Kinderbuch:Ohne moralischen Kompass

Ein als Fiesling bekannter Junge gewinnt einen Obdachlosen als Freund. Mit ihm zusammen klärt er einen Kunstraub in London auf .

Von Yvonne Poppek

Hector ist ein richtiges Ekel. Und das schon im Alter von zehn. Andere Kinder verprügelt er, jagt ihnen Süßigkeiten oder Geld ab. In der Schulmensa stellt er anderen ein Bein, wenn sie gerade mit vollem Tablett vorbeikommen. Vor Erwachsenen hat er keinen Respekt. Warum auch, mehr als nachsitzen muss er zur Strafe nicht. Für den Direktor der Schule gilt er als Plage, Hopfen und Malz verloren. Seine Eltern, die beruflich viel unterwegs sind, rechnen stets mit Problemen. Die ältere Schwester verpetzt ihn gerne, nur sein vierjähriger Bruder himmelt ihn an.

Die britische Autorin Onjali Q. Rauf hat sich für ihren zweiten Kinderroman "Die Nachtbushelden" wahrlich keinen Sympathieträger als Protagonisten ausgesucht. Vielmehr hat sie ihm noch zwei fiese Kinder zur Seite gestellt, Will und Katie, die Hector zu neuen Untaten motivieren. Und so kommt es also, dass er eines Tages einen Obdachlosen als Opfer aussucht, ihn um sein spärliches Hab und Gut bringt.

Hector agiert weniger aus Bosheit, als aus Langeweile

Wer die ersten Seiten von "Nachtbushelden" liest, darf sich schon einigermaßen angewidert fühlen von Hector. Rauf geht mit ihrem Helden nicht zimperlich um, sie erklärt nicht, warum der Zehnjährige so handelt. Sie lässt ihn ganz bei sich, indem sie aus der Ich-Perspektive erzählt. Da kommt dann ein sehr cleveres, schlagfertiges Kerlchen zum Vorschein, das offensichtlich seinen moralischen Kompass verloren hat. Hector agiert im Moment, weniger aus Boshaftigkeit als aus Langeweile, stets Grenzen auslotend. Hopfen und Malz sind, so viel wird dann schnell klar, nicht verloren. Hector muss nur intensiver als andere lernen, dass es nicht nur die Kategorien lustig und langweilig gibt, sondern auch richtig und falsch.

Es ist also eine Entwicklung, die die Autorin hier nachzeichnet, und die sie zugleich für eine spannende Geschichte nutzt. Parallel zu Hectors Untaten nämlich wird seine Heimatstadt London von einer Serie von Kunstrauben an öffentlichen Orten heimgesucht. Verdächtigt werden Obdachlose. Da Hector nun einmal einem Obdachlosen geschadet hat und er - nicht ganz freiwillig - versucht, dies wieder gut zu machen, beginnt für ihn das Abenteuer, die Raubserie aufzuklären. Ohne Polizei, aber mit der fabelhaft mutigen Mitschülerin Mei-Li.

Rauf hat ein Abenteuer aufgeschrieben, eine Detektivjagd durch London

Für die sozial engagierte Bestsellerautorin Rauf ist es ein Anliegen, von jenen zu erzählen, von jenen zu erzählen, die auf der Straße leben. Hector, der verwöhnte Mobber aus der Oberschicht, begegnet Menschen, die aus den verschiedensten Gründen obdachlos sind. Im Gegensatz zu ihm besitzen sie aber ein Herz für andere. Und genau in diesem Punkt können ihm gerade jene viel geben, die eigentlich nicht viel haben.

Die Idee, von zwei verschiedenen Außenseitern zu erzählen, vom Mobber und vom Obdachlosen, mag sehr ambitioniert klingen für ein Kinderbuch, vielleicht sogar anstrengend. Tatsächlich hat Rauf aber ein Abenteuer geschrieben, eine Detektivjagd durch London - unter anderem eben mit dem titelgebenden Nachtbus. Ihr eigentliches Anliegen drängt sich nicht auf. Und so entsteht die wunderbare Kombination, mit den Mitteln erzählerischer Spannung die Menschen ins Sichtfeld zu rücken, die zu oft übersehen werden. (ab 8 Jahren) Yvonne Poppek

Onjali Q. Rauf: Die Nachtbushelden. Aus dem Englischen von Katharina Diestelmeier. Atrium Verlag, 288 Seiten, 15 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: