"Oh Schimmi!" von Teresa Präauer:Ein Buch für den gebildeten Freak

Teresa Präauer

Ihre Satire auf alle gesellschaftskritischen Satiren ist eine große Hommage an alles Äffische: Theresa Präauer

(Foto: dpa)

In ihrem Witz liegt Wahrhaftigkeit: Eine Wienerin ist einer der buntesten Vögel des Literaturbetriebs. Teresa Präauers neues Buch ist Liebesgeschichte, Familienroman und Milieustudie.

Buchkritik von Insa Wilke

Wer Schriftsteller für ein ziemlich verrücktes Volk hält, sollte mal kurz die Nase in die hysterisch knisternde Atmosphäre der Berliner Art Fair stecken: was für langweilige Schnarchnasen in Leipzig und Frankfurt im Vergleich zu den bunten Vögeln des Kunstbetriebs. Einer ihrer buntesten (aus Perspektive des braven Literaturbetriebs) ist die Wienerin Teresa Präauer. Mit ihrem Debütroman "Für den Herrscher aus Übersee" grätschte sie vor viereinhalb Jahren fröhlich pfeifend ins Allerlei des Leipziger Bücherfrühlings.

Auf die Begeisterung folgte bei Teilen der Leserschaft erstaunte Verwirrung, als 2014 "Johnny und Jean" erschien. Dieser zweite Roman ist eine zauberhaft versponnene Freundschaftsgeschichte und eine witzige Kunstbetriebsparodie, jubelt den Leserinnen und Lesern aber eben nebenbei auch einen Kunstroman unter, der das Motiv des weiblichen Körpers als Ursprung der Welt der kritischen Betrachtung unterzieht und passend dazu den Werk-Begriff demontiert, also die Behauptung, der Künstler - oder die Künstlerin - schaffe in einem geburtsähnlichen Vorgang ein einheitliches und ewig zusammengehöriges Ganzes.

Der hotteste Obermakake im Asphaltdschungel will eine Frau wie der Affe die Banane

Nun ist es aber überraschenderweise so: Spätestens seitdem Präauer dem stillen Johnny, der höfliche Fische malt, und dem lauten Jean, der genau weiß, wie Künstlersein geht, mit dem dritten Roman "Oh Schimmi!" den herumlungernden Jimmy dazuerfunden hat, zeichnen sich durchaus Konturen eines Präauer'schen Œuvres ab. Dessen Merkmal ist die Falltür, eine große Klappe, die sich im vermeintlich festen Boden der gehobenen Umgangssprache auftut, sobald Teresa Präauer die Dinge und Menschen beim Wort nimmt.

Lädt jemand sie beispielsweise zur Illustration seiner Zeitschrift ein, kann die Antwort dann schon mal lauten: "KOMMENTIERE! sprach der Herausgeber. Und natürlich: TIERE KOMMEN." So geschehen, als Teresa Präauer gebeten wurde, die 23. Nummer des Quart Heft für Kultur Tirol künstlerisch zu begleiten. Und tatsächlich: Es kamen Tiere durch die Klappe im doch eigentlich fest gefugten unmissverständlichen Wort "Kommentiere". Die erste Illustration in diesem Heft ist übrigens ein Affe mit männlichen Gesichtszügen und langen, Pardon, Sackhaaren. Noch ein Beweis fürs Œuvre: Von einem solchen männlichen Affen oder äffischen Männchen erzählt "Oh Schimmi".

"Oh no!", möchte man rufen, schien die Konsequenz aus "Johnny und Jean" doch zu lauten, sich nicht den Gesetzen der Kunst und ihres Betriebs zu unterwerfen. Aber keine Sorge, alles paletti: Es bleibt anarchisch rund um das unauflösbar ironisch ernst gemeinte Credo "Die Betrachtung von Kunst macht Menschen Mut."

Präauers Villa Kunterbunt ist eine Hommage an das Äffische

"Oh Schimmi" erzählt zwar von einem jungen Mann in Liebesnöten, ist vielleicht der Roman einer ziemlich verrückten Familie oder eines ganz schön bildungsfernen, in Problemvierteln hausenden Milieus, könnte aber möglicherweise als gesellschaftskritische Satire auf die gesellschaftskritische Satire gelesen werden.Oder auch als Hommage an alles Äffische. Ganz nach Belieben. Linst man aber erst mal mutig in diese Villa Kunterbunt (nichts anderes ist "Oh Schimmi") hinein, wird einem sofort Folgendes passieren: Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung macht man sich frei und lässt alle Hüllen fallen, Hüllen, die da heißen Inhalt, Bedeutung und Form.

