Stilkritik:Die Masche mit der Tasche

Stilkritik: Ein Kanzler wie du und ich: Olaf Scholz (SPD) auf dem Weg nach Kanada

Ein Kanzler wie du und ich: Olaf Scholz (SPD) auf dem Weg nach Kanada

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Eine ausgebeulte Aktentasche begleitet den Kanzler auf Schritt und Tritt. Jetzt hat er ihr Geheimnis gelüftet.

Von Gerhard Matzig

Die Agentenfilmparodie "True Lies" stammt aus den frühen Neunzigerjahren. Wir kommen auf Waffen und heimliche Bargeldreserven noch zurück. Jedenfalls ist der Film nicht ganz so alt wie die seit den frühen Achtzigerjahren abgewetzte, aber auch enorm sympathische, möglicherweise sogar vertrauensbildende Kanzler-Tasche. Aus Leder. Schwarz. Rein farblich ist bei näherer Betrachtung das daraus geworden, was auch die Union auszeichnet: ein dezenter Gebrauchs-Schimmel. Der lässt manchmal die Schönheit der Patina vermuten, manchmal auch nur das Klischee von Bodenständigkeit aufscheinen.

Das Geheimnis der Tasche hat Scholz soeben auf Instagram gepostet. Im Ergebnis ist man erschüttert. Apropos: Ob Putin seinerzeit am XXXL-Kremltisch die Filmszene aus "Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat" im Gedächtnis hatte? Hitler, ein Tisch, eine Tasche, eine Bombe ... die Lösung aller Probleme liegt nicht immer auf dem Tisch. Schade, dass Taschen mit Sprengstoffschubern, die nicht auftragen, nur im Darknet zu ordern sind.

Von dort stammt die Scholz-Tasche nicht. Scholz hat die Tasche, die aber grundsätzlich immer so verbeult wie nach einer schweren Detonation aussieht, vor Jahrzehnten gekauft. Als "junger Anwalt". Er schreibt: "Meine Aktentasche begleitet mich auf jeden Termin, jede Auslandsreise und auch in den Urlaub." Man stellt sich kurze Hosen, Flipflops und Sand darin vor. Eine kleine Utopie.

Die Hoffnung bleibt, es könne ein richtiges Leben auch in der falschen Aktentasche geben

Tatsächlich ist, so Scholz, nur drin: "Meine Lesebrille, Tageszeitungen und natürlich Akten." Umwerfend. Ein Kanzler wie du und ich. Mit einem lobenswerten Hang zu Tageszeitungen, womöglich sogar zu süddeutschen Zeitungen. Das beruhigt. In Tageszeitungen gibt es Leitartikel für Probleme aller Art. Nachlesen. Umsetzen. Fertig. Welt gerettet.

Weniger toll sind die Akten. Man stellt sich vor, dass Putin sagt: Hör mal, Olaf, ich dreh euch jetzt das Gas ab, kapiert? Und Scholz, was soll er auch sonst tun nach Jahrzehnten des deutschen Inputinverknalltseins, macht eine zittrige Aktennotiz: "Kein Gas? Annalena fragen." Farbig eingekringelt.

Vielleicht schreibt Scholz noch "Pennschieter" dazu. Das ist spekulativ. Zu nichts anderem dienen Aktentaschen in letzter Konsequenz. Zu Vermutungen und Hoffnungen, es könne ein richtiges Leben auch in der falschen Aktentasche geben. Würden Kanzler stattdessen It-Bags zum Preis von Gasnachzahlungen mit sich führen, änderte sich daran nichts.

In "True Lies" dient die Tasche auch einem genialen Anmachtrick (der so gut funktioniert wie sonst nur noch die Operation Walküre). Man versteckt Waffen, Geldbündel und geheimnisvolle Dokumente darin, schiebt die Tasche im Restaurant einer schönen fremden Frau zu ("schnell, man darf das nicht bei mir finden") - und wartet darauf, dass sich das übliche Geheimnis einer Tasche und die übliche Sehnsucht nach einem aufregend anderen Leben zu einem Akt der Liebe und rauschhafter Ekstase verbinden.

Was Scholz angeht: Irgendeiner muss auch Leitartikel lesen. Queen Elizabeth II. soll übrigens immer Marmeladenbrote in ihren legendären Handtaschen aufbewahrt haben. Das ist majestätisch. Wir haben Scholz und seine Akten.

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