In seiner besten Idee macht Valentin Schwarz das Licht an und sonst nichts. Der junge Österreicher, Jahrgang 1989, inszeniert an der Oper Köln "Der Meister und Margarita" von York Höller, was angesichts des Werks an sich schon bemerkenswert ist, aber so richtig Aufsehen erregt vor allem dadurch, dass er im Sommer Wagners "Ring" bei den Bayreuther Festspielen inszenieren wird. Hier kann man sich nun wappnen für das, was einen dort vielleicht erwartet.
In Höllers Oper nun, die inhaltlich getreu Michail Bulgakows gleichnamigem, überbordendem Roman folgt, gibt es im zweiten Akt den "großen Satansball", eine etwa zehnminütige Ballettszene, in der die Musik vollkommen durchdreht. In rasendem Tempo werden Klang- und Stilzitate abgehandelt, Berlioz' Faustoper oder die von Busoni, mittelalterliche Tröten tröten, ein Barock-Consort trifft auf Jazz, die Streicher flirren, die Bässe brodeln, drumherum sorgen ein Tonband und Synthesizer für einen zwitschernden, fauchenden, knackenden Surround-Sound, im Orchester spielen Congas, eine E-Gitarre und ein E-Bass mit und mittendrin knallt noch "Sympathy for the Devil" aus den Boxen, im Original der Rolling Stones von 1968. Dazu würde eine irre Gesellschaft die Bühne bevölkern, Gerippe, Untote, Verbrecher aller Arten. Würde. Doch bei Valentin Schwarz ist die Bühne vollkommen leer, man schaut lediglich auf die Rückwand, die aus 600 Lampen besteht, die im Verlauf der herrlichen musikalischen Raserei kontinuierlich heller werden.
Das ist großartig, weil die Musik ja ohnehin alles erzählt. Davor und danach ist Schwarz keineswegs verlegen um szenische Einfälle. Diese funktionieren dann am besten, wenn man mit den Gästen der Kneipe im ersten "Star Wars"-Film vertraut ist oder serielle Comic-Adaptionen schätzt, in denen Dinge in Menschen oder andersrum verwandelt werden. Doch selbst wenn man in solchen Welten zu Hause ist, läuft die frei drehende Fantasie dessen, was sich Schwarz von seinem Kostümbildner Andy Besuch und seinem Bühnenbildner Andrea Cozzi entwerfen ließ, irgendwann leer. Dann wird es beliebig - und schrecklich langweilig. Schwarz selbst bekam zwei Tage vor der Premiere Corona, beim Schlussapplaus schaut er aus einem Laptop heraus. Das führt zu dem lustigen Umstand, dass ein erboster Besucher eben dieses Laptop beschimpft, eine Szene wie von Schwarz selbst erdacht.
Michail Bulgakow, und das macht diese Premiere erschreckend aktuell, wurde Zeit seines Lebens von Stalin zwar bewundert, aber auch permanent drangsaliert, sein Meister-Roman konnte erst 26 Jahre nach seinem Tod erscheinen. Sehr verknappt gesagt geht es darin um Folgendes: Der "Meister" hat einen Roman über Jesus, Pontius Pilatus und die Frage der Schuld geschrieben. Die kommunistischen Kulturfunktionäre, geldgierige Schacherer, sind erbost, der Meister landet in der Irrenanstalt, seine Geliebte Margarita befreit ihn mit Hilfe des Teufels Voland, der mit seinem Gefolge gleich in der ganzen Sowjetgesellschaft aufräumt. Am Ende erlöst der Meister Pilatus von dessen Schuld, an der dieser 2000 Jahre nagte.
Die Oper folgt dieser Erzählung, und somit ist natürlich viel Gelegenheit für Unsinn geboren, den York Höller mit wundervollen Klanggestalten und höchstem Aufwand vertont - die Kölner Neuproduktion ist deshalb erst die vierte Umsetzung seit der Uraufführung 1989. Die Klanggebilde ruhen auf einer irisierenden Harmonik, hineingeflochten sind die Singstimmen, deren deklamatorischer Gestus an Alban Bergs "Wozzeck" erinnert. In Köln versteht man dabei jedes Wort, was auch daran liegt, dass das riesige Orchester rechts neben der Spielfläche im Staatenhaus, der Dauerausweichspielstätte der Kölner Oper, positioniert ist. Das nimmt der Musik einiges von ihrer Überwältigungswucht, vielleicht dirigiert André de Rider auch etwas zu wenig sardonisch, aber die musikalische Qualität ist dennoch umwerfend, der anwesende Komponist glücklich und aus der insgesamt beeindruckenden Besetzung ragen Nikolay Borchev (Meister), Adriana Bastidas-Gamboa (Margarita) und Bjarni Thor Kristinsson (Voland) heraus.
Stoff gibt es also genug, Schwarz ergänzt ihn durch eingesprochene Texte und Dokumente aus dem Off, führt einen Schauspieler ein, lässt in den antiken Szenen Menschen wie gotische Kirchenfenster aussehen und auf der Lichtwand rätselhafte Worte erscheinen, bevölkert die Bühne mit menschlichem Getier und verwandelt den Schriftstellerverband in eine Künstlertruppe - van Gogh mit und ohne Ohr, Dalí, Warhol und andere -, die vor einer Campbell's-Tomatensuppenbüchse beim letzten Abendmahl sitzt. Das ist alles sehr einfallsreich. Und bringt nichts. Schwarz' "Ring" übrigens soll einer Netflixserie ähneln, so viel hat er schon verraten.