Open Air Festival:Wer in Wacken das Licht ausmacht

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Es ist die reine Gigantomanie: Das "Wacken Open Air" ist das größte Heavy-Metal-Festival der Welt. Um es zu realisieren, muss die Infrastruktur einer 50.000-Einwohner-Stadt auf die holsteinische Wiese geklotzt werden. Kopf dieser logistischen Großtat ist Thomas Hess - der erste und letzte Gast des Festivals.

Bernd Graff

Unmittelbar vor der Wackener Bühne, einer von drei Hauptbühnen, stehen die Fotografen. Hinter ihnen eine Absperrung. Dann eine Gasse. Dann wieder eine Absperrung. Bühnenseits vor dieser Absperrung stehen Ordner und Sicherheitsleute, die das Gardemaß von Kühlschränken der gehobenen Preisklasse haben.

Der Herr im Dunst ist Robert Hadford, Sänger von Judas Priest. Dafür, dass die Nebelmaschinen funktionieren, sorgt Thomas Hess.  (Foto: Flemming Fiedler)

Unmittelbar vor diesen Hünen erstreckt sich, nun ja, was erstreckt sich da eigentlich? Sagen wir, eine aus 50.000 heftig bewegten Menschen-Leibern tobende, pulsierende, wabernd-drückende Biomasse: das Publikum.

Die Ordner, ihre breiten Rücken der Bühne zugewandt, haben nur diesen Sperrzaun zwischen sich und der tobenden Menge. Und dann passiert das: Auf der Bühne, deswegen sind bis auf die Ordner ja alle gekommen, spielt eine Berliner Band mit dem lustigen Namen Knorkator. Stilrichtung ist "Fun Metal", was soviel bedeutet, dass gut ausgebildete Musiker mit höchst eigenartigen Begabungen in sinnlos fröhlichen Kostümen sinnlos fröhliche Lieder darbieten, die, das muss man ihnen attestieren, sinnlos fröhlich machen.

Der Sänger "Stumpen", der fast eine gesamte Körperhälfte blau tätowiert trägt, kommt auf diese Idee: "Hey, Leute! Wir zeigen jetzt mal, was 'Crowd Surfen' wirklich bedeutet." "Crowd Surfen" ist das: Menschen aus dem Publikum lassen sich auf den Händen Anderer bis vor die Bühne stupsen. Sie werden also von abertausenden Händen nach vorne bugsiert - Richtung Ordner bewachte Absperrung.

Bislang standen dort an die 10 Ordner, die Crowd-Surfer in Empfang nahmen und durch die Gasse wieder ins Publikumsfeld zurück schickten. Nun, nach Stumpens Ankündigung, sind es in Minutenschnelle 50. Denn danach hat ein Surfer-Stakkato eingesetzt: Im Sekundentakt erreichen Leiber die Absperrung, werden von den Ordnern aufgefangen, über die Absperrung gehievt und durch die Gasse zurück geschickt.

Die Ordner stehen wie Legionäre in drei Reihen: Eine fängt Leiber, eine dirigiert den Gänsemarsch durch die Gasse, eine ruht sich aus. Tatsächlich: eine ruht sich aus. Denn obwohl diese Ordnerhünen Kraftpakete überdurchschnittlichen Ausmaßes und keine aufgeblasenen Body Builder sind, also echte Muskelmänner, schaffen sie es kaum länger als fünf Minuten, an der Absperrung zu stehen und Leiber sicher darüber zu hieven.

Ein Spaß für Dick und Dünn

Denn, auch das: Crowd Surfen ist offensichtlich ein Spaß für Dick und Dünn. Die Ordner heben, fangen, halten Menschen jeder Gewichtsklasse. Und wer schon einmal auf einem Heavy Metal-Konzert war, weiß, dass dort nicht nur die Töne schwer sein können, sondern auch die Fans. Ich habe noch nie Männer so hart heben, stemmen, schwitzen gesehen wie die Ordner bei dem Knorkator-Konzert zu Wacken 2011. Sie wuchten bis zur Erschöpfung, trotz der Ruhe-Reihe.

Mit solchen lustigen Künstlereinfällen zu rechnen, dieses Sicherheitskonzept zu planen und während des Festivals zu organisieren, ist eine der Aufgaben von Thomas Hess. Er ist der Produktionsleiter in Wacken seit 15 Jahren.

Das Open Air Festival in Schleswig Holstein, DIE KIRCHWEIH für Heavy Metal-Fans aus der ganzen Welt, kurz W:O:A (Wacken Open Air), ist seitdem gewaltig gewachsen. Mit ihm die Aufgaben und auch die Dimensionen, in denen diese Aufgaben bewältigt werden müssen: Denn, es ist Eines, einen fußballfeld-großen Platz mit einer Bühne und etwa 10.00 Fans mit Strom, Wasser, Nahrung und Sicherheit zu versorgen. Ein Anderes, ein mittlerweile 220 Hektar großes Areal mit 75.000 Zuschauern. Das ist die aktuelle Größe des Wacken-Festivals. "Und an der", sagt Hess, "werden wir auch nichts mehr ändern. Wacken hat die Wachstumsgrenze erreicht. Wir könnten, aber wir wollen nicht mehr wachsen."

