Oper:Feuchte Augen

Netrebko

Absolute Faszination, äußerst mühelos: Anna Netrebko (links), Anita Rachvelishvili und Mika Kares.

(Foto: sf/Marco Borrelli)

Die Sopranistin Anna Netrebko wird immer noch besser und besser. Nun triumphiert sie als Titelheldin in der Oper "Adriana Lecouvreur" von Francesco Cilea.

Von Egbert Tholl

Vor ein paar Tagen hatte Lukas Crepaz ein Erlebnis, das er zuvor noch nie gehabt hatte und dessen Wiederholung er keineswegs ersehnt. In seiner Eigenschaft als Kaufmännischer Direktor der Salzburger Festspiele trat er im Großen Festspielhaus vor das Publikum und teilte diesem mit, dass Anna Netrebko erkältet sei und deshalb die Titelpartie in Francesco Cileas Oper "Adriana Lecouvreur" nicht singen werde. Dunkles Grummeln war die Folge, das sich flugs zur Raserei auswuchs, als Crepaz weiter verkündete, Netrebkos Gatte, Yusif Eyvazov, werde die Partie des Maurizio zwar singen, sei aber indisponiert. Daraufhin brach ein Buhsturm los, einige der potenziellen Zuhörer empfahlen, der Tenor könne sich gleich ganz schleichen, andere rannten ins Freie, wo zuvor schon einige derjenigen, die rechtzeitig von den Auswirkungen der Atemwegserkrankungen erfahren hatten, ihre Eintrittskarten verschenkt, verkauft oder verschleudert hatten.

Dem Vernehmen nach sang übrigens Hui He, die eilends von Verona nach Salzburg verbracht wurde, die Titelpartie durchaus überzeugend. In eine Inszenierung musste sie nicht eingewiesen werden, die Aufführung war konzertant.

Drei Tage später gab es wieder Randale, allerdings solche der haltlosen Begeisterung. Netrebko war wieder gesund, so gesund, wie ein Mensch überhaupt nur sein kann. Sie sang die Adriana. Es war ein grandioses Ereignis.

Cileas im Jahr 1902 uraufgeführte Oper beginnt sehr unverblümt, die erste Szene spielt auf dem Theater. Nach ein paar Takten Einleitung plappern zwei junge Schauspielerinnen und zwei Schauspieler lustig drauflos, ihren zwitschernden Gesang versucht der Theaterleiter Michonnet einzudämmen, schließlich soll gleich Racine gespielt werden, "Bajazet". Der Fürst von Bouillon und der Abbé von Chazeuil schauen vorbei, flirten mit den Schauspielerinnen, warten auf den Star des Abends, Adriana. Dann beruhigt sich die Musik schlagartig, von ihrer Galanterie bleiben Harfenklänge und ein Schimmer der Geigen übrig - Adriana tritt auf.

Das Publikum rast und die Solistenkollegen auf der Bühne spenden Szenenapplaus

Anna Netrebko kommt von links, trägt eine grüne, fließende Toga mit Glitzereinfassung - später wird sie eine Art orangefarbenes Brautkleid und etwas von schlichter, schwarzer Eleganz tragen - und hält in der Hand ein Buch. Sie ist ganz die in ihre rolle versunkene Schauspielerin, die den Text noch einmal durchgeht, mit sich nicht zufrieden ist, obwohl ihre dunkle Deklamation schon ohne Gesang eine beeindruckende Fülle des Wohllauts ist. Dann hebt sie an zu singen, singt das Credo einer Künstlerin, vergleichbar mit dem "Vissi d'arte" aus Puccinis "Tosca", zwei Jahre früher entstanden.

