Oper:Die im Dunkeln sieht man gut

Tosca Gärtnerplatztheater

Erst fliegen die Blätter auf dem Schreibtisch des Polizeichefs, dann wird es mörderisch: Noel Bouley als Baron Scarpia und Oksana Sekerina als Floria Tosca in Puccinis Opernkrimi "Tosca".

(Foto: Christian POGO Zach)

In Stefano Podas Inszenierung von Puccinis "Tosca" am Gärtnerplatztheater wird heftig geliebt, gefoltert und gemordet

Von Klaus Kalchschmid

Die giftgrünen Notausgangsschilder an den Türen fallen umso mehr auf, wenn für die erste "Tosca" am Münchner Gärtnerplatztheater seit der Uraufführung im Jahr 1900 auf nachtschwarzer Bühne fast nur die dunkel gekleideten Menschen und vor allem ihre Gesichter leuchten. Das lässt diesen Opernkrimi noch mehr als sonst unter die Haut kriechen und ans Herz gehen. So müssen wir auf offener Bühne mit ansehen, wie unter dem breiten, von Schriftstücken übersäten Schreibtisch von Polizeichef Scarpia sein Widersacher Cavaradossi gefoltert und dessen nackter Oberkörper mit Messern und glühenden Eisen traktiert wird, während oben seine geliebte Tosca, die berühmte Sängerin, um sein Leben fleht.

Viel früher als in den meisten Inszenierungen wird Scarpia als brutal zudringlich gezeigt. Und "Vissi d'arte", das einsame, ergreifende Eingeständnis Toscas, dass alles Leben für die Kunst, die Hilfe für Arme, das Gebet zu Gott sie nicht vor der ausweglosen Situation des Pakts mit dem Teufel in Gestalt eines macht- und sexgeilen Mannes bewahren konnten, diese Arie ist keine effektvolle, schöne Primadonnen-Nummer, sondern der Ausdruck tiefster, bitterster Verzweiflung.

Stefano Poda, wie immer Regisseur, Ausstatter und Lichtdesigner in Personalunion, macht diesen zweiten Akt zum zentralen Stück des Abends. Dazu bilden den Rahmen das auf heftig bewegter Drehbühne immerfort um sich kreisende gestürzte Kreuz im ersten und der finale Akt, den ein gewaltiger mattsilberner Flügel dominiert: eine Anspielung auf den Originalschauplatz, die römische Engelsburg.

Mit Oksana Sekerina gibt eine russische Sopranistin ihr Deutschland-Debüt, die als Tosca in ihrer Partie zur Gänze aufgeht, die Eifersucht ebenso in ihre im dramatischen Ausbruch wie im verhaltenen Piano fein leuchtende Stimme und ihr Spiel legen kann, wie sie innig Liebende und zutiefst Verletzte sein kann, bis sie schließlich zur Mörderin wird und dem hier von geheimnisvoll fremder Hand angeschossenen Scarpia den tödlichen Stich versetzt. Sekerina gehört auch der effektvolle Schluss-Coup, mit dem die Aufführung vielleicht allzu spektakulär endet.

Dass bei Noel Bouley als Baron Scarpia und Artem Golubev als Mario Cavaradossi die Qualität des stimmlichen Ausdrucks etwas hinter dem eindrucksvollen Spiel zurückbleibt, tut der musikdramatischen Wirkung keinen Abbruch. Denn beide sind hervorragende Singschauspieler und gestalten musikalisch präzise. Zudem schärft Poda das Profil der Nebenfiguren, macht den Mesner (Levente Páll) zum aufmüpfigen, reaktionär eifernden Handlanger Scarpias, der noch widerlicher ist als Scarpias Spion Spoletta (Juan Carlos Falcón). Und wenn sonst der Hirtenknabe meist aus dem Off singt, wird hier der kleine Nestor Erofeev zur zentralen Figur, von den Schergen Scarpias in ihren langen schwarzen Mänteln lüstern beobachtet.

Aber was wäre eine "Tosca" ohne eine glühende Grundlage aus dem Graben. Anfangs muss man sich daran gewöhnen, dass das vergleichsweise kleine Gärtnerplatz-Orchester nicht die Wucht eines großen Opern- oder Symphonieorchesters entfalten kann. Dafür kommt unter Anthony Bramall das Lauernde, untergründig Brodelnde von Puccinis dichtem, oft seismografisch reagierendem Orchestergewebe gerade in der Reduktion hervorragend zur Geltung.

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