Oliver Pocher in der ARD:Brettern wie ein Irrer

Oliver Pocher, das laute Kind des Privatfernsehens, ist an der Seite von Harald Schmidt im Ersten angekommen - ein Zusammenprall ganz nach seinem Geschmack. Ein Portrait.

Holger Gertz

Frankfurt, im Oktober - Die Bühne, die Oliver Pocher beim Deutschen Fernsehpreis zu bespielen hat, sieht aus wie die Kommandozentrale eines Riesenraumschiffs. Blau schimmert der Hintergrund, blutrot die von innen und außen beleuchtete Showtreppe, und der Himmel über Pocher ist wie der Himmel über jeder Fernsehshow. Wo die Sterne fehlen, strahlen hundert Scheinwerfer.

Oliver Pocher und Harald Schmidt

Am 25. Oktober gehen Oliver Pocher und Harald Schmidt mit ihrem satirischen Wochenrückblick "Schmidt & Pocher" in der ARD auf Sendung.

(Foto: Foto: ARD)

Man kann sich verlaufen auf so einer Bühne, das Gleißen des Lichts kann einen verschlucken, wenn man nicht mal einen Sketch präsentieren soll, etwas Einstudiertes, an dem man sich festhalten könnte. Wenn man nur Ansager oder Laudator ist wie Oliver Pocher, eine Randfigur mit Anzug und Fliege, die bekanntgeben darf, wer den Deutschen Fernsehpreis der Kategorie "Beste Informationssendung" gewonnen hat.

Nominiert sind "Tagesthemen", "heute journal" und "RTL aktuell", die Nachrichtensendung des Senders, der die Feier in diesem Jahr im Kölner Coloneum ausrichtet. Pocher hat drei Minuten für seine Moderation, das versammelte deutsche Fernsehen sitzt vor ihm, alle Schauspieler und Moderatoren, die Frauen im feinen Kleid, die Männer im weißen Hemd mit Fliege, die reinste Pinguinarmee. Um das zu kommentieren, was aufregend war im deutschen Fernsehen des Jahres 2007, reichen drei Minuten. Das spricht nicht für das deutsche Fernsehen.

"Informationsendungen", sagt Pocher: "Einige sind heute nicht nominiert. Schade für Sat 1." Ein kleiner Hieb gegen einen Sender, der die Nachrichten weitgehend abgeschafft hat. "Da klatschen jetzt 200 Ex-Mitarbeiter", ruft Pocher und gluckst wie einer, der zu viel getrunken hat, aber es ist nur die Aufregung. Er kriegt Applaus vom alten Adel des Fernsehens im Publikum, öffentlich-rechtlich und privat. Wenn ein guter Comedian einer ist, der alle fängt, dann ist Pocher jetzt gerade ein sehr guter Comedian.

Tom Buhrow kichert, Friedrich Nowottny stehen die Lachtränen noch in den Augen, Hugo Egon Balder laufen sie schon übers Gesicht. Pocher hält den Briefumschlag mit dem Namen des Gewinners in der Hand. Er sagt: "Um die Spannung ein bisschen zu erhöhen: Der Verlierer muss Eva Herman wieder einstellen."

Er macht den Umschlag auf und erledigt, nachdem er das deutsche Fernsehen erledigt hat, auch die romantische Idee, beim Deutschen Fernsehpreis herrsche Chancengleichheit: "Das ist echt geil, wenn man den hier macht, den Fernsehpreis, kriegt man auch die Preise: Der Gewinner ist RTL aktuell, meine Damen und Herren!"

Harz IV und Furz III

Die Veranstaltung zieht sich danach noch stundenlang hin und wirft Fragen auf, die zum Teil ineinander verschachtelt sind. Warum kriegt Michael Schumacher einen Fernsehpreis? Warum gibt es Formate wie die "Supernanny"? Warum gibt es einen Preis für Formate wie die "Supernanny?" Warum darf Marco Schreyl jetzt alles wegmoderieren bei RTL, die Superstars und das Skispringen und auch den Fernsehpreis; warum zündet in all diesen Sendungen kein einziger seiner Gags? Ist das Deutsche Fernsehen tatsächlich so langweilig wie sein Preis oder nur so brav wie Marco Schreyl?