Stattdessen folgt man Schimmis, also Teresas Gesetz, setzt die Affenmaske auf und dekliniert frei nach den "Dri chinisin mit dim Kintribiss" alle Affen der Sprach- und Literaturgeschichte von vorn bis hinten durch, wortwörtlich und unter diversen Verballhornungen logischer Denkregeln, moralischer Gebote und grammatischer Disziplinarmaßnahmen. Slapstick und Spektakel sind dabei die Lockstoffe für libertinäre Vergnügungssüchtige, ein Potpourri literarischer und anderweitiger Jingles sind die Belohnung für den gebildeten Freak. Das Buch eben nicht als Affe, sondern als Pferd - und der Leser als Rodeoreiter. So ungefähr muss man sich die Lektüre vorstellen.

Albern und klug zugleich

Anders als bei "Johnny und Jean" ist der denkbar einfache Plot - Jimmy will eine Frau wie der Schimmi die Banane - dieses Mal unverkennbar ein Alibi, um die Polonaise der mutigen Leser in den virtuellen Großstadt-Dschungel zu führen. Immerhin mit dem "hottesten Obermakaken" (Trommelwirbel), dem "man you love to hate" (Fanfare), dem "schlimm, schlimmer, Schimmi"-Jimmy an der Spitze, der als "herrlicher Reiter mit Motorradhelm und Ellbogenschützern auf einem galoppierenden Schaf" vorweg turnt und das hohe Lied der Minne auf seine Weise deklamiert. Anders gesagt: Tarantino meets Dorota Masłowska, Cervantes meets Monika Rinck. Soll heißen: "Oh Schimmi" ist nicht nur albern, sondern auch klug, ja sogar der eigenen Autorin gegenüber subversiv.

Ziehen wir dafür ein Beispiel aus dem Diskurs-Dropping heran ("Oh Schimmi" ist nämlich auch ein Diskurs-Roman), dann bekommt Jimmys Vater einen Auftritt, der weit schlimmer als Schimmi ist. "Wo das Blut des Bürgerkriegs noch am Boden klebe, dort sei er zur Stelle und tätige sein hochriskantes Investment. Das stütze die zusammengebrochene Wirtschaft und sei eine Chance für den Wiederaufbau einer bald demokratischen Gesellschaft", zitiert Präauer verdächtig deutlich die väterliche, nämlich neoliberale Ideologie. Sie rüttelt aber gleich am eigenen politisch korrekten Ross und bringt es durch den peinlichen ideologiekritischen Allgemeinplatz aus dem Takt.

Bei dieser Autorin steht man nur sicher auf dem Boden der Möglichkeiten

Trotzdem bleibt, in der Ecke, neben dem getrockneten Blut, die Kritik im Raum. Teresa Präauer schiebt sie eben mit der Spitze ihrer High Heels dem Leser zu. Oder sollte man es mit den Worten der ausgebeuteten Putzfrau Guadelupe sagen, die Jimmy in die Geheimnisse des weiblichen Orgasmus einführt und uns in die Kunst des Lesens: "also, pass auf, du öffnest die Zuckerdose und so weiter, ja, ja, du kostest sie, nein, auf keinen Fall gleich alles ausschlecken, nein, du wartest einen Moment, du machst dies und das, ja, auch mit den Fingern, nein, nicht sofort ganz hinein, zuerst außen, ein bisschen auch an die heilige Jungfrau dabei denken."

Subkutan spürt man im Witz die Wahrhaftigkeit. Sie ist es, die Präauers Ironie von jener der Neunzigerjahre unterscheidet. Wo damals gähnende Leere herrschte, weil niemand mehr an etwas glaubte, da gibt es bei Teresa Präauer die Kunst. Aber keineswegs als Religion, sondern als Aufforderung zur "Schimmifikation". Die bedeutet nicht, sich die Welt zu machen, wie sie einem gefällt, sondern bloß, die real existierenden Klappen zu öffnen, um desto sicherer auf dem Boden der Möglichkeiten zu stehen. Oder offensiver und im Affenzahn gesagt: "Was grau gewesen, wird jetzt bunt." Also Augen auf!

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