Bauaufgaben werden öffentlich ausgeschrieben. Warum nicht auch Theateraufführungen? So jedenfalls dachte man in Chemnitz. In der dortigen Gründerzeit-Oper durften sich drei junge Teams, ausgewählt unter rund hundert Kandidaten, einem Publikum präsentieren, das zugleich als Jury antrat. Es ging darum, wer im nächsten Jahr Gaetano Donizettis Oper "Don Pasquale" auf die Bühne bringen wird. Jedes Team hatte 20 Minuten, um sich und sein Konzept vorzustellen. Sie standen auf der Bühne, erklärten lebhaft, was sie vorhatten, und hinter ihnen erschienen kinoleinwandgroße Projektionen von Bühnenbildern und Kostümen.
Donizettis heitere Oper, entstanden 1843, gehört zum oft und gern gespielten Repertoire. Der alte Geizhals und Junggeselle Don Pasquale will seinem Neffen Ernesto verbieten, sich zu verheiraten, obwohl dieser sich nach der schönen Norina verzehrt. Der Hausfreund und Familienarzt Doktor Malatesta ersinnt eine Intrige, wie diese Hochzeit dennoch zu bewerkstelligen wäre: Norina wird als Klosterschülerin Sofronia Don Pasquale zugeführt, der alsbald in Liebe zu ihr entbrennt und sie heiratet -, um gleich darauf zu entdecken, dass er einen herrsch- und verschwendungssüchtigen Drachen geehelicht hat, den Sofronia/Norina extra für ihn spielt. Lieber heute als morgen wäre er die Gattin los! Dem Manne kann geholfen werden; Neffe Ernesto steht bereit, und die Geschichte hat ein Happy-End.
Eine solche Story kann sich heute wahrlich nur durch Gesang beglaubigen. Die Musik aber stand hier nicht zur Debatte, sondern die Inszenierung. Team A, geführt von der französischen Regisseurin Béatrice Lachaussé, schlug vor, das Ganze wie einen Stummfilm zu behandeln, denn die Emotionalität beider Genres, Oper und Stummfilm, sei in vergleichbarer Weise hochgetrieben, das eine durch ein Übermaß, das andere durch ein völliges Fehlen von Tönen. Pasquales Diener verwandeln sich in Dracula, Nosferatu und Frankensteins Monster. Das wurde witzig und einleuchtend vorgetragen.
Demokratische Verfahren tendieren in der Kunst zum Bewährten
Von Team B meldete sich, aufgrund von Krankheitsausfällen, allein Regisseur Nils Braun zu Wort, gerade einmal 20 Jahre alt. Er beschwor die wahre Liebe, wie sie sich face to face und nicht per Facebook ergibt. Sein Ausstattungsvorschlag orientierte sich in Kostüm und Kulisse an der Uraufführung von 1843. Amor turnt immer mit herum und sitzt im Klavier, wenn romantische Weisen geklimpert werden. Er trägt aus Schicklichkeitsgründen eine Windel.
Team C, bestehend aus Jan Eßinger und Isabelle Kaiser, war konzeptionell das kühnste. Bei den acht "Bildern", die das Werk erfordert, hatten sie sich für bunte, abstrakte aber sehr suggestive Konstruktionen entschieden. Das war durchdacht bis ins Einzelne. Pate stand das frühe Hollywood der Tanz-Revuen, unter anderem mit einem Chor aus Meerjungfrauen. Wie es wohl später aussieht, wenn sie auf ihrem gegabelten Schwanz herumhüpfen? Skeptisch stimmt die Zentralmetapher der Spieluhr: Sollte das alles zu mechanisch geraten, könnte das große Gefühl leiden, auf das eine Oper nicht verzichten sollte.
Das Haus war annähernd voll, 359 Stimmen wurden abgegeben. Der Berichterstatter verhehlt nicht, dass er für Team C gestimmt hat und hilfsweise für Team A gestimmt hätte. Gewonnen hat indessen, wie vom Intendanten in einer leicht parodistischen Nachempfindung der Oscar-Zeremonie verkündet wurde, Team B. Warum? Vermutlich, weil der Jüngste das konservativste Konzept geliefert hat. So vermochte das überwiegend ältere Publikum das Altbekannte als Aktuelles zu goutieren. Demokratische Verfahren tendieren zum Bewährten. Für die Kunst ist das nicht unbedingt ein Segen.