Online-Videotheken:Streaming Wars

Roma

Eine Woche lang in deutschen Kinos, dann schon auf Netflix: Alfonso Cuaróns Venedig-Gewinnerfilm „Roma“.

(Foto: Netflix)

Ein 35-Milliarden-Dollar-Markt mit rasantem Wachstum: Warum Disney, Warner und Apple nun gegen Netflix und Co. antreten. Und was das für Zuschauer - und Kinos - bedeutet.

Von David Steinitz

Für den Streamingdienst Netflix ist Unterhaltung laut Firmenselbstauskunft "ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen - so wie Freundschaft". In dieses Bedürfnis hat das Unternehmen 2018 stolze acht Milliarden Dollar investiert, um Filme und Serien einzukaufen oder zu produzieren. Eine gigantische Summe, die eine Kampfansage an all die anderen Firmen ist, die im boomenden Markt mit den Online-Videotheken mitspielen wollen. Dazu gehören Amazon, aber mit Disney und Warner bald auch zwei traditionelle Hollywoodstudios, die 2019 eigene Dienste starten. Auch Apple macht sich in der Filmproduktion breit und schließt derzeit mit Filmemachern wie Steven Spielberg Verträge. Dass in diesem Bereich viel Geld zu holen ist, zeigt eine Studie des Marktforschungsinstituts Digital TV Research. Bis Ende 2018 würden mit Streaming weltweit über 35 Milliarden Dollar umgesetzt - zehn Milliarden mehr als 2017 und dreimal so viel wie 2015. Auch die Kinolandschaft steht wegen dieser Goldgräberstimmung vor Umbrüchen, weil zum Beispiel Netflix verstärkt auch auf Kinoauswertungen setzt. Ein Überblick über eine Branche im Wandel.

Wie Disney den Streaming-Markt erobern möchte

Die Disney Company ist das mächtigste Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. In den Top Ten der erfolgreichsten Filme aller Zeiten befinden sich fünf Disney-Produktionen, aus dem Jahr 2018 zum Beispiel das Superheldenspektakel "Avengers: Infinity War". Der Konzern scheint also einiges richtig zu machen, und dieses Know-how will Disney-Chef Bob Iger auch für einen eigenen Streamingdienst nutzen. Der soll "Disney+" heißen und in der zweiten Jahreshälfte 2019 online gehen. Neben Serien, zum Beispiel aus dem "Star Wars"-Universum, hat Bob Iger unter anderem ein Remake von "Susi und Strolch" angekündigt, das exklusiv bei Disney+ zu sehen sein soll. Disneys Trumpf: Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen haben Familien und Superheldenfans überdurchschnittlich oft mindestens ein Streamingabo (94 und 89 Prozent) - und bei beiden Zielgruppen ist Disney ohnehin schon Marktführer. Weil Disney 2018 das Hollywoodstudio Fox gekauft hat, kommt noch mal eine große Anzahl an Filmen hinzu, die auf dem Streamingdienst zu sehen sein könnten. Fox-Produktionen gewinnen regelmäßig viele Oscars, dieses Jahr zum Beispiel das Drama "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri". Auch das ist für Disneys Streaming-Ambitionen reizvoll, denn viele Eltern wollen vielleicht mal etwas anderes sehen als "Susi und Strolch". Disneys größtes Problem: Diverse eigene Klassiker sind an andere Sender und Dienste sublizenziert worden, lange bevor von Streaming die Rede war, weshalb sie vorerst gar nicht auf Disney+ gezeigt werden können.

Welche neuen Konkurrenten noch in Streaming investieren

Das Filmstudio Warner möchte es ab 2019 auch mit einem eigenen, noch namenlosen Streamingdienst probieren. Das Traditionsstudio besitzt einen immensen Filmkatalog. Dazu gehören Werke von Regiestars wie Stanley Kubrick, Clint Eastwood und Christopher Nolan. Aber auch Blockbuster wie die "Herr der Ringe"-Reihe, die "Harry Potter"-Filme und die Comic-Blockbuster des DC-Verlags, inklusive Batman und Superman. Um zusätzliche Anreize für Abonnenten zu schaffen, hat Warner ein "wettbewerbsfähiges" Budget für Eigenproduktionen angekündigt. Außerdem hat die Firma einen Deal mit dem amerikanischen Pay-Sender HBO geschlossen, dessen Hitserien ("Game of Thrones") künftig auch bei Warner zu sehen sein sollen. Auch Apple macht sich in Hollywood breit. Dafür hat das Unternehmen einen Deal über mehrere Spielfilme mit A 24 geschlossen, der gefragtesten jungen Produktionsfirmen in Hollywood, die unter anderem den Oscargewinner "Moonlight" produziert hat. Aber Apple setzt auch auf alte Hasen und steht mit Steven Spielberg, Reese Witherspoon und Oprah Winfrey in Verhandlungen.

