Oper "Pique Dame" in Mailand:Der Weg ist das Spiel

Lesezeit: 2 Min.

Das Hohelied der Hörigkeit: Polina (Elena Maximova) und der "Chor der Freundinnen". (Foto: Brescia-Amisano/Teatro alla Scala)

Matthias Hartmann inszeniert, Valery Gergiev dirigiert Peter Tschaikowskys Oper "Pique Dame" an der Mailänder Scala.

Von Helmut Mauró

Zwei zaghafte Buhs erreichten den russischen Dirigenten Valery Gergiev, als er den Orchestergraben der Scala betrat. Der Rest des Abends war - musikalisch begründet - Friede, Freude, Spannung, Tragik, große Oper. Das galt auch für den Umfang von Peter Tschaikowskys beinahe vierstündigem Musiktheater "Pique Dame", das Matthias Hartmann, der ehemalige Direktor des Wiener Burgtheaters, als zwiespältige Tragödie inszenierte. Abstrakte Bebilderung - dunkle Wand mit hintergründig beleuchteten Jalousienfenstern, auch mal grellweißes aufs Publikum gerichtetes Licht, kontrastierte er mit der Plüschwelt des Fin de siècle, riesigen Lüstern, Frauen in Reifröcken mit Turmfrisur, Männern in Uniform.

Historischer Schauplatz ist schließlich das späte zaristische Russland, die Welt der Aristokratie, die sich in Alkohol- und Spielsucht selbst zugrunde richtet. Pique Dame, das ist der Spitzname von Lizas Großmutter, einer Spielerin mit magischen Kräften, die jedes Spiel gewinnen kann. Ihr dieses Geheimnis zu entlocken, darauf spekuliert Hermann, Lizas Liebhaber und eine profund gescheiterte Existenz. Liza ist ihm komplett verfallen, die Musik überzeugt auch den letzten Zweifler. Asmik Grigorian brilliert in dieser Rolle geradezu, und das Orchester beeindruckt von Beginn an mit einem wunderbar weichen Streichertimbre und disziplinierten Bläsern. Dabei lauert es reaktionsschnell auf die Stimmungswechsel. Die klangerzählerischen und emotionalen Möglichkeiten, die Gergiev an diesem Abend aus dem Orchester der Scala herausarbeitet, sind außerordentlich.

Keine Besserungsliteratur, sondern ein psychologisches Zaubermärchen

Beinahe der ganze erste Akt ist ein einziger Liebeshymnus, ein Verlangen und Sich-Hingeben, Schmachten und Hoffen, und kein Komponist beherrscht diese großräumigen Gefühlsregister virtuoser als Tschaikowsky. Diesen intensiven melancholischen Ton eines im spärlich begleiteten Lied einsam Verzweifelnden hat man seit der Renaissance so nicht mehr gehört. Schließlich aus einem alltäglichen Unglück einen wirklichen Schicksalsschlag zu machen, der den Menschen umhaut - das schafft seine Musik so überzeugend wie kaum eine andere. Vorausgesetzt, sie kommt nicht mit schierer Wucht, sondern ist feingliedrig dramatisiert, um den eigentlichen Höhepunkt dann nurmehr als unausweichliche Konsequenz erscheinen zu lassen. Auch Regisseur Hartmann scheint ganz der Überwältigungskraft der Musik zu vertrauen und seinen Ehrgeiz bezüglich Inszenierungs-Psychologie zu zügeln.

Weder zeigt er eine verrottete Oberschicht, noch die schnöde Tragik der Spielsucht. Das hat eine herrliche Nonchalance. Selbst dann, als Hermann die Großmutter mit seinem Pistolengefuchtel zu Tode erschreckt und sie steif auf dem Boden liegt, singt Liza noch das Hohelied der Hörigkeit, die ihre Liebe ist. Niemals würde er ein Verbrechen begehen, schmettert sie, er ist nur ein Opfer der Umstände. Dabei weiß sie längst, dass sie einem Schwindler aufgesessen ist. Hermann sei es nur um das Kartengeheimnis gegangen, er habe sie nur als Türöffnerin benutzt. Und beinahe hätte auch alles so geklappt, wie Hermann sich das vorgestellt hat. Am entscheidenden Abend spielt er gegen den Fürsten Jelezki (stimmstark: Alexey Markov), mit dem Liza noch immer verheiratet ist, setzt versehentlich auf die falsche Karte und verliert alles.

Da bleibt nur eines: Man erschießt sich. Und die Moral? Gier macht nicht nur lieblos, sondern auch dumm. Dennoch: Alexander Puschkin, von dem die Erzählung stammt, hat in erster Linie keine moralinsaure Besserungsliteratur geschrieben, sondern ein psychologisches Zaubermärchen, dessen parabelhafter Charakter vielleicht doch nur klischeehafter Rahmen ist. Und Modest Tschaikowsky, der jüngere Bruder des Komponisten, hat in seiner Umarbeitung zum Opernlibretto das Phantastische und geisterhaft Düstere herausgestellt, die überall lauernde Todesnähe, den Irrsinn, der die Menschen fremdsteuert, die Rastlosigkeit und moralische Hemmungslosigkeit. Das Spannende, das erzählt die Musik an diesem denkwürdigen Mailänder Abend in aller Ausführlichkeit, ist davei weniger der peinlich-tragische Endpunkt eines spielsüchtigen Idioten, als vielmehr die schleichende Entwicklung zu diesem Ende, das immer vermeidbar und zugleich unausweichlich erscheint.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

BR-Symphoniker spielen Dvořák, Liszt und Nielsen
:Besser wird's nicht

Die großartige Pianistin Yuja Wang gastiert beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - und rettet den Abend.

Von Helmut Mauró

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: