Oliver Stone über seinen Film "W":"Man mag Kerle wie John Wayne"

Regisseur Oliver Stone erklärt, warum er einen Film über George W. Bush, aber nicht über Bill Clinton gemacht hat.

Patrick Roth

Mit seinem Film "W.", in dem er das Leben George W. Bushs nachzeichnet, hat sich der Regisseur Oliver Stone nach seinen Filmen über die Ermordung von Kennedy und Nixon an den dritten amerikanischen Präsidenten gewagt. Wie immer zog er damit nach dem Start in den USA harsche Kritik auf sich.

Oliver Stone über seinen Film "W": Regisseur Oliver Stone: "Es ging mir nicht darum, einem Hass für Bush Ausdruck zu verleihen."

Regisseur Oliver Stone: "Es ging mir nicht darum, einem Hass für Bush Ausdruck zu verleihen."

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Vor kurzem sprachen Sie sich in einem Interview mit CNN für Barack Obama aus. Wie beurteilen Sie die politische Lage kurz vor den Wahlen?

Oliver Stone: Jetzt fragen Sie mich als Bürger, der für Obama stimmen wird. Als Dramatiker - und das macht mein Film hoffentlich deutlich - bin ich mir darüber im klaren, dass der Gewinner dieser Wahlen, ob Obama oder McCain, in einen Riesenschatten treten wird, in diese dunkle Welt, die George W. Bush uns hinterlässt.

SZ: Sie sprechen vom "Riesenschatten".

Stone: Ich meine damit: Wird der Wahlsieger den politischen Kurs wirklich ändern? Wird er zum Beispiel den andauernden Lauschangriffen Einhalt gebieten? Wird er die präsidialen Machtbefugnisse, die George Bush für sich beansprucht, wieder schmälern, uns zu den in der Verfassung verankerten Grundrechten zurückführen? Das sind die großen Fragen.

SZ: Aber waren sie das nicht schon vor vier, fünf Jahren? Was interessiert Sie als Filmemacher gerade jetzt so brennend an George W. Bush?

Stone: Man hielt Bush immer für "uninteressant". Da bin ich anderer Meinung. Für mich ist er die interessanteste Persönlichkeit der letzten zwei Dekaden. Ich habe keine Filme über Reagan oder Clinton gedreht - charismatische Figuren, das gebe ich zu. Bush dagegen - der Mann hat in den letzten Jahren den Lauf der Geschichte verändert. Er hat Amerika und die Welt, er hat den Alltag eines jeden von uns verändert. Das gibt der Beschäftigung mit ihm diese enorme Dringlichkeit, die selbst der Vietnamkrieg und Watergate für mich nie besaßen - vielleicht weil ich jünger war damals, anders damit umgehen konnte.

Der gesamte politische Kurs der Vereinigten Staaten hat sich unter Bush verändert. Wir sind in gleich drei Kriege verstrickt: In Afghanistan, im Irak, und im "Long War", wie das Pentagon den Krieg gegen den Terrorismus bezeichnet. Daneben läuft, nicht zu vergessen, ein "War on drugs" und, bis vor kurzem, ein "War on poverty". Wir haben also an allen möglichen Fronten Krieg erklärt.

SZ: Der eigentliche Wechsel kam schon 2000.

Stone: Genau. 2000 haben Neokonservative die amerikanische Regierung übernommen. Amerika sollte die Welt beherrschen, das war der Plan fürs "New American Century", die Strategie von Cheney, Perle, Wolfowitz, Rumsfeld. Die Bush-Doktrin: militärische oder wirtschaftliche Rivalen erst gar nicht aufkommen zu lassen, Präventivkriege zu führen. Überall und zu jeder Zeit. Diese Leute haben die Welt verändert. Natürlich ist das aktuelle Finanzdesaster damit verbunden. Ohne Zweifel: Bush hat unsere Aufmerksamkeit verdient. Wie kam es dazu, wie geht's jetzt weiter? Ich glaube, mein Film spricht diese Fragen an.

SZ: Und gerade deshalb hätte man, was das Drehbuch angeht, bei "W." eher eine Struktur wie in Ihrem Kennedyfilm "JFK" erwartet, also ein dramatisches Vorgehen, das den Machenschaften hinter den Kulissen nachgeht, sie Schicht für Schicht aufdeckt. "W.", mit seinen biographischen Rückblicken und Verschränkungen, erinnerte mich eher an Ihren "Nixon".