Warum der Streaming-Hype für Hollywood auch gefährlich werden kann

Hollywoodstudios wie Warner und Disney haben mit Zweitverwertungen für DVD- oder TV-Rechte immer viel Geld verdient. Allein beim Comic-Blockbuster "Black Panther" hat Disney durch den Verkauf der Post-Kino-Rechte laut Hollywood Reporter mehr als 150 Millionen Dollar eingenommen. Diese Einnahmen fallen aber weg, sobald die Studios ihre Filme nur noch hausintern für ihre Streamingdienste verwenden. Um auf die alten Summen zu kommen, werden sie viele Abos verkaufen müssen.

Warum Netflix Lust aufs Kino hat

Während die Konkurrenz vom Kino zum Streaming drängt, läuft es bei Netflix derzeit umgekehrt: Die Firma experimentiert mit Kinoauswertungen. Aktuelles Beispiel: das Drama "Roma" von Oscarpreisträger Alfonso Cuarón ("Gravity"), das beim Festival in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Es startet in einigen Ländern im Kino, auch in Deutschland. Etwa drei Dutzend Kinos zeigen das Werk ab 6. Dezember, bevor es schon eine Woche später online zu sehen ist. Für Netflix ist das eine gute Werbung. Außerdem lockt das Unternehmen Regisseure wie Cuarón damit, dass sie auch auf Großleinwänden gezeigt werden. So könnte es auch bei Netflix' großer Prestigeproduktion für 2019 laufen. Mit einem 100-Millionen-Dollar-Budget hat Martin Scorsese gerade den Mafiathriller "The Irishman" mit Robert De Niro und Al Pacino abgedreht. Kaum vorstellbar, dass dieses Werk nicht zumindest einen kleinen Kinostart haben wird. Ob die Firma auch ökonomisch etwas von den Kinoauswertungen hat, weiß niemand so genau - Zahlen hält sie meistens unter Verschluss. Genauso übrigens wie die Konditionen, mit denen sie sich an die Kinos wendet und über die niemand offiziell sprechen möchte. Off the record ist zu hören, dass Netflix in Deutschland die Kinos ganz klassisch an den Ticketverkäufen beteiligt, wie traditionelle Filmverleiher auch. Und das angeblich großzügiger als manches Hollywoodstudio - vermutlich als Lockangebot.

Warum viele Kinos keine Lust auf Netflix haben

Unter einigen Kinobetreibern sorgen die Netflix-Ambitionen derzeit für schlechte Laune. So sagt zum Beispiel Christian Bräuer vom Verband AG Kino, der mehr als 300 deutsche Filmkunsttheater vertritt, zum Kinostart von "Roma": "Die Bedingungen, zu denen Netflix diesen Film ins Kino bringt, sind für uns inakzeptabel. Wenn sich das in dieser Form durchsetzt, wird es ein massives Kinosterben geben." Er und viele andere Kinobetreiber - in den USA zum Beispiel die große Kette Cinemark - wehren sich gegen das kurze Zeitfenster zwischen dem Kinostart und der Auswertung auf Netflix. Im Fall von "Roma" sind das nur sieben Tage. Das ist laut Bräuer viel zu kurz, um einen Film im Kino vernünftig auszuwerten. Es untergrabe alle Vereinbarungen, die man bislang zur Zweitverwertung habe: "In Deutschland ist das ein Viermonatsfenster, und darunter geht es nicht." Bräuer, der unter anderem auch der Geschäftsführer der Yorck-Kinos in Berlin ist, wurde "Roma" angeboten. Er sträubt sich nicht grundsätzlich gegen eine Kooperation, aber zu diesen Bedingungen hat er abgelehnt. Sein Verband hat auch an Kulturstaatsministerin Monika Grütters, den derzeitigen Berlinale-Chef Dieter Kosslick sowie dessen Nachfolger Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek appelliert, die Berlinale möge sich nicht als Werbeplattform für Netflix hergeben. Das größte deutsche Festival dürfe nur Filme zeigen, die eine exklusive Erstauswertung im Kino hätten. Wie die Berlinale sich hier künftig positioniert, bleibt eine spannende Frage. Die anderen beiden Großfestivals haben die Fronten vorerst geklärt: Venedig spielt begeistert Netflix-Filme, während Cannes dem Druck der französischen Kinobetreiber nachgegeben hat und sie nicht ins Wettbewerbsprogramm einlädt. Unter den Kinos finden auch nicht alle die Zusammenarbeit problematisch. Für Oliver Fock, Geschäftsführer der Cinestar-Gruppe, die "Roma" zeigen wird, ist die Kooperation mit Netflix gar keine reguläre Kinoauswertung, sondern eine "Sonderveranstaltung", wie viele Kinos sie schon seit Jahren zum Beispiel auch mit Opernübertragungen im Programm hätten: "Insofern ergeben sich auch keine Konflikte gegenüber regulären Auswertungsfenstern." So sieht es auch Thomas Negele vom Hauptverband Deutscher Filmtheater: "Die Diskussion ist letztlich eine Scheindebatte." Solange ein Kino "Roma" nur als "alternativen Content" spiele - für diese Programmform gilt eine Auswertung von maximal drei Vorstellungen pro Kino -, handele es sich um eine legitime Promotionsveranstaltung, die das klassische Programm nicht ersetzen werde.

