Klassikkolumne:Vom Ende der Zeit

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Die französische Sopranistin Veronique Gens, hier bei einem Konzert in Lyon. (Foto: Jeff Pachoud/AFP)

Französische Liedern, Olivier Messiaens Meisterwerk und Brahms' Streichsextette: Was sich in dieser Woche in der Klassik lohnt.

Von Julia Spinola

Den französischen Komponisten César Franck kennt man hauptsächlich wegen seiner Orgelwerke, der A-Dur-Sonate für Violine und Klavier und seinem Klavierstück "Prélude, choral et fugue". Das Centre de musique romantique française im Palazzetto Bru Zane bringt nun zum 100. Geburtstag des Komponisten eine phänomenale Aufnahme sämtlicher Lieder heraus, die wahre Kleinode sind. Tassis Christoyannis taucht mit seinem warmen, farbenreichen und leicht entflammbaren Bariton hochsensibel ins Innerste dieser hyperexpressiven romantischen Kleinode ein, hütet sich jedoch vor jedem Anflug von Sentimentalität oder Manieriertheit. Gleiches gilt für Véronique Gens, deren klares, diamanten funkelndes Soprantimbre sich in der frühen Romanze "S'il est un charmant gazon" nach einem Text von Victor Hugo wunderbar mit den glockenreinen Arpeggien des Klavierparts mischt, den Jeff Cohen mit großer Einfühlungsgabe übernimmt. In den 1888, zwei Jahre vor Francks Tod, komponierten "Sechs Duetten" verschränken sich die Stimmen von Gens und Christoyannis aufs Ekstatischste: höchste, kultivierte Liedkunst. (bru zane)

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Eines der zentralen, zugleich erschütterndsten Werke des 20. Jahrhunderts hat in den vergangenen zwei Monaten eine schreckliche neue Aktualität hinzugewonnen. Olivier Messiaens "Quatour pour la fin du temps" wurde 1941 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Görlitz komponiert und uraufgeführt, wo Messiaen interniert war. Seine musikalische Vision vom Ende der Zeit, die in acht Sätzen alle irdischen Ordnungen der Zeit, des Metrums und des Raums aus den Angeln zu heben scheint, ist zwar getragen von der tiefen katholischen Erlösungsgewissheit, die alle seine Werke in "Akte des Glaubens" verwandelte, wie der glühend religiöse Messiaen es einmal formulierte. Dennoch geht manch eine süßlich verkitschte Interpretation am Charakter von Messiaens Musik vorbei, zumal in diesem Werk. Denn bei allem Gezwitscher der himmlischen Gesandten, trotz Engelsvokalisen und einem wiederholten Lob Jesus wird es grundiert vom Ton der Verzweiflung und der abgründigen Trauer eines bitteren Abschiednehmens. Der Klarinettist Ib Hausmann und das von seiner Tochter, der Geigerin Lea Hausmann gegründete, fabelhafte Amatis Trio, spielen das Werk mit kristalliner Klarheit und einem fundamentalen, gestisch "sprechenden" Ernst. Umso berührender klingt am Ende, wenn die Musik mit dem "Lob der Unsterblichkeit Jesu" der Auflösung entgegentreibt, die zart und singend über Klavierakkorden gesponnene, in unendliche Höhen entschwebende Melodielinie der Violine. (Avi)

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Mit ihrer phänomenalen Gesamteinspielung der Brahms-Quartette gewann das Belcea Quartett 2016 eine der begehrten Diapason d'or-Auszeichnungen. Nun hat es sich mit der Bratschistin Tabea Zimmermann und dem Cellisten Jean-Guihen Queyras zusammengetan, um die beiden Streichsextette aufzunehmen, mit denen Johannes Brahms sich in den Jahren 1862 und 1866, also gut zehn Jahre vor seinem ersten Quartett, an die vom übermächtigen Vorbild Beethoven besetzte Königsgattung der Kammermusik herangetastet hatte. Die sechs Musiker spielen mit einer traumwandlerischen künstlerischen Gleichgesinntheit zusammen, als musizierten sie seit Jahren regelmäßig miteinander. Die immense Ausdruckspalette, die Brahms in diesen Stücken aufreißt, wird drastisch und zugleich hochdifferenziert zum Leben erweckt. Die großen melodischen Spannungsbögen im Kopfsatz des 1. Streichsextetts singen die Musiker mit atemvoller Wärme in verblüffender Homogenität aus. Der zweite Satz betritt mit seiner schroffen Archaik in vibratolosem Streicherklang eine völlig andere Klangwelt. Die metrischen Eigenwilligkeiten des Scherzos treiben die Musik mit musikantischer Mutwilligkeit lustvoll ins Anarchische. Und den Ton völliger Vereinsamung im Poco adagio des 2. Streichsextetts hat man noch selten so fahl und aufgelöst gehört. (alpha)

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Der Pianist Helmut Deutsch hat als Liedbegleiter Generationen von Sängern geprägt und wird heute von Stars wie Diana Damrau oder Jonas Kaufmann geschätzt. Mit letzterem hat er zuletzt ein ganzes Album mit Liedern von Franz Liszt eingespielt. Nun bekennt die bislang vornehmlich im Opernrepertoire erfahrene Sopranistin Sarah Traubel, dass die Zusammenarbeit mit Helmut Deutsch "ihr Leben verändert" habe. Die fünf Liszt-Lieder des Kaufmann-Recitals, die sie auf ihrem ersten Kunstlied-Album "In meinem Lied" singt, gestaltet sie mit ihrem klaren, lyrischen Soprantimbre voller Sorgfalt und Anmut, wenn auch eine Spur zu vorsichtig. An Mahlers Rückert-Liedern und den "Vier letzten Liedern" von Richard Strauss verhebt sie sich indes. Für dieses Repertoire fehlt es ihrem Sopran schlicht an Tiefe, Volumen und Abgründigkeit. (Aparte)

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