Stone: Als Dramatiker muss ich Bush nicht mögen - ich muss ihn verstehen. Insofern gehe ich einer Konfrontation aus dem Weg. Man geht nicht mit dem Parteibuch ins Kino. Und der Mann, den ich da porträtiere, der wacht ja morgens nicht als Bösewicht auf. Bush hat für jede Ansicht, die er vertritt, gute Gründe. Er glaubt an "Freiheit und Demokratie", an den Irak als Modell für den Mittleren Osten. Cheney glaubt an sein Öl, seine Geopolitik, Rumsfeld will "den Sumpf trockenlegen" und so weiter.

Das ist alles dokumentiert - und ist im übrigen auf unserer "W."-Website nachzulesen. Fast jede Zeile des Drehbuchs ist mit Quellen belegt. Im übrigen: Lesen Sie Ron Suskinds "Price of Loyalty". Das Buch erschien 2004 und basiert auf Informationen des zwei Jahre zuvor zurückgetretenen Finanzministers Paul O'Neill. Dem hat damals niemand geglaubt. Er hatte das ganze finanzielle Desaster vorhergesagt! Lesen Sie William Clarks "Petrodollar Warfare - Oil, Iraq and the Future of the Dollar", und Woodwards "State of Denial". Und dann das neue Buch von Barton Gellman über Cheney - Mann, das wird Sie einfach umwerfen!

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum George Bush aus Sicht von Oliver Stone kein tragischer Held ist.

"Man mag Kerle wie John Wayne"

SZ: Mit dem Kinoerlebnis soll's also keinesfalls getan sein.

Stone: Ich will damit sagen: Stanley Weiser und ich haben alles eingehend geprüft. Die Story muss spannend und unterhaltend erzählt sein - aber vor allem: gewissenhaft genau. Es ging mir nicht darum, einem Hass für Bush Ausdruck zu verleihen. Wer das von "W." erwartet, tut mir leid.

SZ: Nach der Filmvorführung behaupteten manche, Sie sähen in Bush einen tragischen Helden, wie das in Ihrem Porträt Nixons manchmal zu spüren war.

Stone: Nein, ich halte Bush nicht für einen tragischen Helden - weil er sich nicht verändert hat. Jon Stewart zeigte vor einigen Tagen in seiner Daily Show zwei Filmclips von Bush: Die Ansprache, in der er die 800 Milliarden Dollar verlangt - ein Mann in Eile, der auf die Uhr schaut. Man sieht hier genau die Körpersprache, genau dieselbe Gestik, die schon im anderen Clip, also gleich nach 2001, zu beobachten war: Da forderte Bush mehr Macht für sich ein. Es ist eine Gestik der Ermächtigung, die immer wieder schnauzt: "Hey! Jetzt aber her damit, ich erwarte es von euch, ist mein verdammtes Recht!" Bush ist blind, emotionslos - und manchmal einfach komisch. Nixon war eine tragische Figur, kein Held, aber eine tragische Figur wie Macbeth - denn er zweifelte an sich. Da waren Verfolgungswahn und Schuldbewusstsein im Spiel.

SZ: Und bei Bush sehen Sie das nicht?

Stone: Was ich an Bush mag, ist, dass er John Wayne ähnelt. Man mag solche Westernhelden ja perverserweise, auch wenn man den Helden politisch für einen Verrückten hält. Wie General Curtis LeMay. Erinnern Sie sich an den?

SZ: Der wollte Russland Ende der Vierziger mit einem nuklearen Schlag vernichten und später Vietnam "zurück in die Steinzeit bomben".

Stone: George C. Scott spielt ihn in Kubricks "Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben". Auf der Leinwand mag man sie ja, solche Kerle wie Wayne. Bush ist so ein Typ. In der Schule hatte er immer nur ausreichende Noten, wirkte unbeholfen, fast tölpelhaft manchmal. Stach aber immer als "Cheerleader" heraus, konnte die anderen mit seinem riesigen Ego schikanieren. So benimmt er sich dann auch, wenn er im Weißen Haus konferiert - er beherrscht den Raum, lässig, spricht jeden mit Spitznamen an. Lässt in jedem Satz durchklingen: "Ich bin Chef. Habe das Sagen." Er sieht seine Beziehungen zum Rest der Welt stets aus kindlich-persönlicher Perspektive.