Wie Amazon durch Filme mehr Schuhe verkaufen will

Das Versandunternehmen Amazon hat sich mit seinen Amazon Studios, gegründet 2010, schon zu einer festen Größe in Hollywood entwickelt. Der Unterschied zur Konkurrenz ist aber: Die Firma lässt keine Filme produzieren, um Filme zu verkaufen, sondern - alles andere. Amazon-Chef Jeff-Bezos formuliert das so: "Wenn wir einen Filmpreis gewinnen, hilft uns das, mehr Schuhe zu verkaufen." Deshalb misst man bei Amazon den Erfolg eines Films nicht in Zuschauerzahlen. Die Nachrichtenagentur Reuters hat interne Dokumente einsehen können, aus denen das hervorgeht. Die von Amazon produzierte Serie "The Man in The High Castle" zum Beispiel haben laut den Unterlagen in den USA bei der Erstausstrahlung acht Millionen Menschen gesehen. Wichtig für das Unternehmen ist aber eine ganz andere Zahl, und zwar, dass aufgrund dieser Serie angeblich 1,15 Millionen Menschen eine neue Amazon-Prime-Mitgliedschaft abgeschlossen haben. Wie genau Amazon auf diese Zahl kommt, ist unklar, aber die Folgerechnung zeigt, worauf es ankommt. Bei Produktionskosten von 72 Millionen Dollar, geteilt durch 1,15 Millionen neue Abos, hat jeder neue Prime-Kunde knapp 63 Dollar gekostet. Weil in den USA ein jährliches Prime-Abo 99 Dollar kostet, war die Produktion schon dadurch ein Gewinngeschäft. Ganz abgesehen von den Folgeeinnahmen, weil Prime-Mitglieder deutlich mehr Produkte bei Amazon einkaufen als "normale" Kunden.

Warum die Streaming-Flut gut für die Zuschauer ist

Weil es so viele Anbieter gibt wie niemals zuvor in der Filmgeschichte, werden heute so viele Filme und Serien produziert wie niemals zuvor. Folglich ist auch die Auswahl der Zuschauer so groß wie niemals zuvor. Außerdem versuchen sich alle Anbieter gegenseitig mit einfallsreichen Formaten zu übertrumpfen, weshalb nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität steigt.

Warum die Streaming-Flut schlecht für die Zuschauer ist

Auch wenn die meisten Anbieter mit günstigen Flatrate-Modellen werben, werden die Streamingabos in der Summe für den Zuschauer ganz schön teuer, wenn er sich eine breite Palette an Auswahlmöglichkeiten gönnen will. Vom Preis abgesehen, wird es auch immer schwerer, einen bestimmten Film zu finden, wenn man ihn sucht. Manche Titel bekommt man weder bei Netflix noch bei Amazon, die, gerade was Filmklassiker angeht, nicht allzu gut aufgestellt sind. Als richtige Filmarchive für Cineasten taugen beide bislang nicht. Folglich kann die Online-Filmsuche ganz schön Zeit beanspruchen - und man zahlt im Zweifelsfall noch mal 2,99 Euro Leihgebühr im iTunes-Store, weil man den gewünschten Film bei Netflix und Amazon nicht gefunden hat. Langfristig könnte es deshalb vielleicht eine Art Meta-Anbieter geben, bei dem man alle gängigen Streamingdienste im Paket bekommt - und sich nur noch mit einer einzigen Suchmaske herumschlagen muss.

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