"Ich bin die bescheidene Magd des schöpferischen Genies", singt sie. Gelassen breitet Netrebko, 47, die Worte und die Melodie aus, auf dem herrlichen dunklen Grund ihrer Stimme, die so einzigartig warm ist, dass man sie unter Tausenden Stimmen sofort erkennte. Dann stellt sich die absolute Faszination ein, wenn sie diese Stimme bruchlos, mit äußerster Eleganz und Mühelosigkeit in die höchsten Höhen führt und dort entfliehen lässt, als trenne sich die Stimme von ihrem Körper, als sei dieser reine Klang einfach da wie ein Ereignis. Zudem kann man dieses Credo der Adriana durchaus als das Anna Netrebkos selbst begreifen, sie singt von Treue und der Ernsthaftigkeit einer Künstlerin, "ich bin das Echo des menschlichen Dramas". Wenn die Arie endet, rast das Publikum, applaudieren die Musikerinnen und Musiker des Mozarteumorchesters Salzburg, Dirigent Marco Armiliato und Netrebkos Solistenkollegen auf der Bühne.

"Adriana Lecouvreur" beruht auf einer mehr oder weniger wahren Geschichte. Die Oper spielt um 1730, enthält viel süchtig machende Musik, Galanterie und Witz und ist doch großes Drama. Im Kern ist die Geschichte ganz simpel: Adriana liebt Maurizio, den sie für einen einfachen Fähnrich hält, er liebt sie auch, ist aber in Wahrheit der Graf von Sachsen, ein Grund, weshalb ihn die Fürstin von Bouillon begehrt, ungeachtet ihrer Ehe mit ihrem gleichfalls untreuen Gatten. Es entspinnt sich eine halbherzig verschlungene Intrige, die Liebe droht an Missverständnissen zu scheitern, die Fürstin fühlt sich bloßgestellt, schickt Adriana vergiftete Veilchen, und ähnlich wie am Ende von "La Traviata" endet die Versöhnung der Liebenden mit dem Tod der Frau.

Im Sterben verliert sich Adriana im Delirium, durchlebt ihren Beruf, die Schauspielerei. Ein Ausruf, "Ich bin Melpomene", der in seiner Verzweiflung einen tief ins Herz trifft. Anna Netrebko singt und spielt diesen Wunsch, leben zu wollen, mit solch menschlicher Kraft, dass man gebannt ist von jedem Laut, jedem Ton. Adriana glaubt, eine weiße Taube zu sein, entführt vom Licht, und Netrebko verwandelt dieses Sterben in Transzendenz, als bliebe der Klang ihrer Stimme noch ewig im Raum, selbst wenn Adriana schon längst gestorben ist. Ein Stein müsste sein, wem die Augen trocken blieben, selbst Yusif Eyvazov kämpft mit den Tränen.

Er selbst macht als Maurizio seine Sache ganz gut, seine recht monochrome, schiefermatte Stimme hat Kraft. Die Aufführung ist gut besetzt, der Bariton Nicola Alaimo hat als Theaterdirektor Michonnet viel Herz und Witz, der Bass Mika Kares und Andrea Giovannini (Tenor), die die Amateurintriganten Fürst und Abbé singen, besitzen viel stimmliche und darstellerische Präsenz, Armiliato dirigiert vielleicht nicht sehr subtil, lässt das Orchester aber herrlich leise zaubern und sorgt auch für viel rhythmischen Schmiss. Sensationell ist die böse Fürstin, Anita Rachvelishvili - ihr Mezzo ist ein Orkan. Im großen Duett mit Anna Netrebko ist sie die lautere, ihre Stimme ist wie ein riesiger Block, um den der Glanz Netrebkos leuchtet.

Bei dieser fabelhaften Künstlerin muss man keine Übertitel lesen, man weiß stets genau, was sie singt und spielt. Sie kann hier der stumme Spiegel dessen sein, wovon die anderen erzählen, sie deklamiert einmal eine lange Passage mit versteckter Selbstironie wie eine ganz große Theatertragödin aus vergangenen Zeiten. Irgendwie wird sie immer noch besser. Anna Netrebko ist ein Geschenk.

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