Sommertheater:Der Himmel über Offenbach

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Sat. 31.—Sun. 8.8.2021
Christopher Rüping/Münchner Kammerspiele: Dionysos Stadt Open Air

Was vom Kriege übrig blieb: die Trümmerfrauen von Troja im Sommerbau.

(Foto: Jörg Baumann)

Geht doch: Der "Sommerbau" ist die Freiluftbühne geworden, die Künstler und Zuschauer so dringend brauchen.

Von Christiane Lutz

Regen in Troja. Noch bevor Hektor Patroklos tötet und Achilles dann Hektor, und bevor die Trojanerinnen die Sinnlosigkeit des ewigen Rachekreislaufs hinauf in den Olymp schreien, muss erst einmal der Stecker gezogen werden. Fünfzehn Minuten Pause. Nicht unbedingt wegen der Schauspieler, die auf dem regennassen Boden zu trippeln anfangen, um nicht auszurutschen, Schauspieler sind da meist robust, sondern wegen der weniger robusten Technik. Muss der Tod eben noch eine Weile warten. Es ist Samstagnachmittag in Offenbach, im Sommerbau spielen sie das zehnstündige Antike-Projekt "Dionysos Stadt", es ist gerade der zweite Teil dran, der Trojanische Krieg. Auf Scherze zum Thema Götter und Wetter sei an dieser Stelle verzichtet, aber erstaunlich ist es doch, wie anders es sich anfühlt, wenn Zeus vor sich langsam verfinsterndem Himmel vom oberen Theaterrand heruntertobt und die griechischen Flotten herbeibeschworen werden.

Matthias Pees zuckt lächelnd die Schultern. Was will man machen. Letzte Woche war der schwarze Bühnenboden noch so heiß, dass die Schauspieler sich die Hände verbrannten, beim ersten Teil, in dem sie als Schafe verkleidet minutenlang darauf herumkrabbeln. Viel wichtiger ist doch, dass alle da sind, die Zuschauer, die Schauspieler, Techniker, der Kran mit Kranführer Rudi und vor allem dieses Gebäude, der Sommerbau. Mitten im zweiten pandemischen Sommer auf der Grenze zwischen Offenbach und Frankfurt.

Der Sommerbau ist ein offener Theaterbau mit Logen für je zwei Zuschauer, insgesamt 200 Menschen, so ähnlich wie das Globe Theater in London, hieß es immer in den Ankündigungen. Gebaut aus einfachen Stahlgerüsten, Holz und schrägen Blechwänden. "Ich dachte sehr, sehr lang, das wird eh nichts", sagt Pees, Intendant des Mousonturms, der das Programm im Sommerbau verantwortet. Zu viel wurde "eh nix" in den vergangenen eineinhalb Jahren, gerade für Künstlerinnen und Künstler. Dabei war der Entwurf zum Bau früh fertig, er stammt von Raumlabor Berlin einem Kollektiv aus Architekten, Designern und Künstlern, das viele temporäre urbane Kulturprojekte baut.

Bis Ende Oktober steht das Theater, möglichst viele Künstler aus der Region sollen mitmachen

Mit dem Entwurf zog Pees umher und suchte nach Finanzierungsmöglichkeiten und einem geeigneten Standort. Finanziert hat am Ende das hessische Kunstministerium, das ein 10 Millionen Euro schweres Paket für Freilufttheater schnürte. Der Sommerbau ist das Vorzeigeprojekt, das Flaggschiff, wie Pees es nennt, das allein kostet 2,5 Millionen Euro von der Planung bis zur Bespielung. Bis Ende Oktober steht das Theater, möglichst viele Künstler aus der Region sollen mitmachen. Das Schauspiel Frankfurt ist dabei, das Freie Schauspielensemble, die Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Musiker wie der (auch hessische) "Pantha du Prince", lokale DJs, Tanzprojekte, ein Libanon-Festival.

Die Standortfrage gestaltete sich schwieriger, als Geld für das Projekt aufzutreiben. Eigentlich sollte der Sommerbau in Frankfurt stehen, aber immer war irgendwas: eine Tiefgarage, die Anwohner. Das benachbarte Offenbacher Kulturamt hat dann "in Nullkommanix", wie Pees sagt, einen Ort aufgetrieben, eine Projektentwicklungsgesellschaft mit ins Boot geholt, die eine Fläche umsonst zur Verfügung stellte. Nun steht er da, der Sommerbau, im industriellen Niemandsland zwischen Frankfurt und Offenbach, die Städte, die oft nicht gut miteinander können, zwischen Autohäusern und ein paar Hotels, in denen vor allem Crews internationaler Airlines zwischenlanden.

