Süddeutsche Zeitung

Oper:Aus dem Leben der Marionetten

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Der amerikanische Regisseur Yuval Sharon inszeniert Mozarts "Zauberflöte" an der Berliner Staatsoper als bunte Märchenwelt.

Von Reinhard J. Brembeck

Emanuel Schikaneder war ein Niederbayer und folglich ein Multitalent. So triumphierte er 1777 als Shakespeares Hamlet in München, tanzte Ballette, schrieb Theaterstücke und Libretti, betätigte sich als Kathedralchorsänger und Impresario. Und er schrieb für Mozart "Die Zauberflöte", in der er den Vogel-, Mädchen- und Weibchenfänger Papageno singspielte. Das klang unter Garantie nicht so glatt untadelig, wie es die heutigen Baritonsänger hinkriegen. Sondern vermutlich eher so, wie wenn Wolfgang Ambros den Papageno singen würde. Schließlich kann jeder halbwegs musikalische Durchschnittsmann die Papageno-Songs nachsingen.

Vermutlich hat die Berliner Staatsoper Unter den Linden aus all diesen Gründen (historische Aufführungspraxis!) den Wiener Meisterschauspieler Florian Teichtmeister für den Papageno in ihrer Neuproduktion der "Zauberflöte" verpflichtet. Und der singt jetzt so unbelcantistisch wie eben ein Liedermacher, dem der Text, also vulgo die Botschaft, allemal ein bisschen wichtiger sein muss als die Musik. Wofür er einige Buhs einstecken musste. Doch Teichtmeister, dem Quereinsteiger und Querschläger, gelingt an diesem Abend die Rettung Papagenos und der "Zauberflöte". Weil Schikaneders oft belächelter Text bei ihm endlich mal professionell gesprochen und gesungen wird, wird der Papageno zur zentralen Rolle. Teichtmeister treibt diesem Text alle Schlacken des Biederen, Bürgerlichen und Banalen aus. Er macht klar, worum es hier (unter anderem, aber vor allem auch) geht: Wie die sexuelle Hörigkeit in ein modern aufgeklärtes Staatsgebilde eingebaut werden kann, ohne dass dieses durch die Leidenschaft zersetzt wird und ohne dass die Leidenschaft kastriert werden muss wie in religiös rigiden Systemen.

Weil Teichtmeister all die üblichen Papageno-Kindereien unterlässt, wird schmerzlich klar, dass hier alle, Frauen wie Männer, nach einer Möglichkeit suchen, Liebe und Sex in der Gesellschaft zu leben. Es ist dies für alle eine Frage auf Leben und Tod. Weshalb Papageno wie Pamina Selbstmordversuche unternehmen, als sie diese Vereinbarkeit in unerreichbare Ferne gerückt sehen. Teichtmeister legt als Nichtsänger und Textmeistersprecher endlich einmal diese so oft veralberte Schicht des Stücks frei.

Der Erkenntnisgewinn dieses leicht nervigen Settings ist überschaubar dürftig

Weil er ein Nichtsänger ist, wird auch der Abstand zwischen seinem verfressen sinnlichen Unterschichtantihelden und dem Oberschichtkarrieristentenor Tamino als eine unüberwindliche Kluft deutlich. Julian Prégardien singt untadelig schön sauber. Das macht den Tamino zu einem unerreichbaren Helden, zu einem kalten Unsympathen, der auf seinem Weg zur Herrschaft alles zu opfern bereit ist: Freundschaft, Menschlichkeit, Gefühle, Liebe, seine Pamina.

Was die Pamina der Serena Sáenz Molinero, eingesprungen für die erkrankte Anna Prohaska, den Star des Hauses, nicht daran hindert, mit höchsten und klaren und feinsten Tönen ihre doch nur eingeschränkt erwiderte Riesenliebe zu diesem Ekel-Tamino zu bekunden. Schließlich vermag sich niemand gegen die Liebe zu behaupten, wenn sie einen einmal in all ihrer brutalen Unerbittlichkeit überfallen hat. Alle anderen Sänger bieten vokal vorzügliche und gediegene Rollenporträts, die keine Überraschungen oder Neudeutungen mit sich bringen. Das gilt für den Potentaten Sarastro des Kwangchul Youn genauso wie für Tuuli Takalas im feministischen Abseits landende Königin der Nacht, Florian Hoffmanns Underdog Monostatos oder die quirlige Papagena der Sarah Aristidou, die ebenfalls kurz vor der Premiere einsprang.

All dieses hier in letzter Sekunde abgewendete Liebesunglück begleitet Dirigentin Alondra de la Parra, auch sie eine Einspringerin (für Franz Welser-Möst), mit warmen eleganten Orchesterklängen.

De la Parra lässt die angenehm auf Mozart-Format verkleinerte und nie präpotent aufspielende Staatskapelle Berlin immer zügig, immer frisch agieren, sie meidet existenzielle Löcher und alle Romantizismen, sie verfällt nie in die Überdeutlichkeiten der historischen Aufführungspraxis. Gäbe es da oben auf der Bühne nicht Florian Teichtmeister, dann wäre die Orchestermusik vielleicht ein wenig zu unbeteiligt an den Seelenqualen ihrer Helden.

Sehr viel mehr als Florian Teichtmeister zieht der Regisseur Yuval Sharon den Unmut etlicher Zuschauer auf sich, deren Buhs sind dezidiert wütend. Das liegt vermutlich daran, dass Sharon den ganzen Abend als ein Marionettenstück in einer quietschbunten Kindermärchenwelt präsentiert. Alle Sänger hängen an gelben Marionettenseilen, an denen sie hochgezogen und herumgeschubst werden. Pamina wie Tamino sind wie Pinocchio aus Holz geschnitzt und stecken in klobig roten Playmobilstiefeln, die drei Damen schweben als eine von Elephantitis befallene nackte Monsterfrau über der Bühne und Papageno erlebt mit seiner Papagena das finale Glück in einer spießigen Billigeinbauküche.

Die Sprechpassagen werden (außer der des Papageno) nicht von den Sängern, sondern von Kindern gesprochen. Von jenen Kindern, erst das Schlussbild stellt das klar, die "Die Zauberflöte" als Marionettenspieler für einen Kindergeburtstag aufführen. Der Erkenntnisgewinn dieses mit der Zeit leicht nervigen Settings ist überschaubar dürftig. Vor allem aber läuft die damit einhergehende Kinderei den Intentionen Florian Teichtmeisters zuwider, der das Stück so wohltuend vor den Papageno-üblichen Albernheiten rettet. Was zuletzt in einem Patt endet, das sich auch im Beifall abbildet, in dem Zuspruch und Ablehnung heftig aufeinandertreffen.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2019
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