Erst spät erlebt das Fest den zweiten Höhepunkt. Götz George wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet, hält eine Rede von zumutbarer Länge und bündelt die Sehnsucht aller in einem Satz: "Ich habe wahnsinnigen Durst und Hunger, wir müssen das Ganze jetzt mal zu einem Ende bringen." Die Party, auf der Durst und Hunger zu stillen sind, erlebt Pocher nicht mehr. Er ist da schon wieder auf dem Weg nach Berlin, zum nächsten Auftritt. Er hinterlässt: einen Eindruck.

Oliver Pocher war Viva-Moderator und als Pro-Sieben-Comedian so oft im Programm, dass er Sendergesicht genannt wurde. Pocher war nicht nur das Sendergesicht, er war - und ist es immer noch - das Gesicht des gesamten Privatfernsehens, laut und dummdreist, der Hofnarr von Menschen, die von Hartz IV leben und sich ihre Zeit damit vertreiben, Klingeltöne runterzuladen, die in Furz eins, Furz zwei und Furz drei unterschieden werden.

Dann kam die Meldung, Pocher werde ab Oktober Late-Night machen, im Ersten, öffentlich-rechtlich, mit dem etwas müde gewordenen Harald Schmidt. Schmidt selbst habe ihn vorgeschlagen. Die Vorstellung, den Flegel gemeinsam mit dem großen Erzieher der Gesellschaft erleben zu müssen, erschütterte Teile der Gemeinde da draußen. "Als würde man Aldi-Brause ins Champagner-Regal stellen", schrieb der Spiegel in seiner Online-Ausgabe. Es war wie damals, als die Ikone Madonna auf offener Bühne der Prollheldin Britney Spears einen Zungenkuss verpasste. Es war ein Schock.

Auf der nächsten Seite: Oliver Pocher sagt zwei, drei Sachen, die sich sonst noch keiner getraut hat.

Brettern wie ein Irrer

Oliver Pocher ist 29 und muss von nächster Woche an ein anderes Publikum bedienen im Ersten, eines, das viel älter ist als er und seine Sendungen verachtet, wenn es sie überhaupt gesehen hat. Er wird, im Ersten, Botschafter des Privatfernsehens sein, dessen Kind er so sehr ist wie kein anderer. Er wird den Mut der ARD belohnen müssen, ihn sich zuzutrauen.

oliver pocher

Oliver Pocher fotografiert von Jörg Klaus für "GQ".

(Foto: Foto: dpa/obs/GQ)

Er soll Schmidt erlösen und retten zugleich. Er wird nicht darauf zählen dürfen, dass Schmidt ihn schützt. Wen hätte Schmidt je geschützt? Bei Schmidt macht Schmidt die Gags. Pocher wird sich an Regeln halten müssen. Und neben all dem muss er nur noch lustig sein.

Ins Revier gepisst

Zwei Tage nach dem Fernsehpreis schlurft Oliver Pocher kurz vor dem Start der Lufthansa-Maschine nach Frankfurt in die Abflughalle des Flughafens Tegel, Gate A11, beulige Jeans, Trainingsjacke, Sneakers. Der Anzug schlummert in einem Schonbezug über der Schulter. Er sieht zerknautscht aus, während er aufgeregt ins Handy spricht. Es geht darum, ob er am Abend in Frankfurt auf dem Balkon des Römers auftreten darf, die Fußballnationalmannschaft der Frauen wird für ihren WM-Titel geehrt.

