Oliver Roy: "Der falsche Krieg":Die Grautöne ausleuchten

Keine USA-Schelte, sondern ein Aufbrechen schwarz-weißer Denkmuster: Olivier Roy untersucht die Idee vom "Großraum Mittlerer Osten" in Graustufen und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Von Ralf Altenhof

Die Welt ist nach dem 11.September 2001 nicht sicherer geworden. Und das liegt keinesfalls nur am islamistischen Terrorismus. Olivier Roy, Forschungsdirektor am Pariser Centre National de la Recherche Scientifique, wirft den USA zwei strategische Irrtümer vor: den globalen Feldzug gegen den Terrorismus und die Intervention im Irak.

Mit der These vom "Kampf der Kulturen" kann Roy wenig anfangen. Die Konflikte im Nahen Osten seien kaum ideologisch begründet und betreffen vor allem die muslimische Welt selbst, wo sich eine wachsende Kluft zwischen Sunniten und Schiiten öffnet. Eine Konfrontation des Islams mit dem Abendland verweist der Autor ins Reich der Legenden. Er kritisiert aber die "Globalisierung der Bedrohung" durch die Amerikaner, weil sie eine rationale Strategie gegen den Terror verhindere.

Doch der Autor vermeidet eine generelle USA-Schelte. Zwar sei es inzwischen üblich, die Bush-Regierung zu kritisieren, "doch die Ideen der amerikanischen Neokonservativen lagen gewissermaßen in der Luft und seither verwischen sie die Grenzen zwischen Rechts und Links. (...) Die Neokonservativen haben den Gedanken bis ins Extrem getrieben, dass die westlichen Werte universell sind und verbreitet werden müssen, notfalls durch direkte Intervention. In diesem Sinne verbindet sie mehr mit einem linken Fortschrittsglauben, der jeden kulturellen Relativismus ablehnt, als mit einer kolonialistischen Einstellung".

Wer dieses mit viel Empathie geschriebene Buch liest, muss sich von scheinbaren Gewissheiten verabschieden. Die verbreitete Annahme, die Besetzung des Irak auf Ölinteressen zurückzuführen, stellt Roy in Frage. Die Öl-Lobby habe eine Intervention im Irak sogar abgelehnt. Ohnehin entfielen auf das Land nur zwei Prozent der globalen Ölproduktion.

Der französische Islam- und Terrorismusexperte sieht die Vorgehensweise im Irak als Teil des amerikanischen Projekts "Großraum Mittlerer Osten". Dabei führen die USA die islamistische Gewalt auf strukturelle Entwicklungsverzögerungen der arabischen Gesellschaften zurück. Deshalb stand zunächst die Reform der muslimischen Länder im Mittelpunkt der Antiterror-Strategie.

Keine Schwarz-Weiß-Malerei

Doch Roy sieht hierin eine ideologische Verzerrung. Die Idee vom "Großraum Mittlerer Osten" übersehe die Bedeutung kultureller Vorstellungen, etwa die nationale Zugehörigkeit oder die religiöse Identität. Die Doktrin, die auf den drei Säulen Zivilgesellschaft, Privatisierung und gute Regierungsführung beruhe, offenbare eine universalistische Grundhaltung mit antikulturalistischen Zügen.

Das gelte etwa für das (gutgemeinte) Bemühen um Gleichberechtigung, das bisweilen über das Ziel hinausschieße: "Zum Beispiel fordern die Entwicklungsprogramme in Afghanistan die gleichgewichtige Vertretung von Männern und Frauen in den dörflichen Gremien, die über die Verteilung der Hilfsleistungen entscheiden." Dabei existiere "ein solches Maß an Parität (...) in keiner westlichen Gesellschaft mit Ausnahme von Norwegen".

Die Demokratisierung entspricht Roy zufolge durchaus dem Wunsch des Volkes. Deren Scheitern führt er darauf zurück, dass die USA und die Hilfsorganisationen die Demokratie rein institutionell betrachteten. Die zentrale Frage nach der politischen Legitimität gehe unter. Roy hält dagegen die Berücksichtigung von Traditionen und des sozialen Gefüges eines Landes für unabdingbar.

Begriffe wie Terrorismus, Islamismus und Fundamentalismus werden gerne als Synonyme verwendet, doch Roy differenziert. Er beharrt auf dem Unterschied zwischen primär terroristischen und primär politischen Bewegungen, weshalb er auch für Verhandlungen mit der Hisbollah und der Hamas eintritt. Das dürfte manchem missfallen, aber Denkverbote lehnt dieser Autor ab: "Die Position moralischer Kompromisslosigkeit führt zu Ohnmacht." Man bedenke nur, wie früher Arafats Fatah eingeschätzt wurde.

Die Möglichkeit einer Demokratisierung der muslimischen Welt, ohne Islamisten einzubeziehen, die sich wie die türkische AKP für eine politische Integration und für die Demokratie entschieden haben, stellt Roy in Abrede. "Man muss wählen zwischen Erdogan und den Taliban."

Selbst wer nicht jeder These beizupflichten vermag, muss konzedieren: Das ist keine Analyse, die in Schwarz und Weiß gehalten ist. Vielmehr hat der Autor, der an der renommierten Sciences Po in Paris lehrt, die Grautöne ausgeleuchtet. So besticht diese Abhandlung durch sachliche und kluge, von keiner Seite zu vereinnahmende Argumentation. Das macht Roys fulminantes Büchlein so lesenswert.

Olivier Roy: "Der falsche Krieg - Islamisten, Terroristen und die Irrtümer des Westens." Siedler, München 2008. 188 Seiten, 19,95 Euro.

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