Oper:Biotop des Schreckens

Das Opernhaus Köln zeigt "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann. Dabei erfüllen Dirigent, Musiker und Orchester die Partitur mit der Dringlichkeit und dem Farben­reichtum, die Zimmermann in sie hineingelegt hat.

Von MICHAEL STRUCK-SCHLOEN

Zehntausend Mark! Wahrscheinlich versprach sich der ewig klamme Bernd Alois Zimmermann von dem kargen Honorar der Oper Köln für ein abendfüllendes Musiktheater keine finanzielle Sanierung, aber den Sprung in die Berühmtheit. Am Ende, als "Die Soldaten" nach jahrelanger Arbeit im Februar 1965 in Köln uraufgeführt wurden, hat sich Zimmermann wohl gewünscht, nie eingewilligt zu haben. Anstrengende Arbeit bis zum Burn-out, Streit mit dem Verlag, Sängerintrigen, die zerbrochene Freundschaft mit dem Dirigenten Günter Wand, Selbstzweifel, ständige Belastung für die Familie -‒ "Die Soldaten" waren eine gewaltige Überforderung für alle Beteiligten.

Was waren das für Zeiten, zwanzig Jahre nach Kriegsende, als Zimmermann den Kölnern mit der Vertonung von Jakob Lenz' Komödie "Die Soldaten" (1776) das Parasitendasein des Militärs vorführte? Saßen im Saal nicht auch Altnazis, die die junge Demokratie mit Herrenmenschendünkel fatal grundierten, ähnlich den Soldaten, die bei Lenz die Bürgergesellschaft in Nordfrankreich vergiften? So fragt man sich, wenn man im Staatenhaus, dem Ausweichspielort der Oper, der ersten Kölner Wiederaufführung seit 1965 beiwohnt.

Es gibt kein Entkommen aus diesem Schreckensbiotop, das sofort seinen Wahnsinn herausschreit. Zur hysterischen Musik jagen sich Soldaten über den Laufsteg, auf den Wänden züngeln Flammen, später werden dort Wasser und Blut, Menschenleiber und verschwommene Orgien projiziert. Zum dumpfen Hämmern der Pauke mit seltsamen Rhythmusstörungen flackert synchron ein Licht auf dem Herzen der Bürgertochter Marie, die sich von einem Offizier zum nächsten hangeln wird.

Ein starker Beginn der Inszenierung von Carlus Padrissa (Regie) und Roland Olberer (Bühne), die aber gleich in der Unverbindlichkeit versumpft. Bei Lenz stößt der Zynismus des Soldatenlebens immer wieder mit Szenen aus dem bürgerlichen Leben zusammen: Töchter rebellieren gegen ihre Väter, Söhne gegen ihre Mütter, Bürger gegen die Arroganz der adligen Militärs, die sich nehmen, was sie brauchen. Padrissa setzt nicht auf die Steigerung bis zur Katastrophe, sondern auf Einzeleffekte. Marie ist ein grotesk aufgeputztes Girlie des 18. Jahrhunderts mit kokett wippendem Reifrock und einer Trikolore vor der Scham. Sie lässt sich flachlegen, um nach oben zu kommen. Die Ambivalenz zwischen Opfer und berechnender Karrieristin ist die interessanteste Idee des Abends. Die Regie will nicht unnötig verschrecken und lässt die Truppe politisch korrekt in Uniformen aus allen Zeiten und Völkern antreten. Am Ende hängen sich die Kämpfer selbst an den Galgen.

Die Musiker erfüllen die Partitur mit Dringlichkeit und Farbenreichtum

Michael Gielen, der inzwischen 90-jährige Dirigent der Uraufführung, erinnert sich mit Schaudern an endlose Soloproben mit überforderten Sängern und an die Blechbläser, die bei jeder Probe ihr mantrahaftes "Scheiße!" brüllten. Mit solchen Widerständen muss sich François-Xavier Roth nicht mehr herumschlagen. Sänger wie Martin Koch oder Nikolay Borchev absolvieren ihre schweren Partien mit großer Souveränität. Das Gürzenich-Orchester hat Roth durch regelmäßige Uraufführungen an neue Musik gewöhnt. Roth und das Orchester erfüllen Zimmermanns Partitur mit einer Dringlichkeit und einem Reichtum an Farben, dass man den hohlen Aktionismus der Szene vergisst und nur noch staunend seinen Ohren traut.

Natürlich bleibt es dabei, dass die höchste Komplexität übereinandergeschichteter Orchestergruppen nur geräuschvolles Chaos erzeugt. Doch wenn Zimmermann die Klänge auffächert und Roth es auch tut, befindet man sich im Inneren eines Raumklangs, der glitzert, hämmert, schwelgt und durch alle Dimensionen wandert. Ein Wunder gelingt in den intimen Szenen des vierten Akts, in denen die Klänge zart und zerbrechlich werden, getragen von wenigen Streichern, Cembalo und Harfe, über denen die Stimmen von Emily Hinrichs, Judith Thielsen und Sharon Kempton in Kantilenen wie von Richard Strauss schwelgen.

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