Die New Yorker Metropolitan Opera hat ihren berühmten Dirigenten James Levine, 74, nach Missbrauchsvorwürfen suspendiert. Drei Männer haben an diesem Sonntag öffentlich erklärt, Levine habe sie sexuell missbraucht, als sie noch Teenager waren.
Levine ist seit vier Jahrzehnten der Met Opera verbunden. Von 1976 bis 2016 sowohl als musikalischer Direktor als auch bis heute als Dirigent. Von September 1999 bis 2004 war Levine zeitgleich gefeierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. 2003 wurde er in die "American Classical Music Hall of Fame" aufgenommen.
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Missbrauchsvorwürfe:Empört Euch richtig!
Vieles, was unter #metoo veröffentlicht wird, ist schrecklich und gehört an die Öffentlichkeit. Trotzdem stellt sich inzwischen ein Unbehagen über die Unbarmherzigkeit des Verfahrens ein.
Der Geschäftsführer der Met, Peter Gelb, erklärte, alle kommenden Dirigate von Levine seien abgesagt worden, nachdem er von Reportern der New York Times auf die Vorwürfe hingewiesen wurde. Die Met hat eine Anwaltskanzlei beauftragt, die Vorwürfe gegen Levine zu untersuchen. In einer auf Twitter verbreiteten Erklärung sagt Peter Gelb, es gelte zwar die Ergebnisse der Untersuchung abzuwarten, aber "die Met hat sich entschieden, sofort zu handeln". Ein Anwalt von Levine verweigerte der New York Times eine Stellungnahme.
Zwei der drei Männer hatten der Times erklärt, sie seien von Levine Ende der 1960er Jahre über längere Zeit missbraucht worden. Chris Brown, eines der mutmaßlichen Opfer, erklärte, Levine habe ihn im Sommer 1968 unsittlich berührt und befriedigt. Levine habe ihn danach überredet, gleiches mit dem damals 25-jährigen Dirigenten zu tun. Levine soll den ganzen Sommer nicht mehr von ihm abgelassen haben. Brown erzählte später einem Mitbewohner davon. Dieser bestätigte der Times, dass Brown damals mit ihm über den Missbrauch gesprochen habe.
Brown war zu dem Zeitpunkt 17 Jahre alt und als Bassist Mitglied des Saint Paul Chamber Orchestra in Saint Paul, Minnesota. Levine galt bereits als aufsteigender Dirigenten-Star. Als weiteres Opfer erklärte James Lestock, dass ihn Levine in ähnlicher Weise berührt und missbraucht habe. Auch Lestock war damals 17 Jahre alt, Musikstudent und angehender Cellist.
Auch zu seiner Zeit in München gab es Gerüchte
Fast 20 Jahre später soll sich Levine in Illinois am damals 15-jährigen Ashok Pai vergangen haben. Levine war zu dem Zeitpunkt musikalischer Direktor des Ravinia Festivals in Illinois. Dieser Fall wurde bereits vor einem Jahr bekannt. Damals hat die Met den Fall untersuchen lassen, ist aber offenbar zu keinem Ergebnis gekommen, das für Levine Konsequenzen gehabt hätte. Levine war wenige Wochen zuvor aus Krankheitsgründen von seinem Posten als Musikdirektor der Met zurückgetreten.
Mit "Tränen in den Augen" sagte der heute 66-jährige Brown in einem Gespräch mit der New York Times: "Ich weiß nicht, warum das so traumatisch war." Oder warum er so depressiv sei. Aber es müsse etwas mit den damaligen Ereignissen zu tun haben. Er habe sich im Lichte der landesweiten Debatte über sexuelle Übergriffe dafür entschieden, seine Geschichte öffentlich zu machen.
Levine hat in seiner Karriere mehr als 2500 Mal für die Met auf dem Dirigentenpult gestanden. Die Met hat erhebliche internationale Bedeutung. Sie ist das älteste und größte Opernhaus der USA und gehört zu den Spitzenopernhäusern der Welt. Der Deutsche Musikverleger-Verband verlieh den Münchner Philharmonikern unter Levine den Preis für das "Beste Konzertprogramm der Saison 2002/2003".
Mit Levine erreicht die Debatte um sexuelle Übergriffe nach der Welt des Films und der Politik jetzt auch die Welt der Klassik. Und auch in diesem Fall wird die Frage zu beantworten sein, warum nicht viel früher reagiert worden ist.
Nach der Aussage von Peter Gelb seien Vorwürfe gegen Levine zuvor bereits zweimal in die höheren Ebenen der Met vorgedrungen. Zum einen im Oktober 2016, als die Polizei Fragen wegen des Falls von Ashok Pai stellte. Zum anderen bereits 1979. Damals hatte Met-Geschäftsführer Anthony Bliss in einem Brief den Vorstand der Met auf anonyme Vorwürfe gegen Levine aufmerksam gemacht. Nach einigen Gesprächen mit Levine wurde befunden, dass nichts an den Vorwürfen dran sei. Auch in seiner Zeit als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wurden in deutschen Medien Gerüchte über Levines Lebenswandel thematisiert, aber als haltlos abgetan.