"Only God Forgives" im Kino:Eine Saison im Fegefeuer

Kinostarts - "Only God Forgives" von Nicolas Winding Refn, mit Ryan Gosling

Ryan Gosling spielt Julian, einen jungen Boxer, der den Tod seines Bruders rächen soll.

(Foto: dpa)

Ryan Gosling und Regisseur Nicolas Winding Refn begeben sich auf einen blutigen Trip durch Bangkok. Der Film "Only God Forgives" ist ein surreales Obsessions- und Rachespektakel, Refn zelebriert Kunst als einen Akt der Gewalt. Das Ergebnis wird selbst Fans des Erfolgsfilms "Drive" verstören.

Von Fritz Göttler

Die Bühne ist eingerichtet, ein mondäner, schwülstig vollgestopfter Salon in Bangkok, irgendwo zwischen Kaffeehaus und halbseidenem Etablissement. Blaue Lichtpunkte geistern discohaft durch den Raum. Schwere Sessel, bauchige Stehlampen, kleine Kronleuchter mit rosa Tropfgehänge, Apollobilder an den Wänden.

Ein Junge mit nacktem, tätowiertem Oberkörper sitzt auf einem Sofa, als gehöre er zur Ausstattung. Jetzt hört mir mal zu, Mädels, instruiert ein Polizist in Uniform die Leute im Raum für die Nummer, die nun folgen wird, haltet jetzt die Augen geschlossen, ganz egal was passiert. Und die jungen Frauen, aufrecht in rüschenverzierten Kleidern in den Sesseln sitzend, tun, was er sagt.

Selbstheilung durch Gewaltorgasmen

Es wird hart werden, denn nun beginnt Chang seine Performance. Es hat einen Mordanschlag gegeben auf ihn, er möchte von einem Mann, der da in einem Sessel lümmelt, wissen, wer dazu angestiftet hat. Chang ist nicht mehr im Polizeidienst, daher ziemlich frei in seinen Methoden, sehr systematisch, grausam, rituell.

Er zieht einer Frau zwei Haarnadeln aus dem Haar und durchtänzelt den Raum wie ein Torero, zu dem Mann, der sich weigert, mit den Informationen herauszurücken . . . Das ist einer der wahrlich infernalischen Momente, mit denen dieser Film gespickt ist.

Bangkok ist ein Fegefeuer, durch das man hindurch muss in diesem Film. Eine Mixtur aus Fünfzigerjahre-Kitsch und brennend intensivem Neonglühen, aus Spießigkeit und Sadismus. Ein unaufhörliches Maskenspiel der Perversion. Ein Nippes-Purgatorium. Alle Interieurs schauen hier irgendwie nach Bordell aus. Und nach einer dem Westen verloren gegangenen Naivität der Liebe und ihrer Spiele.

Auf Rache folgt Rache

Nicolas Winding Refn, der große Höllenfahrer und Verstörer des Kinos dieses Jahrhunderts, und Ryan Gosling, sein treuer, kollaborativer Star, sind nach Bangkok gegangen, um ihre Zusammenarbeit nach dem erfolgreichen L. A.-Neonoir Drive weiterzuführen, um eine Antwort zu finden auf diesen Erfolg, der ihnen in Hollywood die Türen öffnete für publikumsgerechte, mehr oder weniger normierte Millionenprojekte.

Sie wollten vor allem eines mit Only God Forgives - diese Türen möglichst krachend wieder zuschlagen. Und sich dadurch die eigene Unabhängigkeit bewahren. Ein kreatives Purgatorium.

Wahn und Ego

Gosling ist Julian in diesem Film, ein junger Amerikaner, der einen Boxbetrieb in Bangkok betreibt und hinter den Kulissen mit Drogen handelt. Sein großer Bruder bringt im Furor ein vierzehnjähriges Mädchen um und wird dafür seinerseits getötet.

Die Mutter, dominante Figur im Drogenring, Kristin Scott Thomas als unverschämt blonder Vamp, kommt aus Florida, um den toten Bruder zurückzuholen in die USA, wohin Gosling nicht zurückkann, er hat dort getötet. Nun soll er, verlangt die Mutter, den Bruder rächen, den Rächer Chang töten, der mit seinem Schwert durch die Straßen zieht. Und sich selber heilen durch Gewaltorgasmen.

