Süddeutsche Zeitung

Olympia-Gelände Berlin:Unheimliches NS-Erbe

Seit Jahrzehnten wird in der Hauptstadt über das ehemalige Reichssportfeld von 1936 debattiert. Denn bis heute hat die Stadt keinen angemessenen Umgang mit den Nazi-Bauten gefunden.

Von Jan Heidtmann

Oben vom Glockenturm aus, in fast 80 Metern Höhe, ist der Blick geradezu gespenstisch ungetrübt. Einzig Corbusiers Wohnmaschine am rechten Rand stört das Ensemble, das sich die Nationalsozialisten zu den Olympischen Spielen hingebaut haben: das Maifeld, gut 15 Fußballfelder groß, Aufmarschort für 250 000 Menschen; die beiden martialischen Rosseführer-Skulpturen, dahinter das Olympiastadion. Unten, im Innern der Langemarck-Halle, geht der Spuk weiter: "Dir ist, Liebes, nicht einer zuviel gefallen", steht überlebensgroß in die Wand gemeißelt. Es sind Verse Friedrich Hölderlins an das Vaterland, die die Nazis für sich missbrauchten.

Unter dem Titel "Das Olympiagelände Berlin - Erbe, Nutzung, Vermittlung" kamen an diesem Dienstag Denkmalschützer, Sportfunktionäre und Politiker virtuell zusammen, um über die Zukunft des ehemaligen Reichssportfeldes von 1936 zu debattieren. Wieder einmal, muss man sagen. Denn seit Jahrzehnten unternimmt Berlin verzagte Anläufe, einen zeitgemäßen Umgang mit diesem "Dark Heritage", dem unheimlichen Erbe, zu finden. Die Nationalsozialisten hätten hier "ihre Rassenideologie in Stein gehauen", sagte kürzlich der Historiker Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.

Abräumen oder umdeuten?

Dem Senat für Inneres und Sport gelang es wiederum in seinem 64-seitigen Entwicklungskonzept des denkmalgeschützten Geländes, dessen nationalsozialistische Geschichte nicht ein einziges Mal zu thematisieren. So setzt Gerry Woop, als Staatssekretär zuständig für den Denkmalschutz, in der Debatte auch gleich die Grenzen der Aufarbeitung: Die Denkmalpflege "geht vom Aussagewert der überlieferten Sachzeugnisse aus", sagte er. Mit dem "Abräumen der Substanz" beraube man sich "der Erkenntnis". Anders formuliert: Im Wesentlichen soll das Gelände unangetastet bleiben. Als "Denkmal und Zeugnis der Olympischen Idee, Zentrum für Breiten- und Spitzensport, Ort für Kulturveranstaltungen und Grünraum, NS-Erbe und eine der bedeutendsten Sportanlagen des 20. Jahrhunderts", wie Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes, es einordnet.

Ausgelöst hat die neuerliche Debatte ein markiger Beitrag des Berliner SPD-Politikers Peter Strieder in der Zeit. Unter dem Titel "Weg mit diesen Skulpturen!" forderte er dort im vergangenen Jahr einen radikaleren Umgang mit dem Nazi-Gelände. Strieder war Senator für Stadtentwicklung, als das Olympiastadion für die WM 2006 umgebaut wurde. "Leider hat es der Denkmalschutz versäumt, uns beispielsweise darauf hinzuweisen, dass Straßen und Plätze umbenannt werden müssen", erklärt er seinen Ärger am Telefon. "Insbesondere in einer Zeit, in der Rechte und Nazis wieder an Bedeutung gewinnen, ist es falsch, so etwas unverändert zu bewahren."

Ein Vorbild könnte das Tempelhofer Feld werden

Strieder geht es nicht nur um Namen, sondern auch um die NS-Skulpturen, die unkommentiert auf dem Gelände stehen. Und um das Maifeld insgesamt, von Wällen aus "deutscher Erde" gesäumt. "Lass es uns öffnen, lass uns dort feiern", sagt er. "Die Stadtgesellschaft muss es sich aneignen." Ein Beispiel dafür, wie das gehen könnte, sei das Tempelhofer Feld, ein ebenfalls für die Nazis zentrales Gelände in Berlin, heute eine riesige Freifläche für alle.

Strieder fordert eine "deutliche und sichtbare Veränderung". Das Olympiagelände sei "nicht gemacht für den Sport, sondern für die Propaganda der Nazis". Wer daran zweifle, dem empfiehlt er einen Text von Hans Pfundtner, einst Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, bis 1936 mit dem Bau des Reichssportfeldes befasst: Der beschrieb eindeutig die Funktion dieser "gewaltigen Schöpfung des Dritten Reichs für die Olympischen Spiele und die deutschen Leibesübungen". An einer Stelle zitiert er Adolf Hitler, nachdem der sich entschlossen hatte, die alten Baupläne durch ein völlig neues Konzept zu ersetzen: "Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Stadions soll auch ein für Massenkundgebungen ausreichendes Aufmarschgelände entstehen." Gemeint war das Maifeld.

Bestätigt wird Strieder in seinem Furor von einer Studie des Instituts für Zeitgeschichte zum Umgang mit dem Reichssportfeld. So sei Hitlers Berghof am Obersalzberg 1952 gesprengt und mit schnell wachsenden Bäumen bepflanzt worden; das monströse Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sei zwar spät, aber dann mit einem aufwendigen Dokumentationszentrum umgedeutet worden. Nur zwei Beispiele, "die einen deutlichen Kontrast zur bisherigen Wahrnehmung und Präsentation des Berliner Olympiageländes illustrieren", heißt es in der Studie. Im Herbst wird weiter über das unheimliche Erbe der Hauptstadt debattiert.

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