Pocher will da sein Fußballlied singen, eine simpel gestrickte Hymne, die "Schwarz und Weiß" heißt und ein Hit war während der Männer-WM 2006. Aber als die Männermannschaft in Berlin gefeiert wurde, vorm Brandenburger Tor, sangen die Sportfreunde Stiller, weil, sagt Pocher, der Deutsche-Fußball-Bund irgendwelche Vorbehalte gegen ihn hatte. Ein Auftritt Pochers jetzt würde beweisen, dass er nicht nur in der ARD angekommen ist, sondern auch beim DFB. Letzter Aufruf für LH 183. Pocher klappt das Handy zu und macht leise pffft.

Als der Flieger abhebt, sitzt Pocher auf Platz 44 C und erzählt davon, wie es war beim Fernsehpreis. Er war perfekt, geniales Timing. "Einmal kurz ins Revier gepisst, auf gut Deutsch gesagt, und danach geht man direkt und muss sich auf der Party nicht anhören, wie toll man war. So wurde es mir zugetragen." Jeder hat im Fernsehen die anerkennenden Blicke der großen Männer von der ARD sehen können, von Nowottny und Struve.

"Da waren bestimmt Menschen im Publikum, die mich bei dem Auftritt neu entdeckt haben. Die haben bisher gedacht, ach ja, der hat damals die Mediamarkt-Werbung gemacht und hat eigentlich nichts zu sagen. Und jetzt sehen die: ,Mensch du, der hat ja doch zwei, drei Sachen gesagt, die sich sonst keiner getraut hat.'"

Der Schmerz im Scherz

Er hat es ihnen gezeigt, irgendwie. Er hat sich bewiesen. Der Flug nach Frankfurt dauert eine knappe Stunde, in der öfter die Rede davon ist, dass er sich bewiesen hat. Mit seinen Eltern, aktive Zeugen Jehovas, hat er früher an Wohnungstüren geklingelt, um das Zentralorgan "Wachturm" loszuschlagen. Von hundert Türen flogen 98 sofort wieder zu, "da lernt man, Leuten auf den Sack zu gehen und es immer wieder zu versuchen".

Er moderierte im Krankenhausradio, in Großraumdiskos, lernte zwischendurch Versicherungskaufmann, verklebte viel Porto, um den Sender Viva mit Bewerbungsvideos zu versorgen, wurde abgelehnt, bis er in einer Talkshow von Hans Meiser eine Woche Viva-Gastmoderation gewann und dann beim Sender blieb. Er war bei Pro Sieben Assistent eines schwabbeligen Menschen namens Elton, der seinerseits als Praktikant von Stefan Raab arbeitete.

Der Assistent des Praktikanten bekam seine eigene Show, "Rent a Pocher", in der man ihn mieten konnte: als französisches Zimmermädchen, aber auch als Hund, der bereit war, echten Hunden an den Genitalien rumzuschnüffeln. Pocher war krawallig und pubertär, alles spielte sich ab in der Subkultur der Privatsender, einer Nische im Verborgenen, in die kurz vor Mitternacht zum Glück nicht jeder blickte.

Bei der WM, als sein Sender verborgen war wie nie, weil die Fußballspiele bei den anderen liefen, hat Pocher ein Gegenprogramm gebastelt. Er verwurstete die Reste auf jedem Niveau. In Gewinnspielen war die Frage zu beantworten: Welches Land spielt in der deutschen Gruppe? A) Costa Rica. B) Costa Cordalis.

Kindergesicht aus Hannover-Altwarmbüchen

Pocher war im Trikot von Trinidad und Tobago in einem Puff in Düsseldorf, interviewte Kühe auf dem Bauernhof, besuchte Dauercamper, drehte kleine Reportagen, die albern waren oder witzig - und manchmal Dokumente einer Entwicklung. Er hielt den Leuten ein pelziges Mikro unter die Nase und verarschte sie so, dass es klang, als verarsche er sich selbst.