Der 50-jährige Hess, gebürtiger Hesse, ist eine beeindruckende Erscheinung: Er könnte, wäre er etwas jünger, einer seiner Sicherheitsleute an der Bühnenabsperrung sein. Wuchtig, braun gebrannt, Wikinger-Bart, Ring im Ohr und Designerbrille. Und- die Ruhe selbst.

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Er nennt sich selber den "Hausmeister von Wacken". Tatsächlich ist er als Produktionsleiter verantwortlich für nahezu alles, was sich vor, während und nach W:O:A schützen, bewegen, anschließen, schrauben lässt: also für Sicherheit, Transport von Material, Strom, Frisch- und Abwasser, Bühnen-Auf- und -Abbau. Und für 35 km Bauzaun, der das Festival-Gelände von den umgrenzenden Äckern der schleswig-holsteinischen Scholle abgrenzt.

Thomas Hess - der "Hausmeister von Wacken". (Foto: oH)

"Die Planung für Wacken dauert ein ganzes Jahr", sagt Thomas Hess am vorletzten Tag des Festivals 2011. "Wir planen jetzt schon W:O:A 2012." Er selber ist der erste und letzte Gast dieser Veranstaltung. "Einer muss ja schließlich das Licht an- und wieder ausmachen und schauen, ob die Wasserhähne auch abgedreht wurden."

Dazu kommt er sechs Wochen vor dem ersten Konzert in das Nichts auf die da noch friedlich grünenden Wiesen, campt ab dann dort, spricht mit allen, die mit Aufbau, Organisation und Zulassung zu tun haben. "Die Behörden hier vor Ort sind absolut zuvorkommend. Wir sind ja inzwischen auch einer der größten Wirtschaftsfaktoren für das Land."

In seinen sechs Wochen organisiert Hess: den Aufbau von 750 Dixie-Klos und 1400 "wassergespülten Toiletten-Einheiten", so nennt er sie, das Verlegen von Abwasserleitungen für täglich 2500 Kubikmeter Gebrauchtwasser, er überwacht das Verlegen von sechs Kilometer flexibler Stromleitungen, das Aufstellen von Schallschutz-Wänden für die Wackener Ureinwohnerschaft. 280 Verteilerkästen wie Dieselaggregaten für Strom wollen platziert sein, um während des Festivals acht Megawatt Leistung zu erbringen. Das ist der Bedarf einer Kreisstadt mit 50.000 Einwohnern.

Hess dirigiert 1000 LKW mit Material für Bühne und Gastronomie, bringt sechs Sattelzüge Tontechnik, 65 Sattelzüge Bühnenmaterial und 18 Sattelzüge Lichttechnik an die sieben Haupt- und Nebenbühnen. 650 Tonnen Stahl müssen in Bühnen verwandelt werden. Dazu lässt Hess zwei Kilometer mobile Schwerlaststraße auf die Wiesen verlegen.

Er ist überhaupt Herr über 5000 Mitarbeiter, die im Laufe der sechs Wochen nach und nach dazu stoßen. Er hütet an die 350 Fahrzeuge seines Fuhrparks, ist erster Ansprechpartner für täglich 200 Polizisten, 200 Ärzte und Sanitäter, 200 Feuerwehrleute. 700 Mitarbeiter gehören zu seinem Sicherheitsdienst: "Das sind die Schränke. Ach ja", sagt er, "ich überwache während des Festivals auch noch die WC-Reinigungsdienste und die Gastronomie-Tester."

Letztere sind während des Festivals nur damit beschäftigt, an den 100 Gastronomie-Ständen Stichproben-Futter zu erstehen. Da die Gastronomen nur wissen, dass ihre Ware gestestet wird, nicht aber, wann und vom wem, soll so sicher gestellt werden, dass - wie Hess sagt: - "kein Scheiß an die Leute verkauft wird." Denn, wer auffliegt mit schlechter oder gestreckter Ware, verliert die Lizenz. Das will keiner.

Unter Spontanfluchtbedingungen verlassen

"Während des Festivals", so Hess, "muss ich kaum noch etwas handgreiflich tun. Ich kommuniziere und organisiere von meinem Büro aus - immer in der Hoffnung und im Vertrauen, dass ich vorher alles richtig geplant und an alles gedacht habe. Bei mir laufen alle Leitungen zusammen, aber nicht die für Abwasser."

Sieben Tage dauert so der Bühnenaufbau. Der Abbau ist in zweieinhalb Tagen erledigt. "Noch während des letzten Konzerts werden die anderen Bühnen bereits demontiert."

Das Festival endet in der Nacht zum Sonntag. Sonntag morgen um acht ist die gesamte Tontechnik bereits abtransportiert. Sonntag Nachmittag um vier das Licht. Spätestens Mittwochabend steht keine Bühnenstange mehr. "Und dann", so Hess, "reinigen wir die Flure." Damit meint er das Entmüllen der Campgrounds, auf denen die 75.000 genächtigt haben und die anscheinend unter Spontanfluchtbedingungen wieder verlassen wurden: Aus den Wiesen ist - vor allem nach den heftigen Regenfällen während des Festivals - ein schwerer Morast geworden, auf dem verlassene Zelte, Sonnendächer, Habseligkeiten und Müll herrenlos herumliegen.

"Am Ende", sagt Thomas Hess, "dann, wenn alles vorbei ist, wenn wieder Wiese ist hier in Wacken, dann, ja dann geht es einfach nur weiter. Wacken 2012 wartet ja nicht."

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