Open Air:Idealismus mit Bumms

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Unkonventionelles Arbeitsgerät: Valery Gergiev ist, auch wenn er mit einem Bleistift dirigiert, eine Autorität. (Foto: Marcus Schlaf)

Die Philharmoniker bei "Klassik am Odeonsplatz"

Von Egbert Tholl, München

Valery Gergiev ist immer für eine Überraschung gut. Etwa die, dass er bei "Klassik am Odeonsplatz" ein Programm dirigiert, das die strengsten Maßstäbe eines Innendrinnenkonzerts erfüllt und keine Zugeständnisse an die Frischluftsituation macht. Oder auch bezüglich seines Arbeitsgeräts: Diesmal dirigiert er nicht mit einem Zahnstocher, sondern mit einem Bleistift, den er von seinem Hotel mitgenommen hat. Das ist kein Jux, das hat Methode: Der Bleistift ist weiß und sei in der speziellen Bühnensituation auf der Feldherrnhalle gut zu sehen, wo die Münchner Philharmoniker unter weißen Partyzelten versteckt sind, weil irgendjemand Angst vor dem Regen hatte, der nicht kam. Akustisch findet der Tüftler Gergiev die Zelte auch nicht gerade umwerfend.

Macht nichts, draußen klingt das anders. Wobei man von Reihe 22 aus auch nicht weiß, wie das Ganze auf der Höhe vom, sagen wir mal, Schumann's klingt. Also das Programm: Beethoven. "Coriolan"-Ouvertüre, satt und tief ist der Klang, seidig glänzen die Streicher im Legato; müssen sie streng marschieren, kommen sie allerdings kurz durcheinander. Danach das fünfte Klavierkonzert, am Flügel, versteckt zwischen den Musikern, Daniil Trifonov. Der wirkt ja wie ein Figur aus einem Dostojewski-Roman, glühender, fiebriger Blick, was man dank der partiturgetreu geschnittenen Bilder auf der Videoleinwand schön beobachten kann. Weniger fiebrig ist sein Spiel, obwohl er aufgeregt auf dem Hocker herumhüpft. Aber noch im ersten Satz kann er einen unendlich poetischen Reiz erzaubern, den er im zweiten Satz bis zur Lähmung ausbreitet, um dann im dritten nie mehr dorthin zurückzugelangen, wo er begonnen hat: bei einer inbrünstigen Kommunikation mit dem Orchester. Aber er strahlt kindlich rein ob der Großartigkeit der Musik und schludert danach als Zugabe noch einen Beethoven-Sonatensatz hinterher (op. 31/3).

Schließlich erfüllen Gergiev und die Philharmoniker alles, was sich mit "Coriolan" andeutete: Die fünfte Symphonie wird zum tiefernsten, heroischen Triumph des Idealismus', altmodisch, fabelhaft, umwerfend. Da wird Klang gebaut wie ein Monument aus schweren Steinen, das Musizieren wirkt wie eine Herkules-Aufgabe. Seit Gergiev Chef der Philharmoniker ist, hat er kein Klassik am Odeonsplatz ausgelassen. Das ist vorbildlich. Er weiß, was sich für einen Chef gehört. Und husch ist er weg Richtung Bayreuth. Zuvor gibt es noch schnell eine perlende Zugabe, aus Mendelssohns "Sommernachtstraum".

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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