Er hat auch die Familie des aus Polen stammenden deutschen Stürmers Miroslav Klose besucht; niemand außer ihm war auf diese Idee gekommen. In Oppeln betrachtete er mit Kloses Lieblingslehrerin alte Klassenfotos und traf Kloses Lieblingsnichte, die davon überzeugt war, Klose schieße jedes seiner Tore nur für sie. Die Klose-Nummer war kein Gag, eher eine Hommage an einen Fußballer, von dem es am Anfang hieß, er werde es nicht mal beim schlechten Verein Kaiserslautern schaffen. Als er es geschafft hatte, hieß es, er werde beim viel besseren Verein Werder Bremen untergehen.

Als er es in Bremen geschafft hatte, hieß es, bei Bayern werde er nur auf der Bank sitzen. Wenn man Kaiserslautern mit Viva vergleichen kann und Werder mit Pro Sieben, dann ist der FC Bayern wie die ARD: Von seiner Tradition und Reichweite her der öffentlich-rechtlichste Verein in der Bundesliga. Der stille Fußballer Klose ist das Gegenteil des lärmenden Fußballfans Pocher und gleichzeitig sein Ebenbild. Er ist auch bei Bayern bester Schütze der Liga. Pocher sagt, und es klingt, als spräche er über sich selbst: "Klose bestätigt doch in jeder neuen Situation, dass er es draufhat."

Im Vertrag für die Sendung mit Schmidt steht, dass sie "Schmidt und Pocher" heißen wird. Er will kein Stichwortgeber sein wie Manuel Andrack, sondern gleichberechtigter Teil des Ganzen. "Schmidt und Pocher" klingt, aus Sicht der Pocher-Hasser, nach Anmaßung. Aber, aus Sicht von Pocher, ist der Titel Teil eines Masterplans. Er sichert ihn ab.

Es gibt eine Theorie: Der Schmerz ist es, der den Komödianten treibt. Jeder brauchbare Entertainer war als Kind Außenseiter. Rudi Carrell mit seinem Pferdegebiss, der spindeldürre Otto Waalkes, der glubschäugige Marty Feldman. Oliver Pocher, das Kindergesicht aus Hannover-Altwarmbüchen, knapp über einssiebzig, die Eltern bei den Zeugen Jehovas. Es gibt die Theorie, dass ein Entertainer Entertainer wird, weil er eine Mitte suchen muss, in die andere hineingeboren werden.

Auf der nächsten Seite: Fischbrötchen bei Mediamarkt und ein Gesicht voller Filzstiftpunkte.

Brettern wie ein Irrer

Die Maschine landet pünktlich. Beim Autoverleih besorgt Pocher einen Wagen, gegen die Herausgabe einiger Autogrammkarten handelt er einen Rabatt aus. Er will mit dem Auto zu einigen Autogrammstunden in Mediamärkten der Umgebung, die neue DVD muss promotet werden. Verschiedene Telefonate haben inzwischen ergeben, dass alles klargeht, er darf mit den Fußballerinnen auf den Balkon, wenn er nur rechtzeitig zurück ist. Pocher rast nach Worms, er fliegt. Er hatte zehn Punkte in Flensburg, stand in der Zeitung, aber zweijähriges unfallfreies Fahren hat ihn von der Last befreit. Er werde brettern wie ein Irrer, sagt Pocher. Wenn man nicht zu laut bete, störe ihn das nicht.

Pocher betritt den Mediamarkt in Worms durch die Warenannahme, ein paar Arbeiter in ihren ferrariroten Mediamarkt-Shirts lassen die Paletten fallen und bilden eine Art Spalier. Er sucht sich den verschwitztesten Mann aus, der die verdreckteste Hose trägt und sagt: "Sie sind bestimmt der Marktleiter." Sein harmloses Jungsgesicht ist nützlich beim Abfedern kleiner Gemeinheiten, weil es einen Fluchtweg anbietet. Der Mann kann am Abend nach Hause gehen und zu seiner Frau zu sagen: Stell dir vor, der Pocher war da und hat mich für den Marktleiter gehalten.