Das läuft dann etwa so: "Ich traf Putin, sah ihm in die Augen, sah in seine Seele." Jedes Problem reduziert Bush aufs Persönliche. Nur wenn's um Geld geht, hat er keine Ahnung. Er hat mal BWL studiert, versteht aber nichts von Business. Wir leben in einer seltsamen Zeit, weil er keine Führungsqualitäten hat. Bush hat den Bezug zu den aktuellen Ereignissen verloren, weil er sie nicht mehr personalisieren kann.

Lesen Sie auf der dritten Seite, warum Reagan Bushs Vorbild war.

"Man mag Kerle wie John Wayne"

SZ: Diese Aspekte überzeugen in "W.". Andere Szenen zwischen Bush Junior und seinem Vater erinnerten mich an Filme wie "Jenseits von Eden" oder "Denn sie wissen nicht, was sie tun".

Stone: Ja, die Vater-Sohn-Beziehung - eines der großen Probleme in Bushs Leben. Bush Junior war zwar der älteste Sohn, aber der Vater bevorzugte den Zweitjüngsten, Jeb. Der älteste Sohn war das schwarze Schaf. Sein Vater hatte keinen Respekt für ihn übrig. Der Alte hat ihn auch nie direkt konfrontiert. Immer begegnete er dem Sohn zögernd, irgendwie befangen.

In der Vater-Sohn-Problematik sahen wir die Grundlage für das dramatische Konzept des Films: Bush, der Sohn, agiert seinen Wunsch aus, stärker zu werden, mächtiger zu sein als der Vater. Immer wieder will und muss er das beweisen. Sein Vater hatte die Wiederwahl verloren und versäumt, Saddam Hussein den Garaus zu machen. Bush zielte also damals - psychologisch gesprochen - im Reflex auf alles in dieser Welt, um sich "stärker als Dad" zu beweisen. Der Irak war eine gute Zielscheibe - aber es hätte genauso gut Venezuela oder Kuba oder Georgien sein können. Oder Iran! In Bush tickte stets eine Zeitbombe, die Dads Leistungen zu Staub machen wollte.

SZ: Ihr eigener Vater war Börsenmakler und Sie haben ihm "Wall Street" und "Nixon" gewidmet. In beiden Filmen ist das Vater-Sohn-Thema zentral. Gibt es denn Parallelen zwischen Ihrer Beziehung zum Vater und Bushs Konkurrenzverhalten dem Senior gegenüber?

Stone: Sicherlich. Ich glaube, die wären bei vielen zu finden. Wir alle haben einen George Bush in uns. Irgendwie verstehe ich den Mann. Ich verstehe seine Arroganz - konnte sie an mir selbst schon oft beobachten. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man weiß, dass man es besser kann als der eigene Vater.

SZ: Wann wusste Bush das?

Stone: 1992 war der Schlüsselmoment: Bushs Dad hatte die Wahl verloren. Junior hatte bei der Wahlkampagne mitgeholfen. Er hasste Clinton und dachte, der verdiene die Präsidentschaft nicht. Er, Bush Junior, hätte diese Wahl nie verloren! Dem Vater warf er vor, "zu viel zu denken". Er sah das als Schwäche. Für Bush war "Dad" nie stark wie "Mom", und sicherlich nicht so stark wie der "höhere Vater", von dem Bush später sprach, als er sich zum Fundamentalismus der "Born-Agains" bekannte.

Reagan war Bushs Vorbild - der ikonische Held mit den markigen Sprüchen, unerbittlich wie John Wayne: "Mr. Gorbachev, tear down that wall!"

Aber wissen Sie, im Prinzip - nicht in den Details - ist unser beider Beziehung zum Vater durchaus dieselbe. Ich habe mich wie jeder andere mit meinem Vater über zig Dinge gestritten. Mein Vater war Soldat, aber auch ich ging dann nach Vietnam und kämpfte dort, nur ganz anders als George. Mit seiner zweiten Amtsperiode, der gewonnenen Wiederwahl, war Bushs Sieg über den Vater offenbar. Bush glaubte damals, den größten Triumph seines Lebens auszukosten - ein Triumph, der uns und unsere Welt so teuer zu stehen kommen sollte. Das war nicht meine Geschichte - und nun ist sie's eben doch.

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