Als das NS-Regime im Sommer 1937 moderne Kunst aus deutschen Museen beschlagnahmte, um sie in der Ausstellung zur "Entarteten Kunst" in den Münchner Hofgarten-Arkaden zu zeigen, da rechneten manche Museumsdirektoren noch mit einer Entschädigung. Doch so schnell war der Spuk nicht vorbei. In einer zweiten Aktion im Herbst entfernte die Reichskulturkammer systematisch avantgardistische Gemälde, Grafiken und Skulpturen aus den Museen. Die deutschen Kunsthäuser verloren so 1937 insgesamt mehr als 20000 Werke.
Keine Entschädigung
In jahrelanger Detailarbeit hat nun ein Team aus drei Kunsthistorikern an der Freien Universität Berlin einen Katalog dieser Arbeiten zusammengestellt. Leider hatte sich das NS-Gesamtverzeichnis "Entarteter Kunst" nur für die Museen von Aachen bis Greifswald erhalten, der zweite Band mit den Einträgen von Hagen bis Zwickau blieb verschollen. Erst 1997 tauchte aus dem Nachlass eines Kunsthändlers eine glaubwürdige Abschrift beider Bände auf, die sogenannte Harry-Fischer-Liste.
Die Berliner Kunsthistoriker haben darüber hinaus nun auch Nachlässe von Händlern gesichtet, alte Abbildungen zusammengetragen, in Museumsarchiven gestöbert und jeden Namen weiterverfolgt, auch wenn er nur "Müller" hieß. Das Ergebnis ist mit zur Zeit 21103 Einträgen und 12221 Bildern die umfangreichste Datenbank zur "Entarteten Kunst". An diesem Mittwoch wird sie unter http://entartetekunst.geschkult.fu-berlin.de für die Öffentlichkeit freigeschaltet.
Die Museen sind nie für ihre Verluste entschädigt worden. 1938 legitimierte ein Gesetz nachträglich die "entschädigungslose Entziehung". Die Nazis vertraten die Auffassung, dass sie sich nur das genommen hatten, was dem Staat ohnehin gehörte. Dieses Gesetz ist auch nach dem Krieg nicht aufgehoben worden, wie das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bestätigt. Deswegen können Museen auch heute keine Ansprüche auf die Bilder stellen, die ihnen einst vom NS-Regime weggenommen wurden. Diese Kunstwerke sind von der Washingtoner Erklärung ausgenommen, die sich um die Ansprüche verfolgter und enteigneter privater Kunstbesitzer kümmert.
So schwierig diese rechtliche Lage für die Museen ist: Das Gesetz von 1938 hat den positiven Nebeneffekt, dass kein heutiger Besitzer etwas zu fürchten hat, wenn er Informationen zu seinem Habe preisgibt. Auch darauf hoffen die Forscher mit der Freischaltung ihrer Datenbank. Bis jetzt ist es ihnen gelungen, die Herkunft und den weiteren Werdegang von 3000 Werken zu identifizieren.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Und die Forscher haben noch etwas herausgefunden: Weniger Arbeiten als angenommen wurden vernichtet. Die entwendeten Werke wurden 1937 in ein Berliner Depot gebracht, wo einige wenige lizensierte Kunsthändler die Stücke für das Regime sichteten. Mit Einzelgenehmigungen durften sie Arbeiten im Ausland anbieten. Was als wertlos galt, wurde verbrannt - im Gegensatz zu den verfemten Büchern unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die zuständigen Beamten hatten die zur Vernichtung preisgegebenen Werke in ihren Listen mit einem x gekennzeichnet. Demnach wären 5000 Werke auf dem Scheiterhaufen gelandet. Doch verkauften die lizensierten Händler vieles an den Behörden vorbei an inländische Sammler von moderner Kunst. Die Kunsthistoriker aus Berlin hoffen nun, in Zukunft noch mehr gerettete Stücke zu finden.