Musiktheater:Erinnerung an den Untergang

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Szene aus der Uraufführung von "Opera und ihr Double" bei der Münchener Biennale. (Foto: © Martin Miotk)

Ole Hübners "Opera und ihr Double" als theatralische Installation bei der Münchner Musiktheater-Biennale.

Von Egbert Tholl

Natürlich ist es völlig verrückt, beklemmend und auch bizarr, wenn man jetzt in eine Musiktheateraufführung geht, in der die Welt in Trümmern liegt, die Oper kaputt ist und seltsam seelenlose Wesen die Szenerie beherrschen. Wäre Ole Hübners Oper "Opera, Opera, Opera! Revenants and Revolutions" wie geplant vor zwei Jahren, bei der Münchner Musiktheater-Biennale 2020, herausgekommen, sie wäre ein weiteres Beispiel für die Lust an der Dystopie gewesen, die einem seit geraumer Zeit auf den Bühnen immer wieder begegnet. Aber die Pandemie machte die Festival-Ausgabe unmöglich, und jetzt herrscht nun einmal Krieg in Europa, Verwüstung ist kein Gedankenspiel mehr. Auch das, was von der einst geplanten Produktion übrig ist, ist nur noch deren Ruine. Die nun im Utopia in München nachgeholte Uraufführung trägt jetzt den Titel "Opera und ihr Double".

Von der Originalmusik bleibt eine Stunde übrig

Als die Biennale 2020 abgesagt wurde, machten sich deren Leiter Daniel Ott und Manos Tsangaris an den Plan, möglichst viele der geplanten Uraufführungen zu retten und bis zur nächsten Ausgabe des Festivals, die im Mai dieses Jahres stattfinden wird, herauszubringen. Manches davon konnte nur digital realisiert werden, "Opera und ihr Double" ist die letzte Arbeit aus dem Fundus von 2020, die szenisch umgesetzt werden konnte. Zumindest in Teilen. Denn das Originalwerk ist eigentlich zweieinhalb Stunden lang. An der damals koproduzierenden Oper Halle fanden unter Corona-Bedingungen noch Proben statt, der MDR schnitt eine knappe Stunde Musik mit. Die ist nun die tönende Basis der Installation, die Michael von zur Mühlen im Utopia einrichtete. Dafür drehte er auf der leeren Bühne des Opernhauses in Halle Videosequenzen mit den Solisten, erarbeitete digitale, im Computer animierte Bildsequenzen und baute einen dreiteiligen Raum, der als begehbares Bild für sich allein herrlich funktioniert. Während man zunächst herumwandert, wird man umwölkt von einem Sirren und Flirren, von Chorsequenzen aus dem Nichts, von etwas rätselhaften, aber nie unerhört neuartig wirkenden Klängen, bis man am Ende, im dritten Raum, vor großen Leinwänden sitzt und Video schaut.

Ole Hübner, Jahrgang 1993 und in verschiedenen künstlerischen Kollektiven zu Hause, scheint erfüllt zu sein vom Furor der Jugend, das Genre, in dem er selbst kompositorisch tätig ist, grundsätzlich infrage zu stellen. Er kennt den Fundus der Opernwerke, findet aus diesem aber noch keinen eigenen Weg. Aber im Suchen ist er versiert, er kann auch elaborierte Orchestersätze schreiben, arbeitet viel mit Elektronik und erfindet gerne Instrumente, vor allem für den Perkussion-Bereich. Leider sieht man die Staatskapelle Halle, den Dirigenten Michael Wendeberg und die Instrumente in der Installation nicht - der Probenmitschnitt des MDR war rein akustisch.

Der Text erinnert an private, gesellschaftliche, politische und sonstige Katastrophen

Vor allem hört man einen vielstimmigen Chor, der sich durch das Libretto von Thomas Köck ackert. Den Text soll man als "vierten, verschollenen Teil" von dessen "Klimatrilogie" verstehen, und das was man dann auch konkret versteht, erinnert im Duktus mitunter an eine Brechtvertonung. Es sind Variationen auf ein fremdbestimmtes "Scheißleben", Erinnerungen an private, gesellschaftliche, politische und sonstige Katastrophen. Der Text ist ein Fluidum, die Musik ist es auch, immer wieder schwimmen Brocken vorbei, derer man in unmittelbarer Rezeption fast haptisch habhaft werden kann. Da wird dann etwa auf die Aufführung von Aubers Oper "Die Stumme von Portici" 1830 in Brüssel rekurriert, die im Publikum einen Aufruhr, auf den Straßen eine Revolution und schließlich die Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden auslöste. Der Ruf damals lautete "Aux armes - zu den Waffen".

Noch einmal: Stück und Installation sind kein Kommentar zum derzeit grässlichen Weltgeschehen. Aber da Michael von zur Mühlen sich als Regisseur schon lange von Kohärenz als notwendiger Kategorie für eine Opernaufführung verabschiedet hat, ist seine Installation auch durchlässig für die Welt da draußen. Erst bewegt man sich noch in einem Kunstdiskurs, vorbei an Pappaufstellern des reichlich postapokalyptisch ausstaffierten Personals, das man im Video später wiedertrifft. Inmitten dieses Karnevals des Grauens sitzen festlich gekleidete Puppen auf Brokatbänkchen, wirken von einem ewigen Opernschlaf übermannt, Restpublikum eines "restlichen Opernabends". Man trifft auf eine Waldinstallation, die auf den "Deutschen Herbst" verweisen soll und schließlich in den Videos auf ein halb zerstörtes Operngebäude, auf ein paar gespenstische Avatare in einem ansonsten leeren Zuschauerraum und auf leibhaftige Solisten, einen Cyborg mit fehlprogrammierter Stimme und auf zwei irisierende Wesen, lebende, weibliche Hologramme, die allein diesem Blick aus der Zukunft auf eine zerstörte Vergangenheit die notwendige Sinnlichkeit mitgeben.

Ist "Opera und ihr Double" letztlich ein offenes Assoziationsangebot, so ist ausgerechnet eine der eben fertiggestellten, rein digital zu sehenden Arbeiten faszinierend konkret. Blanka Rádóczy inszeniert "Transstimme", eine Oper von Fabià Santcovsky nach einem Text von Anja Hilling, als schillernden Paar-Thriller in HD-Qualität. Die Stimme der Frau, der hinreißenden Juliana Zara, bildet den Kokon einer Liebe, der dann zerreißt, wenn sie ihre natürliche Fähigkeit zu singen verliert und diese durch eine künstliche ersetzt werden muss.

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