Ein Anruf von Rudi Carrell

Die Leute vom Mediamarkt haben einen Lagerraum freigeräumt, damit Pocher sich vor der Autogrammstunde ein bisschen ausruhen kann. Die Kaffeemaschine ist gefüllt, Häppchen ohne Ende. Der echte Marktleiter kommt und sagt, er habe gehört, Pocher liebe Sushi, "aber in Worms gibt es kein Sushi, da haben wir Ihnen Fischbrötchen gemacht". Es erscheinen Arbeiter und Verkäufer, einige haben ihre Kinder dabei, und Pocher gibt Autogramme und lässt Fotos machen.

Es dauert ewig, der Markt hat viele Mitarbeiter, die von Pocher belohnt werden. Sie haben sich große Mühe gegeben, den Auftritt zu bewerben, im Wormser Nibelungen Kurier waren gleich zwei große Artikel und Anzeigen, deswegen stehen die Fans bis auf die Straße. "So einen Moment gibt es in Worms ja nicht jeden Tag", sagt der Marktleiter, und Pocher beißt von einem Brötchen. Da klingelt sein Handy. Er schaut auf das Display und sagt: "Aaah, der große Mario Gomez." Die beiden sind befreundet, Pocher und der Nationalspieler, und dass er hier anruft, steigert den Respekt der herumstehenden Mediamarkt-Belegschaft in Bereiche, die nicht mehr messbar sind.

Pocher meldet sich mit "Jogi Löw, Bundestrainer" und empfiehlt Gomez, er möge "langsam wieder den Arsch hochkriegen, sonscht isch's Essig mit der Nationalmannschaft". Zwischendurch wechselt er den Stimmklang und ist jetzt Franz Beckenbauer, während die Mediamarktleute ihn anstarren wie einen Geist, der imstande ist, das Fernsehen und den Fußball zugleich nach Worms zu zaubern.

Punkt drei fängt die Autogrammstunde an. Im Markt steht eine kleine Bühne. Vorhang auf, Pocher raus, die wartenden Schülerinnen kriegen Kugelaugen. Vereinzelt spitze Schreie.

An Bäumen nagende Kettensägen

Kurze Stand-up-Nummer, dann signiert er. Jede kommt einzeln zu ihm an den Tisch, einige Mädchen pressen die Lippen aufeinander, damit ihr Verlegenheitslächeln nicht die Zahnspange hervorblitzen lässt. Irgendwann rennen alle Mädchen kichernd Richtung Klo und lassen in der Staubsaugerabteilung ein paar Jungs achtlos zurück, mit denen sie zusammen waren, jedenfalls bis zu dem Moment, an dem Oliver Pocher in den Mediamarkt gekommen ist.

Am Ende ist Pochers Schreibhand voller Filzstiftpunkte, die er sich beim Signieren im Gedrängel zugezogen hat.

Weiter nach Heidelberg, nächster Mediamarkt. Pocher erzählt von großen Entertainern und von kleinen Clowns, er kann die Sketche von Hans Werner Olm auseinandernehmen, erinnert an einen vergessenen Viva-Menschen namens Lämmermann, der eine komische Frisur hatte, aber viel mehr hatte er nicht. Pocher ist 29, aber schon wie der alte Carrell: der analytische Chefkritiker aller deutschen Komödianten. Er erwähnt Mirko Nontschew, den besten Geräuschemacher aller Zeiten. An Bäumen nagende Kettensägen, getretene Katzen, alles hat der drauf.

Auf der nächsten Seite: Komplimente und Liebeserklärungen.

Brettern wie ein Irrer

Aber Geräuschemachen allein reicht nicht, um wie Rudi Carrell zu werden, man muss sich entwickeln, sonst wird man sein Leben lang nur Geräuschemacher oder Showpraktikant bleiben. Olli Dittrich hat sich neu erfunden, als Ditsche, Rudi Carrell war in den Sechzigern perfekt als netter Showmaster, damals, als das Publikum vom Fernsehen noch gewärmt werden wollte. Und dreißig Jahre später, als ein anderes Publikum den kalten Reiz der Ironie suchte, fand es ihn wieder bei Carrell, der immer noch perfekt war als Zyniker mit Faltengesicht.