Eine einfache Geschichte, ein Mann und seine Einsamkeit, die er füllt mit seiner Egomanie, seiner Überheblichkeit, seiner Präpotenz, seiner Eitelkeit, seinem Narzissmus. Die ihn anfällig macht für alle Formen der Selbstzerstörung. Nicolas Winding Refn liebt es, in Interviews zum Film diese Figur auf sein eigenes Leben zu beziehen, seine wildschlingernde Karriere.

Das Fiasko als Erweckungserlebnis

Er hatte nach Pusher, einem Gangsterstück aus Kopenhagen, versucht, sich in Amerika mit dem selbstproduzierten Fear X zu etablieren - und musste nach dem Misserfolg nach Dänemark zurück, um seine Schulden abzuarbeiten mit zwei weiteren Pusher-Filmen. Das Fiasko war ein Erweckungserlebnis. "Das Beste, was mir passierte. Es bläute mir wieder Vernunft ein. Ich erkannte, dass man nicht auf dem Wasser wandeln konnte, und dass leerer Wahn und Ego destruktiver sind als Drogen."

Man kann die Filme von Nicolas Winding Refn nicht als einzelne sehen, man muss immer die ganze Linie im Auge behalten, zumindest den Film, den er jeweils davor machte. Das God-Projekt war bereits vor Drive geplant, ein Deal mit französischen Produzenten, Gaumont und Wild Bunch.

Zwei billige Filme wollte Refn für sie machen, für ein paar Millionen Dollar - nach God dreht er als Nächstes I Walk with the Dead, einen Horrorfilm mit Carey Mulligan, die neben Gosling in "Drive" spielte. Den eleganten fließenden Rhythmus, der Drive den Welterfolg sicherte, nimmt God brutal wieder zurück, er zelebriert statuarische Einstellungen, monochrome Hintergründe, frontale Einstellungen, labyrinthisch aneinandermontiert.

Kunst als ein Akt der Gewalt

Nach dem Fernen Osten schielt Hollywood schon eine lange Zeit - der Markt dort bietet immer noch unerschlossene Absatzgebiete. Seit Jahren bemüht man sich, in China die Quote der gestatteten Auslandsfilme zu lockern, inzwischen werden die großen Blockbuster schon mit Hinblick auf diesen Markt gestaltet und - siehe Iron Man 3 oder Django Unchained - im Nachhinein umgestaltet. Only God Forgives ist von diesen Tendenzen unberührt, er zeigt ein mythisches Bangkok, eine westliche, fundamentalistische Phantasie. Ein Vanitas-Bild, gespeist aus europäischen Traditionen, inszeniert nach amerikanischen Genreritualen.

Der Film ist dem surrealistischen Bilderstürmer Alejandro Jodorowsky geweiht, seinen bösen, obsessiven Filmexzessen der Siebziger, aber es gibt auch jede Menge Erinnerungen an Buñuel und Kenneth Anger, Vertigo und Blue Velvet. Der Manierismus ist gesteigert bis zur Unerträglichkeit, alle Bewegungen und Aktionen sind symbolisch mehrfach belastet, und die Musik von Cliff Martinez klingt wie ein Synthesizer-Hochamt.

Kunst als ein Akt der Gewalt, diese Vorstellung nimmt Nicolas Windign Refn ganz wörtlich. Er filmt Pulp Fiction, ganz wörtlich, selbst Ryan Goslings Gesicht ist am Ende zu Brei geschlagen. Tarantinos Filme sind verspielte Tändeleien dagegen.

God ist kein Film, in dem der Star gut wegkommt. Die vielgerühmte Coolness von Ryan Gosling ist gepaart mit europäischer Spießigkeit, der von Nicolas Winding Refn, dem Jungen aus dem braven Dänemark. Was Drive und God verbindet, ist der Mythos der Protektion. Die Männer in diesen Filmen treibt der Wunsch, bis zur Besessenheit die anvertrauten Frauen und Kinder zu beschützen, bis zum blutigen Exzess. Männerphantasien. Söhnetraumata. Von Vergebung kann keine Rede sein.

Only God Forgives, Thailand/F/S/USA 2013 - Regie, Buch: Nicolas Winding Refn. Kamera: Larry Smith. Musik: Cliff Martinez. Schnitt: Matthew Newman. Produktionsdesign: Beth Mickle. Mit: Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Tom Burke, Yayaying Rhatha Phongam, Vithaya Pansringarm, Byron Gibson, Sahajak Boonthanakit. Tiberius, 90 Min.

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