Süddeutsche Zeitung

Oper:Die Wilde Dreizehn

Tatjana Gürbaca inszeniert in Zürich Györgi Ligetis Albtraumgroteske "Le Grand Macabre" - und springt auf der Bühne für eine erkrankte Sängerin ein.

Von Reinhard J. Brembeck

Tatjana Gürbaca ist eine große, schöne Frau, sie ist immer vergnügt, dabei versonnen und vor allem unsterblich verliebt in ihren Beruf: Sie ist Opernregisseurin und zudem eine der allerbesten. Diese Liebe funktioniert so gut, weil Gürbaca noch immer Kind sein kann und deshalb hemmungslos verspielt geblieben ist.

Aber all dies muss sich das Publikum normalerweise aus Gürbacas Inszenierungen selbst erschließen, schließlich ist die Abwesenheit des Regisseurs ja die Grundvoraussetzung fürs Theater. In Zürich aber, wo der Intendant Andreas Homoki seit sechseinhalb Jahren zunehmend beglückend das Opernhaus leitet, ist Gürbacas Metierverliebtheit jetzt offensichtlich geworden.

Kurz vor der Premiere von György Ligetis grell gruseliger und hier dankenswerterweise in pausenlosen zwei Stunden gespielter Apokalypsensause "Le Grand Macabre" - das Stück wurde 1978 in Stockholm erstaufgeführt - wird die Sängerin der machtgeil männermordenden Nymphomanin Mescalina krank (denken Sie jetzt beruhigt an das mexikanische Totmachergesöff Mescal).

Die bejubelte Abend- und Aufführungsretterin Sarah Alexandra Hudarew fliegt von Guadeloupe ein und singt die Partie voll rollendeckend von der Seite ein, auf der Bühne aber steht - Andreas Homoki erzählt den ganzen Schlamassel komödiantisch hinreißend - die Regisseurin Gürbaca und spielt stumm, aber so vergnügt, ausgelassen und lustvoll, dass man diese grandiose Aufführung nie anders sehen will.

Gürbaca ist eine hörende Regisseurin. Will heißen: Sie hört auf die Musik im Verein mit dem gesungenen Text und entwickelt daraus ihre Inszenierung. Sie respektiert das Primat der Musik, sie stülpt nichts über die Partitur, sie leitet aus der erklingenden Partitur die Szene ab, die sich nie vor die Musik schiebt. Ganz großes Kompliment!

Die einen träumen vom Turteln und Saufen, die anderen glotzen doof wie in einer Talkshow

Der Dirigent Tito Ceccherini geht mit großem Ernst und romantischer Attitüde den quäkenden Bruitismus Ligetis an, der sich in einer Schaffenskrise und als alternder Komponist das Vergnügen gönnte, vor allem Schlagzeuger und Bläser pubertär grell furzen, blöken, bramarbasieren und quieken zu lassen.

Schließlich führt der nur für den "Macabre" bekannte Autor Michel de Ghelderode eine Albtraumgroteske vor, die die Höllenbilder des Renaissancemalers Pieter Bruegel des Älteren weiterdenkt: Nekrotzar, ein klappriger, aber dennoch größenwahnsinniger Todesengel verkündet den Weltuntergang für Mitternacht, der dann pünktlich nicht eintritt. Vielleicht, so die Partitur und letztlich das von Gürbaca nur dezent angedeutete Fazit dieses Abends, weil wir alle schon längst mitten in der Apokalypse leben.

Henrik Ahr hat ihr für diese Groteske eine hermetisch an den Seiten geschlossene, sterile Riesenkiste gebaut, in die gelegentlich ein Spielzeugflugzeug hinuntergelassen wird. Hier versammelt Gürbaca schon zu Beginn des Abends alle ihre dreizehn Spieler, sie ist natürlich auch dabei und quirliges Zentrum. Ein Liebespaar, Alina Adamski und Sinéad O'Kelly, jubelt Geilheit am laufenden Koloraturenmeter und denkt nur ans Vögeln, der mal komödiantische, mal bedrohliche Leigh Melrose als Nekrotzar dagegen nur ans Metzeln und der Piet des Alexander Kaimbacher nur ans Saufen. Womit Ghelderodes Weltbild perfekt wäre, das Ligeti mit Sirenen und Hupen mal grotesk bedrohlich überhöht, mal melancholisch erotisch konterkariert, mal völlig verzweifelt in Streicherlamenti beklagt.

Während die einen vom Turteln, Saufen und der Apokalypse träumen, glotzen die anderen so doof wie in einer Talkshow. In ihrem Hang zur Albernheit lässt Gürbaca das genauso billig und niveaulos zu, wie sie kurz vor Ende Bruegels berühmtes Schlittschuhfahrerbild ein bisschen bildungsbürgerlich bevormundend zitiert. Schließlich schreibt schon Ghelderode die Bruegel-Bilder fort, lässt in seinem fiktiven Breugel-Land Sensenmann und Totenmärsche auf Kinderspiele, Sprichwörter, Hybris, SM-Orgien und Prassereien treffen.

Der Chef hier ist der schwächliche Prinz Gogo, dem Countertenor David Hansen (lila Anzug, rote Turnschuhe, rote Krawatte, dümmliches Grinsen) grandios jede Würde und Autorität verweigert. Seine schamlosen Hofschranzen regieren statt seiner die kleine Bruegelwelt, die weder durch die von Oliver Widmer und Martin Zysset mit höchster Kompetenz inkompetent gezeichneten Minister noch durch den durch Masochismus erschöpften Hofphilosophen Jens Larsen ruiniert werden kann. Das liegt auch der wundervollen Eir Inderhaug, die erst im Raumschiff die Venus zwitschert und praktische Liebesberatung leistet, dann aber als Geheimdienstchef supergeheime Botschaften in einer bis superunverständlich dechiffrierten Pseudosprache flötet und sich dabei einwickeln lässt, mit Klebeband.

Ligetis Musik spinnt die lüsterne Albernheit in existenzieller Tiefe fort

Der Spaß, den die Dreizehn da auf der Bühne haben, teilt sich dem kichernden Publikum unmittelbar. Und niemand ist böse, dass hier niemand, allen voran die Regisseurin, nach tieferen Bedeutungen sucht. Denn das will dieser Text in keinem Moment leisten.

Deshalb hat Ligeti das klassische Anti-Opern-Libretto daraus gebastelt. Damit seine Musik hier die lüsterne Albernheit fortspinnen kann in Nummern von großer Dringlichkeit, existenzieller Tiefe, grandioser Weltverlorenheit. Dafür ist in Zürich Tito Ceccherini zuständig, der all diese oft breit und langsam entwickelten Momente mit ganz großem Ernst und Selbstverständnis gegen die klapprige Kasperlshow auf der Bühne setzt.

Gürbaca kommt am Schluss wieder als keineswegs geläuterte und alle Klischees lustvoll erfüllende Nymphomanin auf die Bühne, dann, wenn sich diese Rätseloper in den Schwanz beißt, also da aufhört, wo sie begonnen hat: vögeln, saufen, schwadronieren. Da freut sich die Regisseurin, dass sie sich ganz unverkrampft und albern diesen Theaterwitz leisten konnte. Denn schließlich weiß sie ganz genau, dass sie nur den oft allzu großen Ernst dieser genialen Musik zu konterkarieren hat, damit mehr herauskommt als nur Musik. Nämlich Musiktheater, Oper also. Was für ein Vergnügen.

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SZ vom 05.02.2019
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