Oper:Brünnhilde twittert

Lesezeit: 2 min

Antonio Yang als Alberich und Woong-Jo Choi als Hagen in Wagners "Götterdämmerung" in Nürnberg. (Foto: Ludwig Olah)

Mäßig gelungene "Götterdämmerung" in Nürnberg

Von Klaus Kalchschmid, Nürnberg

In den letzten Minuten gibt es in dieser szenisch fahrigen, assoziationsreich mäandernden, oftmals platt kalauernden "Götterdämmerung" in Nürnberg Bilder, die ebenso verstören, wie sie reichen Diskussionsstoff liefern: Zum Ende von Brünnhildes Schluss-Monolog richten ihr die Rheintöchter an der Rampe Schreibtisch, Lampe, Laptop und Papier. Und während - laut Wagner - nach ihrem Tod auf dem Scheiterhaufen der Rhein alles überspült und unter Beobachtung von Männern und Frauen Walhall mit den Göttern in Flammen aufgeht, twittert hier Brünnhilde und unterschreibt einen Vertrag, wohl über die Rückgabe des Rings an die Rheintöchter. Ein BR-Team filmt das und zu den letzten Akkorden recken Männer und Frauen ihre Smartphones mit einem brennenden Feuer ins Publikum.

Brennen da Flüchtlingsheime oder ist es gleich ein ganzer Kontinent? "Wie ein Vulkan erscheint uns Europa, an dessen Rändern ein Gebraus ertönt", steht da etwa, riesig projiziert, zu lesen und Followers bescheinigen "Brünni: Wow, Du bist eine starke Frau". Regisseur Georg Schmiedleitner hat schon im zweiten Aufzug Flüchtlinge zum sie attackierenden brünstig röhrenden Mannen-Chor ein Boot hereintragen lassen, in dem blaue Müllsäcke mit "Syrien" oder "Irak" beschriftet sind; Flüchtlingen, die später auch durch Milchglasscheiben die Gibichungen, soll heißen, die Verkörperung des Kapitalismus, staunend beobachten. Leider ist das alles zwar interessant und kühn gedacht, aber unausgegoren und oft beziehungslos in Szene gesetzt.

Schmiedleitners Lust zur Komik ist selten subversiv wie etwa die Frank Castorfs in Bayreuth, sondern oft erschreckend platt, etwa wenn sich ein Prackl von Siegfried (Vincent Wolfsteiner mit konditionsstarkem Tenor, der sogar ein glänzendes hohes C schmettern kann) in kurze Krachlederne und rotes Karohemd zwängt und ein Lebkuchenherz mit "Zu neuen Taten" in Zuckerguss umgehängt bekommt. Auch die Rheintöchter, die im hippen bunten Outfit in einem Brunnen unter verblichenen Sonnenschirmen lungern, und, wie im Musical choreografiert, "Frau Sonne" begrüßen, entbehren nicht der Situationskomik. Zum Spannendsten der Aufführung zählt die einleitende Nornen-Szene, wenn die weisen Töchter Erdas (Ida Aldrian, Solgerd Isalv und Anne Ellersiek) durch Ränge und Parkett klettern und zwischen den Zuschauer drei Tonbänder abrollen als sinniges Symbol für eine vergangene Form der Speicherung von Wissen. Auch die Szene des seinen Sohn Hagen (herrlich bassgewaltig, aber allzu brav: Woong-Jo Choi) heimsuchenden Alberich (Antonio Yang) hat zu Beginn des zweiten Aufzugs große psychologische Dringlichkeit.

Gleichermaßen ambivalent ist die Leistung der Staatsphilharmonie Nürnberg: Während im ersten Aufzug Marcus Bosch das dichte Gewebe der Leitmotive ebenso prägnant wie plastisch Klang werden lässt, wird im zweiten die Phonstärke über alle Gebühr angehoben, so dass nicht nur der Mannen-Chor unangenehm schreien muss, sondern auch Rachael Tovey als Brünnhilde an ihre keineswegs eng gesetzten Grenzen - und darüber hinaus - geführt wird. Im dritten Aufzug pendelt sich das Ganze wieder ein, und wenn am Ende des Trauermarschs die Kronleuchter wackeln, dann tangiert das wenigstens keine Stimmbänder.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: