Oper:Koloraturensprudel mit Choral

Dresden

Während auf den Straßen der Massenmord an den Hugenotten unmittelbar bevorsteht, vergnügt sich der Adel noch ausgelassen.

(Foto: LUDWIG OLAH; Semperoper Dresden/Ludwig Olah)

Peter Konwitschny inszeniert Giacomo Meyerbeers religionsfanatische Oper "Die Hugenotten" in Dresden.

Von Julia Spinola

Arnold Schönbergs "Moses und Aron" als Eröffnungspremiere und nun Giacomo Meyerbeers "Les Huguenots" zum Beschluss der Spielzeit: Beide Produktionen sind von Peter Theiler, dem neuen Intendanten der Dresdner Semperoper, als klares Statement gemeint. Wo die Dresdner Hausgötter Wagner und Strauss regieren, so erklärte Theiler im Gespräch, sollten künftig auch ihre verdrängten Zeitgenossen Meyerbeer und Schönberg heimisch werden. Theiler ist mit einer dezidierten Haltung in Dresden angetreten. In Zeiten des grassierenden Populismus müsse auch die Oper Stellung beziehen und politische Relevanz beanspruchen.

Moralische Überheblichkeit sei doch die falsche Strategie. So wirbt das Haus schon seit Beginn der Spielzeit für die "Hugenotten"-Premiere mit einem spektakulären Bild des Fotografen Andreas Mühe, das in der konservativen Landeshauptstadt für Aufsehen sorgte. Zwölfhundert maskierte Fußballfans, die "Ultras" von Dynamo Dresden, sitzen im Zuschauerraum des Opernhauses und reißen in den Rängen die Arme in die Höhe wie in der Fankurve des berüchtigten K-Blocks im Stadion. Es gehe darum, "mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen", erklärt Theiler. Die Fußballfans sollten erleben, dass das Opernhaus auch ihnen gehöre.

Religiöser Fanatismus, Pogrome, das massenhafte Hinmetzeln von Andersgläubigen: Die Themen von Meyerbeers Oper, die vor dem Hintergrund der blutigen Bartholomäusnacht eine Liebesgeschichte mit aller Opulenz inszeniert, könnten kaum aktueller sein. Der Massenmord an den französischen Protestanten in der Nacht zum 24. August 1572 war von der französischen Königin Katharina von Medici nach der strategischen Heirat ihrer Tochter Marguerite mit dem Hugenotten Heinrich von Navarra befohlen worden. Bei Meyerbeer will Marguerite eine konfessionsübergreifende Friedensehe stiften, zwischen dem Hugenotten Raoul und Valentine, Tochter des katholischen Hardliners Saint Bris, was blutig scheitert.

Bühnenbildner Johannes Leiacker hat für den Religionskrieg auf der Bühne den sich nach hinten verjüngenden Raum von Leonardo da Vincis Wandgemälde "Das letzte Abendmahl" nachgebaut.

Für die Inszenierung hat Theiler den Regietheater-Provokateur Peter Konwitschny ans Haus zurückgeholt. Dessen Skandalinszenierung der "Csardasfürstin" hatte 1999 zum harschen Bruch mit dem Haus geführt. Der Streit um die kopflos tanzenden Leichen in seiner Inszenierung war vor Gericht gelandet. Ausgerechnet beim blutrünstigen Hugenotten-Stoff zeigt sich Konwitschny überraschend zahm. Abgesehen von den recht rabiaten Strichen, mit denen er das im Original fünf Stunden dauernde Werk auf knappe vier reduzierte, zeigt er in seiner erstaunlich konventionellen Inszenierung kaum eine eigene Handschrift.

Bühnenbildner Johannes Leiacker hat für den Religionskrieg auf der Bühne den sich nach hinten verjüngenden Raum von Leonardo da Vincis Wandgemälde "Das letzte Abendmahl" nachgebaut. Je stärker die Fanatiker in ihrer Blutrunst die religiöse Botschaft pervertieren, desto kleiner wird die Replik des Gemäldes, die jeweils am Beginn der fünf Akte auf dem Vorhang zu sehen ist. Das ist ein schlüssiger Einfall. Wie die Abendmahlszene jedoch mehrfach auf der Bühne nachgestellt wird, in platter Schwarz-Weiß-Malerei nämlich, ist kaum überzeugend. Gleich zu Beginn brechen die prassenden Katholiken gemeinsam das Brot, um einander anschließend wie eine Horde von Schulbuben mit Brotstücken zu bewerfen und ihre Baguettes wie Schwerter zu schwingen.

Luxuriös wallender roter Samt markiert die Macht der dekadenten Katholiken in ihren Renaissancegewändern, während die Hugenotten in asketischem Schwarz gekleidet sind. Daran, dass die Personenführung eher an historisierende Mantel-und-Degen-Filme erinnert als an eine politisch aufrüttelnde Musiktheaterinszenierung, können auch die Bühnenarbeiter nichts ändern, die während der schönsten Liebesduette auftreten, um das Mobiliar der vorausgehenden Szene wegzuräumen. Das Zeug muss eben runter von der Bühne, aber der pragmatische Notbehelf lässt sich nur schwerlich als Brechts V-Effekt deuten. Als einzige modern gekleidete Figur tritt Katharina von Medici in einer kurzen Szene am Rednerpult auf, um den Massenmord anzuordnen - angeblich ist dies eine Originalszene von Meyerbeer, die aus Zensurgründen gestrichen worden sei. In Konwitschnys Kostümschinken wirkt sie unmotiviert und deplatziert.

Die Chöre und die Solisten schwingen sich nach einem etwas flauen Anfang von Akt zu Akt schließlich zu einer packenden Intensität auf.

Von den Abgründen dieses Stoffes, von seiner traurigen Zeitlosigkeit, seiner existenziellen Tragik künden nicht einmal die zugespielten Maschinengewehrsalven des Gemetzels am Ende. Und so wirkt auch der letzte Regieeinfall, statt des Schlusschores einen einsamen Bassklarinettisten zwischen den Leichen spazieren zu lassen, der das fragende Solothema spielt, das bei Meyerbeer in der Mitte des fünften Akts erklingt, angeheftet und wie ein larmoyanter Kommentar.

Bleibt Meyerbeers also über weite Strecken farben- und erfindungsreiche Musik, die das Verhältnis von fanatisierter Masse und den darin untergehenden Individuen mit originellen Einfällen gestaltet. Den martialischen Tutti-Exzessen der Katholiken steht der Bach-Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" als protestantische Durchhaltemusik gegenüber, während die Figuren sich immer wieder in musikalischer Einsamkeit wiederfinden, wenn ihr Gesang nur solistisch begleitet wird. Raouls Leitinstrument ist eine Viola d'amore, ein Horn begleitet die Verzweiflungsarien der Valentine. Unter der routinierten Leitung von Stefan Soltesz kann sich die anständig spielende Staatskapelle Dresden kaum zur treibenden Kraft des Dramas steigern.

Die Chöre und die Solisten schwingen sich nach einem etwas flauen Anfang von Akt zu Akt schließlich zu einer packenden Intensität auf. Vor allem die Frauen überzeugen. Venera Gimadieva als koloraturensprudelnde Marguerite, Stepanka Pucalkova mit gestochen klarem Mezzosopran als ihr Page und Jennifer Rowley als Valentine, die ihrem kraftvoll leuchtenden Sopran freilich erst im vierten Akt alle Töne der Verzweiflung, der Leidenschaft und Angst entlockt, die dann allerdings den etwas farblosen Tenor von John Osborn in der Rolle ihres Geliebten Raoul mühelos überstrahlt.

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