der "Vier letzten Lieder" vornahm. Von Daniel Barenboim und der Berliner Staatskapelle mit der nötigen Opulenz begleitet, ließ Netrebko ihr rundes schönes Timbre aufblühen, ihren weiten melodischen Atem fließen. Da war sie wohl schon auf dem Weg zu Richard Wagner.

"Gewöhnt vor allem auch die Sänger daran, dass sie in allen ihren Leistungen zunächst an eine dramatische Aufgabe denken, dann kommen sie ganz von selbst zur Lösung der lyrischen Aufgabe." Richard Wagner gibt 1851 im Brief an Franz Liszt, der die Lohengrin-Uraufführung in Weimar dirigiert hat, diese Anweisung. "Zweifelhafte Kehlfertigkeiten" attestierte Wagner dem italienischen Gesangsstil mit seinen Verzierungen und Koloraturtrapeznummern, dem er den Kampf angesagt hatte - nicht Oper, Drama soll alles sein, dramatische Wahrhaftigkeit.

Die sogenannte Krise des Wagner-Gesangs, den lange Zeit die Spatzen von den Dächern der Opernhäuser pfiffen, könnte sich allmählich verflüchtigen. Was auch diesem Dresdner "Lohengrin" anzuhören ist, bei dem ein weiteres Rollendebüt gelang: Der polnische Tenor Piotr Beczala, auch er von der französischen und italienischen Stimmkultur geprägt, sang zum ersten Mal die silberhelle Partie des Lohengrin, mit Stimme und Deklamation im vollen Wagner-Einklang.

Der Wagner-Gesang hat entscheidend mit der Sprache zu tun. Die deutsche Rede hat viel mehr Konsonanten als die wohlklingend vokalreiche der Italiener. Für Wagner ist deshalb von größter Bedeutung die Sprachartikulation des Gesangs, die sich "als energisch sprechender Akzent zu erkennen geben" müsse. Nun, mit den deutschen Konsonanten hat Anna Netrebko, die jetzt die Elsa in Dresden vier Mal singt, noch ihre winzigen Probleme - mit eigenen Sprach-Coaches hatte sie sich gründlich auf "Lohengrin" vorbereitet. Die Elsa sangen früher ja schon andere Künstlerinnen abseits der deutschen Wagner-Tradition, so, auf Youtube beeindruckend zu hören, die heroinenhaften, höhensicheren Diven Renata Tebaldi oder Joan Sutherland, Victoria de los Angeles oder Katia Riccarelli. Die Wagnersche Isolde der Callas gilt bis heute als ein Fanal.

"Einsam in trüben Tagen / hab ich zu Gott gefleht . . . " - so beginnt die Traumerzählung der Elsa von Brabant, die sich ihren Retter in Lebens- und Todesnot erträumen muss, in dem Moment, da sie von einem verbrecherischen Neidpaar des Mordes an ihrem Bruder verdächtigt und in einer großräumigen Volks- und Politaktion angeklagt wird, in Anwesenheit von König und Heer. Das Drama um den Schwanenritter spielt im frühen Mittelalter. Elsas Vision ist der Einstieg in eine der komplexesten Wagner-Rollen: Weiß gewandet tritt sie auf den Plan, "sehr langsam und mit großer Verschämtheit", so Wagners Idee, in Trauer, Angst und verzweifelter Seelennot, aber auch seelenstark. Ihr Träumen bewirkt das schlechthin Unwahrscheinliche, das Wunder: Der Ritter, ihr Retter, künftiger Gemahl, erscheint leibhaftig.

Zitat

"Einsam in trüben Tagen hab' ich zu Gott gefleht, des Herzens tiefstes Klagen ergoss ich im Gebet." - Elsa im Lohengrin

Und Anna Netrebko, die neulich am Royal Opera House London die extreme Belcanto-Partie der Norma "zurückgab" mit der Begründung, ihre Stimme habe sich "in eine andere Richtung entwickelt", Netrebko gelingt hier tatsächlich die Darstellung der Elsa aus innerer Tiefe heraus: mit einer ruhig und organisch strömenden Deklamation des Gesangs, mit Intonationsreinheit und dynamischer Fantasie. Die Sopranstimme klingt mittlerweile abgedunkelt, mit einem berückenden Timbre, kraftvoll gerundeten Spitzentöne, die selbst dann, wenn im zweiten Finale der begnadete Wagner-Chefdirigent Christian Thiele-mann und die Dresdner Staatskapelle mit den Chören zu gleißendem Klangbild aufdrehen, noch wohlklingend sich darüber emporschwingen kann.

Netrebko beherrscht auch hier die alte hohe Kunst des Legato-Gesangs, der belebten Vokalbögen, sie hat dann aber, gerade in der Auseinandersetzung mit Lohengrin im dritten Akt, alle dramatische Emphase und Wucht zur Verfügung. So gehört ihr finaler Kampf gegen Lohengrins rätselhaftes Frageverbot, das Elsa um ihrer Identität und Liebe willen brechen muss, zum spannendsten des Abends. Piotr Beczala gelingt die Gralserzählung des Abschieds mit bewundernswert lyrischem Nachdruck. Die Aufführung - "nach" einer Inszenierung von Christine Mielitz von 1983 - ist von grandioser sängerischer Präsenz, welche auch Evelyn Herlitzius und Tomasz Konieczny als Ortrud und Telramund zu danken ist sowie Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Die Semperoper bebte vor Ovationen.

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SZ vom 21.05.2016
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