Süddeutsche Zeitung

Literaturnobelpreis:Der Umgang der Öffentlichkeit mit Olga Tokarczuk ist ungerecht

Während der autoritäre Trotz Peter Handkes alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, findet das pluralistische Weltbild der zweiten Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuks zu wenig Beachtung.

Kommentar von Marie Schmidt

Bisher hat man aus Taktgefühl die Schriftstellerin und den Schriftsteller nicht miteinander verglichen, die jetzt zur gleichen Zeit in Stockholm den Nobelpreis überreicht bekommen. Sie müssen sich Pomp und Zeremonien teilen. Wenn sie sich im Rampenlicht auf die Füße treten, liegt das daran, dass die für den Literaturnobelpreis zuständige Jury - die Schwedische Akademie - vergangenes Jahr so mit sich und ihren Skandalen beschäftigt war, dass die Preisvergabe ausfiel und dieses Jahr nachgereicht werden muss. Olga Tokarczuk läuft also heuer als Geehrte des Jahres 2018 mit. Über die Merkwürdigkeit der Doppelkonstellation höflich hinwegzusehen bedeutet aber auch, nicht darüber zu reden, wie Olga Tokarczuk durch den Aufruhr um Peter Handke und seine Parteinahme für die serbischen Kriegsherren der Jugoslawienkriege in der öffentlichen Aufmerksamkeit ins Hintertreffen gerät. Was ungerecht ist und ihrer Bedeutung als Autorin und Intellektuelle nicht entspricht.

Die Akademie, die über all das entschieden hat, hätte in diesem einzigartigen Jahr eine bedeutungsvolle Paarung schaffen können, Ästhetiken, Poetologien, die ein interessantes Licht aufeinander werfen. Falls sie diesen Gedanken hatten, haben die beteiligten Herrschaften keine gute Art gefunden, ihn auszudrücken. So wie sie auch nicht erklären konnten, warum sie mit dem Dichter Handke auch den Jugoslawien-Kommentierer in seiner trotzigen Ignoranz gegenüber den Tatsachen nobilitierten. Sie haben ihre Verantwortung für ihre Entscheidung und für die beiden Dichter, die sie der Weltöffentlichkeit aussetzen, nicht wahrgenommen.

Da stehen jetzt also zwei verschiedene Interpretationen dessen peinlich nebeneinander, was es bedeutet, Schriftsteller seiner Gegenwart zu sein. Olga Tokarczuk hat gerade einen Teil ihres Preisgeldes in eine Stiftung zur Kulturförderung gesteckt, mit der die Arbeit von Frauen und Forschung zum Feminismus gefördert werden soll. Selbstverständlich besteht auch sie darauf, dass ihre Werke nicht als Kommentare zum politischen Zeitgeschehen interpretiert werden. Aber sie hat einen Begriff von sich als Bürgerin und nutzt als solche ihre Bekanntheit, um sich zum Beispiel gegen die Justizreform in Polen zu engagieren oder sich für die Grünen einzusetzen.

Peter Handke dagegen spricht immer als Dichter, die Fähigkeit, seine verschiedenen Rollen zu begreifen, scheint ihm abzugehen. Nur so kann einer, der eine gefährliche politische Dummheit begangen hat und vor einer Fernsehkamera darauf angesprochen wird, antworten: "Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Homer, von Cervantes, und lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen."

Nun händeln gegenwärtig alle Menschen, nicht nur Künstler, eine Vielzahl privater und professioneller Rollen, virtuelle Personae und Social-Media-Identitäten und unterscheiden genau, was sie wie in welchem Medium sagen können. Deshalb wirkt so ein identisches Ich heute komisch bis unverständlich. Um sich erklären zu können (von entschuldigen wollen wir gar nicht reden), müsste der Schriftsteller Handke diese total existenzielle Vorstellung seiner ästhetischen Souveränität aufgeben und ein Verhältnis zum Bürger Handke einnehmen. Dafür gibt es im Moment keine Anzeichen.

Wenn man auch aus ihren Büchern keine politische Botschaft herauslesen kann, sprechen Olga Tokarczuks Gegenstände, spricht die Form ihrer Erzählstimme doch für eine bestimmte Haltung. Dass sie in ihrem Roman "Die Jakobsbücher" die Geschichte jüdischer Häretiker im 18. Jahrhundert wählt, um von den vielfältigen Ursprüngen Europas und dem Entstehen der Aufklärung zu erzählen, kann dem nationalistischen Polen zum Beispiel weniger gefallen. Sie entwickelt diese Geschichte in einem irren Panorama von Kleinst- und Nebenhandlungen, einem unüberschaubaren Arsenal an Figuren und Submilieus, ohne dass es eine alles überblickende, didaktische Stimme gäbe. Die Erzählerin tritt zurück hinter die Stimmen der Leute und den Geschmack der Zeit, die sie erstehen lässt. Bei Handke tönt meistens die Stimme eines Schreibenden im Vordergrund, der sich gewissermaßen an den Gegenständen, vor allem aber an seiner Beschreibungsmacht selbst erfährt.

Bei der Pressekonferenz, die es am Freitag in Stockholm zu den anstehenden Nobelpreisfeierlichkeiten gab, haben die Anwesenden Handke ein Ständchen gesungen, weil er 77 Jahre alt geworden ist. Handke ist 1942 geboren, in der NS-Zeit, im Krieg. Will man ihm gut, kann man sagen, dass er einer Generation angehört, die den Anspruch hat, als Dichter autonom, im Sinne von der Welt enthoben, zu sein, um sich der Indienstnahme und Verführung durch politische Mächte zu entziehen. Dass ihn das an die Seite von Kriegsverbrechern wie Slobodan Milošević geführt hat, wäre dann tragisches Scheitern.

Olga Tokarczuk ist 20 Jahre jünger, sie hat die Solidarność-Revolution und den Niedergang des Kommunismus gesehen und den Aufschwung des Nationalismus erlebt. Ihre Bücher zeigen aber, dass unterhalb der Geschichte großer Mächte immer eine Vielfalt der Stimmen und Lebensweisen wimmelt, die nach der Anerkennung zumindest in der Literatur rufen.

Die Dynamik öffentlichen Interesses geht aber leider dahin, dass eine verantwortungsvolle Haltung und ein pluralistisches Weltbild, wie das von Olga Tokarczuk, respektvoll nickend zur Kenntnis genommen wird, während die tatsachenresistenten Einlassungen eines Peter Handke wochenlange Debatten auslösen und Aufmerksamkeit binden. Und zwar nicht nur, weil seine falschen Darstellungen der jugoslawischen Zerfallskriege korrigiert gehören und den Betroffenen Gehör verschafft werden muss. Sondern womöglich auch aus einer leisen Faszination für seinen autoritären Trotz. Es ist dieselbe Gruselfaszination, die den Populisten aller Länder viel zu viel Sendezeit verschafft.

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SZ vom 07.12.2019/luch
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