Er kannte ihn, sagt Pocher. Carrell hat ihn mal im Fernsehen gesehen und am nächsten Tag angerufen. Anrufe von Carrell waren für Comedians, was für Wissenschaftler Anrufe vom Nobelpreiskomitee sind. "Schuuuper, Olli, klasse", habe Carrell gerufen, Pocher dachte, ein Stimmenimitator wolle ihn verarschen, aber es war echt. Pocher sagt: "Es gibt ein Motto in der Szene. Wer selbst großes Potential hat, findet auch Talente, die großes Potential haben. Stars erkennen künftige Stars." Sie haben sich getroffen, er hat Carrell zum Lachen gebracht. Nichts war schwieriger, als Carrell zum Lachen zu bringen. Es war ein Schritt.

Essen auf Rädern

Pocher hat vermutlich jeden Sketch der anderen gesehen, er schaut so viel Fernsehen. Er hat sich verglichen und orientiert, er ist wie die jungen, ehrgeizigen Journalisten, die nun über ihn schreiben und wissen, dass alles, was leicht hingeschrieben aussieht, das Resultat von Schwerarbeit ist. Die letzten Geschichten über ihn, in der FAS und im Spiegel, waren fast Liebeserklärungen. Pocher hat nicht alles gelesen, er liest eh nicht so viel. Aber er hat es registriert.

In der FAS stand: "Pocher pflegt eine elementare, aber nicht voraussetzungslose Form von Komik."

Schöner Satz, ein bisschen kompliziert. Pocher lässt ihn nachklingen. Dann sagt er: "Da wäre ich nie drauf gekommen. Aber der Kollege hat recht."

Der Mediamarkt in Heidelberg sieht aus wie der in Worms und vielleicht wie jeder Mediamarkt, allerdings muss der Marktleiter sich erstmal setzen, als Pocher ihm eröffnet, dass man es wird kurz machen müssen. Der Empfang in Frankfurt, Sie verstehen, sozusagen höhere Gewalt. In der Zeit, die bleibt, unterschreibt er, was da ist, kistenweise DVDs, und ein Lagerarbeiter sagt, er habe doch schon am Morgen in der Bild gelesen, Pocher wolle mit der Mannschaft auf den Römer.

Auf allen Bühnen keine Unterschiede

Pocher sagt, das sei falsch wiedergegeben: "Ich habe gesagt, ich will über die Mannschaft rüber", und weil ein dreckiger Witz grundsätzlich geeignet ist, jede Spannung abzubauen, bleibt alles in der Waage. Die Heidelberger sind froh, dass er überhaupt gekommen ist und geben ihm die eigens herbeigeschaffte Portion Sushi gern mit nach Frankfurt, als Wegzehrung.

Er isst und rast, und als es schon dunkel ist und die Fußballerinnen auf dem Balkon stehen, steht da auch Pocher, Trikotnummer 12, und redet mit der Torfrau Nadine Angerer, die ein Stück größer ist als er. Er redet mit ihr wie mit Mario Gomez vorher und mit den Arbeitern von den Mediamärkten und mit seiner Freundin am Telefon und mit seiner Managerin und mit der Frau vom Autoverleih und vermutlich auch bald mit Harald Schmidt. Es gibt für ihn auf allen Bühnen keine Unterschiede.

Irgendwann darf er dann singen, es klingt wie Grölen, und die Fußballerinnen mit ihren von der Feierei gereizten Stimmbändern grölen das alberne Lied mit. Es steht auch ein überaus hässlicher Adler auf dem Balkon, der das Maskottchen des DFB sein soll und einmal, vom Gewicht seines immensen Schnabels aus dem Gleichgewicht gebracht, über die Brüstung zu stürzen droht. Reporter rennen mit Mikros rum, die Technik ist dermaßen übersteuert, dass sich ein monströses Fiepen über alles legt.

Es gibt genügend, was von ihm ablenken könnte. Aber Oliver Pocher grölt einfach immer weiter.

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