Olivia Harrison über ihren Mann George:"Er war ein Mann der Extreme"

Man nannte ihn den "stillen Beatle": Zum zehnten Todestag von George Harrison hat seine Witwe Olivia eine Biographie des Gitarristen veröffentlicht. Ein Gespräch mit ihr über das wahre "Ich" ihres Mannes, seine Beziehung zu den anderen Beatles und seine Deutschkenntnisse.

Alexander Menden

An diesem herbstlichen Vormittag ist im Clubhaus des ehrwürdigen Leander-Rudervereins nicht viel los. Draußen auf dem Fluss trainiert ein Achter; sonst ist es so ruhig wie im ganzen Städtchen Henley-on-Thames. In einen der großzügigen Räume im Obergeschoss des Clubs hat Olivia Harrison zum Gespräch geladen, eine schlanke, elegante Frau, deren auffälligstes Fashion-Statement ein roter Seidenschal ist. Gerade ist unter ihrem Namen ein Buch erschienen: Fotos aus dem Privatarchiv ihres 2001 an Krebs gestorbenen Mannes George Harrison, angereichert durch Zitate seiner Freunde und Kollegen. Das Buch ist ein Nebenprodukt von "Living in the Material World", dem gut dreistündigen Dokumentarfilm von Martin Scorsese über den "Beatles"-Gitarristen. In Henley-on-Thames hat er 1970 das neugotische Herrenhaus Friar Park gekauft, renoviert und mit einem Tonstudio versehen. Seine Witwe wohnt immer noch dort. "Die Leute sagen immer, unser Haus habe 130 Zimmer", erzählt Olivia Harrison, "aber dann wäre es ja so groß wie Buckingham Palace! Es hat nur ungefähr 45 Zimmer."

Olivia und George Harrison

Olivia und George Harrison im Februar 1988: Nun gibt die Witwe eine Biographie über den Beatles-Gitarristen heraus.

(Foto: picture-alliance / dpa)

SZ: Mrs. Harrison, wer hatte als Erster die Idee, eine Filmbiographie über George Harrison zu machen?

Olivia Harrison: 1995, nachdem die "Beatles Anthology" herausgekommen war, wollte George Dinge machen, an denen er selbst interessiert war, er wollte sich seinen persönlichen Projekten widmen. Dazu kam es nie, und ich fand, er habe eine Biographie verdient. Verschiedene Produktionsfirmen waren mit der Filmidee an mich herangetreten, und ich wollte nicht riskieren, dass es jemand auf eigene Faust versuchte. Nachdem "No Direction Home", Martin Scorseses Film über Bob Dylan herausgekommen war, traf ich Marty, um ihn zu fragen, ob er Interesse an einem ähnlichen Projekt über George hätte. Ich nahm ein paar von Georges Briefen mit zu dem Treffen, die Marty sehr interessant fand, und die auszugsweise auch im Film vorgelesen werden. Und Scorsese hat ein sehr subtiles Bild von George gezeichnet.

SZ: Wer liest die Briefpassagen eigentlich? Die Stimme klingt wie Georges eigene.

Harrison: Das ist unser Sohn Danny. Er hat genau das gleiche Timbre in der Stimme. Wir hatten es mit einem Schauspieler versucht, aber es klang einfach falsch. Danny versucht nicht bewusst, wie sein Vater zu klingen, aber es passt einfach.

SZ: Das Buch enthält Material, das im Film nicht vorkommt, unter anderem eine Seite aus Georges altem Deutschheft aus der Schule. Da stehen erstaunlich komplizierte grammatische Konstruktionen - fehlerlos.

Harrison: Wenn er ein paar Bier getrunken hatte, dann traute er sich auch, Deutsch zu sprechen. Klaus (Voormann, langjähriger Freund und Weggefährte der Beatles, d. Red.) musste dann immer sehr lachen. Mit Danny hat er beim Frühstück auch manchmal Deutsch gesprochen. Das war immer lustig, wenn sie "Eier, gebraten" bestellt haben oder so.

SZ: George hat selbst viele Fotos gemacht. Besonders interessant sind die Bilder, die von seinem Hotelzimmer aus die draußen auf der Straße wartenden Fans zeigen. Diese persönliche Perspektive des Stars hat man selten.

