Kolumne "Nichts Neues":Weltwunder

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(Foto: Liebeskind/SZ-Grafik)

Oliver Sacks staunt so schön über Farne, dass man sich nicht mal für sie begeistern muss, um sich zu begeistern.

Von Johanna Adorján

Manche Bücher sind wärmer als andere. Dazu gehören natürlich alle Bücher von Oliver Sacks. Etwa: "Die feine New Yorker Farngesellschaft", 2019 im Liebeskind-Verlag neu aufgelegt. Es handelt von einer Gruppenreise nach Mexiko, die Sacks im Jahr 2000 unternahm, um mehr über die dortige Flora zu erfahren, genauer: die dortigen Farne. Schon seine Mutter hatte Farne geliebt, die wiederum hatte die Leidenschaft von ihrem Vater, der aus Russland nach England emigriert war, als die Pteridomania auf ihrem Höhepunkt war, die viktorianische Massenbegeisterung für Farne.

Sacks, der viele Jahre im New Yorker West Village eine neurologische Praxis betrieb, trat mit 60 Jahren der Amerikanischen Farngesellschaft bei, die jeden ersten Samstag eines Monats im Museum des Botanischen Gartens in der Bronx zusammenkam, um über die faszinierende Welt der Farne zu sprechen. Diese Gesellschaft organisierte nun eine neuntägige Reise durch Oaxaca. Ob man sich für Farne interessiert oder nicht, spielt bei der Lektüre keine Rolle. Denn natürlich hat Sacks kein trockenes Buch über Botanik geschrieben, sondern eines voller Staunen über ein Weltwunder, das zufällig eine Pflanze ist, die keine Blüten hat, dafür Schnörkel und bemerkenswerte Fähigkeiten. Es ist der wahnsinnig bezaubernde Reisebericht eines leicht verschrobenen freundlichen älteren Herrn, der mit einem Strohhut auf dem Kopf ein ihm bislang unbekanntes Land entdeckt und sich bei aller Liebe zu Farnen allzu leicht auch von den vielen anderen Wundern ablenken lässt, die links und rechts seines Weges kommen. Es ist außerdem eine Ode an Gesellschaft.

Als einziger Alleinstehender in der Gruppe fühlt er nach ein paar Tagen ein eigenartiges "Symptom", eine "schwierig zu diagnostizierende Empfindung", von der er zunächst annimmt, sie sei auf die ungewohnte Höhe zurückzuführen. Doch dann wird ihm plötzlich bewusst, was es ist: "Ein Gefühl der Freude, so ungewohnt, dass ich es zunächst nicht erkannt habe. Für diese Freude gibt es viele Gründe - die Pflanzen, die Ruinen, die Menschen in Oaxaca -, doch gewiss ist einer davon das schöne Gefühl, Teil dieser Gemeinschaft zu sein."

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