Süddeutsche Zeitung

Oper unter Corona-Bedingungen:Komödie Unter den Linden

Gab es schon jemals so viele Umbesetzungen wie an einem einzigen Abend Ende Januar in "Ariadne auf Naxos" an der Staatsoper Berlin?

Von Renate Meinhof

Die Oper "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss, für die Hugo von Hofmannsthal das Libretto geschrieben hat, handelt unter anderem von der Banalisierung der Kunst, vom Loslassen und vom Zwang zur Improvisation. Unter diesem Zwang stehen in Zeiten der Pandemie Opernhäuser und Theater auf der ganzen Welt, und hier, an diesem Abend in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, dürfen die wenigen Zuschauer gleich miterleben, wie Handlung und Realität zu einem überwältigenden Ganzen verschmelzen.

Von 1365 Plätzen sind 353 mit Dreimalgeimpften besetzt. Der Kronleuchter dimmt den Raum ins Schummerlicht der Erwartung, als der Operndirektor Tobias Hasan, von links kommend, ins Proszenium tritt, um Folgendes anzusagen: Es sei ja nicht ungewöhnlich, dass im Januar (Erkältung! Heiserkeit!) der eine oder andere Sänger "als indisponiert angekündigt oder gar umbesetzt" werden müsse. Ungewöhnlich sei allerdings, was er jetzt mitzuteilen habe. Hui, denkt man, wohin geht die Reise? Singen sie mit Maske? Schroten sie die zwei Stunden Strauss auf eine herunter? Der Operndirektor räuspert sich. "So übernimmt Andrés Moreno García zusätzlich zu der Rolle des Brighella auch noch die Rolle des Offiziers von Spencer Britten. Max Urlacher übernimmt von Elisabeth Trissenaar die Rolle des Haushofmeisters und gibt damit heute sein Rollendebüt."

Ein Neuling? Kann er den Text? Schon jetzt ahnt man, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Unmöglich, sich einzuprägen, wer wer war oder hätte sein sollen, wer wer ist oder sich verdoppelt hat. Aber weiter. "Corinna Scheurle übernimmt von Natalia Skrycka die Rolle der Dryade, Maria Nazarova übernimmt von Evelin Novak die Partie der Najade." Die Ersten klatschen. Toll! Und alles auswendig. "Hila Fahima übernimmt von Sarah Aristidou die Zerbinetta, Gabriela Scherer übernimmt statt ..." Halt! Stopp.

Der Rausch der Namen ist zur Melodie geworden

Warum hat man eigentlich nicht so einen Umbesetzungszettel bekommen, wie das üblich ist bei Umwälzungen und Umbesetzungen? Vermutlich haben sie bis gerade eben alles umgewälzt, sodass es zu spät war für Zettel. Man muss an Loriot denken, an die Frage: "Können Geiger eigentlich nur geigen und Trompeter nur blasen? Ist das nicht sehr eintönig?" Aber weiter. Gabriela Scherer also "übernimmt statt Anna Samuil die Ariadne, und Katharina Kammerloher singt den Komponisten anstelle von Marina Prudenskaya." Noch einmal Applaus. War es das jetzt? Moooment.

Nein, war es noch nicht. Bitte, Herr Direktor. "Zudem übernimmt Thomas Guggeis das Dirigat von Antonello Manacorda." Man versteht Anaconda, aber das macht nichts. Der Rausch der Namen ist längst zur Melodie geworden. Womöglich kommen noch andere Tiere vor. "Übermenschliches" sei in den letzten 48 Stunden im Hause geleistet worden, sagt Tobias Hasan, schaut lächelnd in den Orchestergraben und wünscht bei der "spannenden Vorstellung viel Vergnügen".

Aber ist er überhaupt er?

Oder ein anderer?

Der Abend ist großartig. Alle geben alles. Jeder ist er selbst, obwohl er ein anderer ist. Der Haushofmeister läuft mit einem Klemmbrett umher, und man weiß, da steht sein Text drauf. Opera buffa par excellence.

Können Operndirektoren eigentlich nur Opernhäuser dirigieren oder auch mal das Orchester?

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