Harrison: Die Beatles hatten immer Kameras dabei. Außerdem war Georges Vater bei der Handelsmarine und hat überall, wo er hinkam, Fotos gemacht. Ich glaube, das hat George beeinflusst. Vor allem war die Kamera für ihn aber ein Schutzmechanismus: Wenn man eine Linse vor den Augen hat, sprechen einen die Leute nicht so schnell an. Das hat ihm Sicherheit gegeben.

SZ: Er erwähnte einmal, wie fremd ihm die Figur "George Harrison" oft war, über die er in den Zeitungen las.

Harrison: Er konnte von Anfang an sehr gut unterscheiden zwischen dieser medialen Kunstfigur und sich selbst als echtem Menschen. Er sagte: "Ich spiele ein bisschen Gitarre, ich schreibe ein paar Songs, aber das ist nicht mein wahres Ich." Sein wahres Ich, das war seine Seele, seine spirituelle Essenz.

"Sie waren wie Geschwister"

SZ: Aber was war diese Essenz? Wenn man Ringo Starr und Klaus Voormann glauben darf, war er eine dualistische Persönlichkeit, ein Mensch der Extreme.

2010 UNICEF Snowflake Ball

Olivia Harrison verwaltet das musikalische Erbe von George.

(Foto: AFP)

Harrison: Georges Sternzeichen war Fische, und er hat sogar einen Song mit dem Titel "Pisces Fish" darüber geschrieben, in dem es heißt: "Eine Hälfte von mir geht dahin, wo die andere Hälfte gerade gewesen ist." Er war ein Mann der Extreme: Alles was er tat, tat er intensiv. Wenn er unartig war, war er sehr unartig, und wenn er brav war, sehr brav. In seinen Beziehungen zu anderen Menschen war es genauso, deshalb hat er so viele so tief berührt. Aber letztlich sah er keinen Unterschied zwischen einer sehr dunklen Nacht und einem sehr sonnigen Tag. Es ging allein um die Tiefe der Erfahrung. Als Mitglied der Beatles war es eben sehr schwierig, danach ein maßvolles Leben zu führen.

SZ: War George ein Perfektionist?

Harrison: Als Musiker wollte er ganz in einen Song eintauchen, tage-, ja wochenlang. Man sieht es in den Filmaufnahmen von einer Probe, bei der Paul McCartney "Hey Jude" auf eine bestimmte Weise spielen wollte. Paul war sich die ganze Zeit über bewusst, dass Kameras da waren. Und George wollte den Song erforschen. Das führte zu großen Spannungen, weil es die falsche Situation dafür war.

SZ: Ringo sagt, wer nicht in der Band war, könne nie ermessen, wie es sich anfühlte, ein Beatle zu sein.

Harrison: Sie waren wie Geschwister. Deshalb konnten sie sich auch streiten, ohne Angst haben zu müssen, endgültig etwas zu zerstören. Selbst in dieser Probenszene sieht man, dass sie eine bestimmte Grenze persönlicher Verletzung nie überschritten haben. Dafür hatten sie zu viel Respekt voreinander. Im Vergleich zu anderen Bands haben sie sich da ziemlich zurückgehalten.

SZ: Trennte George sein Privatleben von seinem Leben als Musiker?

Harrison: Er trennte gar nichts, er kannte da überhaupt keine Grenzen und war auch sonst sehr offen, manchmal sogar exzessiv. Er sagte manchmal sehr lustige, aber unhöfliche Dinge, und wenn ich ihn darauf hingewiesen habe, meinte er nur: "Ich habe kein Privatleben, ich weiß einfach nicht, wann man was sagen darf."

SZ: Ein großer Einschnitt in Ihrer beider Leben war der Angriff eines psychotischen Eindringlings in Ihrem Haus im Dezember 1999, bei dem der damals schon krebskranke George fast gestorben wäre.

Harrison: Aber George war selbst in einer solch extremen Situation absolut entschlossen, sein Leben und sein Sterben selbst zu bestimmen. Und er wäre damals gestorben, wenn ich den Angreifer nicht mit einem Schürhaken niedergeschlagen hätte. Wenn man meditiert, dann geht es darum, mit seinem inneren Selbst in Kontakt zu treten und den physischen Leib zu überwinden. George dachte, verletzt wie er war: Du wirst mir diesen Augenblick nicht rauben. Ich weiß nicht, wie viele Menschen eine solche Prüfung auf diese Weise überstehen würden. Deshalb war es ein Geschenk, dass er zwei Jahre später in Frieden einschlafen konnte.

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