Strandkörbe werden vor Bühnen gestellt, Riesenräder vor Rathäuser, Hauptsache, es geht wieder was

Und so einfach, wie es klingt, ist es auch nicht, draußen aufzutreten. Kreisverwaltungsreferate und Wirtschaftsreferate wollen ausgefüllte Anträge, das Gesundheitsamt ist wegen der coronabedingten Hygienevorschriften auch noch zuständig, und jemand muss erst mal eine Fläche zur Verfügung stellen. In etlichen Städten laufen deshalb zum zweiten Jahr in Folge derzeit "Sommer in der Stadt"-Projekte und solche mit ähnlichem Namen, die Schaustellern, Künstlern und Veranstaltungstechnikern die Gelegenheit geben, aufzutreten und Geld zu verdienen. Strandkörbe werden vor Bühnen gestellt, Riesenräder vor Rathäuser, Hauptsache, es geht wieder was.

Der in Windeseile gebaute Sommerbau bietet der Kunst aber nicht nur Platz, dient nicht nur dem Zweck, sondern ist Zweck an sich, ein eigenes Kunstwerk. Nach Monaten des Stockens, des zeitweisen Stillstands und der täglichen Beschäftigung damit, was alles nicht möglich ist, ist dieses ganze Projekt, von der Gestaltung über den Bau bis zum Zusammenspiel mit der Stadtpolitik, eine beglückende Demonstration des Möglichen.

Deshalb hat auch Christopher Rüping, Regisseur von "Dionysos Stadt", so schnell zugesagt. Pees hatte das Stück als Dramaturg bei dessen Uraufführung im Herbst 2018 an den Münchner Kammerspielen betreut, von wo aus es seinen Siegeszug durch die Theaterwelt begann. Vier Teile: Prometheus, Troja, die Orestie und ein Satyr-Spiel, zehn Stunden lang, das entzog sich von Anfang an dem handelsüblichen Theaterkonsum. Man musste sich einlassen, zusammen mit den anderen Zuschauern, dann war das ein großartiges Erlebnis. Auch "Dionysos Stadt" wurde im März 2020 abrupt begraben, ein zehnstündiges Projekt ist so ziemlich das Letzte, was man sich unter Corona-Bedingungen vorstellen kann. Aber so ziemlich das Beste für den Sommerbau.

Denn es ergibt so viel Sinn draußen, dieses Stück über Götter und Menschen, über Himmelsmächte und universelle Fragen nach Freiheit und Verantwortung. Ein wenig sei es so, als brächte er das Stück "nach Hause" sagt Rüping. Dahin, wo es hingehört. Antikes Theater und die Dionysien, von deren Idee Rüping inspiriert war, fanden sowieso draußen statt, vermutlich mit weniger Regen, aber mit allen Widrigkeiten, die damit einhergehen. "Dieses Projekt ist die riskanteste Unternehmung, die ich je im Theater unternommen habe. Und letzten Endes ist das ja das, was Theater gut kann: riskieren", sagt Rüping vor der Vorstellung.

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Sat. 31.—Sun. 8.8.2021
Christopher Rüping/Münchner Kammerspiele: Dionysos Stadt Open Air

Jahrtausende an den Kaukasus gekettet, mit Adlerkacke überzogen: Benjamin Radjaipour als Prometheus.

(Foto: Jörg Baumann)

In Ermangelung eines Schnürbodens etwa steht jetzt eben ein Kran da, von dem aus Prometheus' Käfig ins Theater hinabgelassen und heraufgezogen werden kann. Die Schauspieler (die Originalbesetzung aus München) mussten sich an die Arena gewöhnen. Daran, dass sie jetzt von sechs Seiten angeschaut werden. Der Text ist schwerer zu verstehen, feine Zwischentöne verschluckt der offene Himmel. Und Lichtstimmungen kann man vor 20 Uhr draußen sowieso vergessen.

Die zehn Stunden an diesem Samstag sind dann auch lang und anstrengend und kalt. Der Verkehr der nahen Straße ist unüberhörbar, alle paar Minuten donnert ein Flugzeug über den Arenahimmel Richtung Frankfurt. Die fehlende Dunkelheit des Theatersaals macht es schwerer, sich zu konzentrieren, in den Balkonen gegenüber packen sie Snacks aus. Aber auch dies: Als der unglückselige Prometheus seine Jahrtausende währende Strafe an den Kaukasus gekettet fristet und in einem Käfig in der Mitte der Arena baumelt, zieht ein Schwalbenschwarm kreischend über ihn hinweg.

"Wir haben das Projekt und diesen Ort der Wirklichkeit abgetrotzt, mit unfassbarer Energie aller Beteiligten. Ich glaube, das spürt man", sagt Rüping. Und es stimmt, dieses Theater würde es ohne die Pandemie nicht geben. Der Einsatz ist auf beiden Seiten höher, bei den Zuschauern und den Menschen auf der Bühne, das Enttäuschungspotenzial auch, aber im besten Fall eben auch der Lohn. So geht um kurz nach Mitternacht dann mit dem letzten Teil des Stücks die Sonne über dem Offenbacher Nachthimmel auf, ein leuchtender Ballon, wo gibt's das schon.

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