Öffentlich-rechtliches TV im Netz:"Wir stehen unter Beobachtung"

"Internet-Angebote dürfen nur Ergänzung sein": Gremienchef Giersch spricht über die Kontrolle der Internetaktivitäten von ARD und ZDF.

C. Tieschky

Ist ein gebührenfinanzierter Rundfunk, der sich selbst kontrollieren darf, ein fairer Wettbewerber auf dem Medienmarkt? Privatsender und Verleger haben Zweifel und kritisieren die öffentlich-rechtliche Konkurrenz im Internet. Die EU-Wettbewerbskommission dagegen fand nach langer Prüfung, dass die Aufsicht durch Rundfunkräte der ARD und Fernsehräte des ZDF genügt. Auf sie kommt nun Mehrarbeit und mehr Macht zu (siehe Infokasten). In der ARD versammeln sich die Chefs der Rundfunkräte aus den Landessendern in der Gremienvorsitzendenkonferenz GVK. Volker Giersch, 58, ist Hauptgeschäftsführer der IHK Saarland und hat die oberste ARD-Kontrollgruppe in den vergangenen zwei Jahren geleitet.

Öffentlich-rechtliches TV im Netz: "Abhängigkeiten von den Sendern kann ich nicht erkennen": Volker Giersch, Vorsitzender der Gremienvorsitzenden-Konferenz (GVK).

"Abhängigkeiten von den Sendern kann ich nicht erkennen": Volker Giersch, Vorsitzender der Gremienvorsitzenden-Konferenz (GVK).

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Giersch, der neue Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet die Sendergremien, also die Rundfunk- und Fernsehräte, alles zu prüfen, was bei ARD und ZDF im Internet steht. Das soll innerhalb der kommenden zwei Jahre geschehen. Wie viel wird es kosten?

Volker Giersch: Dafür gibt es noch keine verlässliche Schätzung. Klar ist aber, dass die Gremien der ARD zusammen etwa 12 bis 15 zusätzliche Mitarbeiter benötigen, die ihnen professionell zuarbeiten. Da wir besonders für diese nächsten zwei Jahre mit einem sehr hohen Arbeitsaufwand rechnen, werden wir vor allem befristet einstellen. Dazu kommen Mittel für die vom Gesetz verlangten Gutachten: Sie erläutern die Auswirkungen der öffentlich-rechtlichen Telemedien auf den Markt. Mit den Kosten dafür haben wir noch wenig Erfahrung. Viel hängt letztlich davon ab, wie viele Testverfahren für die Telemedienkonzepte insgesamt durchgeführt werden müssen. Ich rechne für die gesamte ARD mit einer Zahl zwischen 20 und 30.

SZ: Sind die Sendergremien wirklich in der Lage, die komplizierten Prüfprozesse durchzuführen, die auch den Bedenken der Privatsender und Printmedien Rechnung tragen müssen?

Giersch: Ja, sie sind hinreichend kompetent und unabhängig.

SZ: Viele bezweifeln das.

Giersch: Zu Unrecht. Rundfunkräte setzen sich aus Repräsentanten der gesellschaftlichen Gruppen zusammen und werden auch von diesen bezahlt. Abhängigkeiten von den Sendern kann ich nicht erkennen. Ich zum Beispiel bin von der IHK Saarland benannt und lege Wert darauf, dass eine ordnungspolitische Grenzziehung zwischen Öffentlich-Rechtlichen einerseits sowie Privatsendern und Verlegern andererseits allen angemessene Entwicklungschancen gibt. Die Dreistufentests sind ein geeignetes Verfahren.

SZ: Trotzdem hat Ihr Vorgänger als oberster Gremienchef, Bernd Lenze vom BR-Rat, neulich öffentlich darüber nachgedacht, mehr Unabhängigkeit für die Gremien zu schaffen. Was könnte er gemeint haben?

Giersch: Mehr Unabhängigkeit heißt Unabhängigkeit in der Informationsbeschaffung, Meinungsbildung und Bewertung. Wir müssen und wollen uns ein eigenes Bild machen. Deshalb sind eigene Mitarbeiter und ausreichende Finanzmittel für externe Expertise so wichtig.

SZ: Zwei Tests sind bereits angelaufen, aber davon drang so wenig nach außen, dass man sich schon fragt, wie da öffentliche Beteiligung zustande kommen soll.

Giersch: Diese Testverfahren betreffen beim Mitteldeutschen Rundfunk die Abrufangebote KI.KAplus und kikaninchen.de sowie beim Norddeutschen Rundfunk die NDR Mediathek. Sie sind erst in der Startphase. Die öffentliche Diskussion wird wohl erst beginnen, wenn die Stellungnahmen Dritter und die Gutachten zur Marktauswirkung vorliegen.

SZ: Der MDR rief Gutachter über seine Internet-Seite auf, sich zu bewerben. Das wirkte ein wenig unbedarft.

Giersch: Aus meiner Sicht nicht. Ein solcher Aufruf dient der Transparenz und Neutralität bei der Auswahl der Gutachter. Der Markt für solche Expertisen befindet sich in einer frühen Entwicklungsphase und muss sich erst einspielen. Transparenz ist sehr wichtig, da wir bei der Gutachterauswahl und bei der Durchführung der Tests unter strengster Beobachtung der Öffentlichkeit, der Politik, der konkurrierenden Medien und nicht zuletzt der Rechtsaufsicht stehen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über Dissensen mit den Senderchefs.

"Wir stehen unter Beobachtung"

SZ: Laut Gesetz muss nun alles auf seine öffentlich-rechtliche Qualität geprüft werden, was ARD und ZDF im Internet veranstalten, auch das, was es schon jahrelang gibt. Tut sich da nicht ein Dilemma auf: Entweder die Gremien winken alles durch - oder aber sie kippen Angebote und diagnostizieren damit, dass die Aufsicht bisher versagt hat?

Giersch: Ich sehe das nicht so. Das neue Gesetz steht am Ende einer Auseinandersetzung mit der EU-Wettbewerbsbehörde. Brüssel hatte zunächst ja überhaupt nicht verlangt, dass auch vorhandene Internet-Angebote von ARD und ZDF den Test durchlaufen müssen. Viele stammen aus einer Zeit, als die jetzt gültigen Kriterien noch nicht definiert waren. Meine Einschätzung ist, dass in ein oder zwei Jahren nicht mehr alles im Netz stehen wird, was jetzt im Internet der Öffentlich-Rechtlichen enthalten ist. Das betrifft etwa die Themen Ratgeber und Dating.

SZ: Die sechs Digitalsender von ARD/ZDF sind direkt im Rundfunkstaatsvertrag beauftragt. Die wichtigste Veränderung der digitalen Welt findet also ohne den berühmten Dreistufentest statt.

Giersch: Diese digitalen Zusatzkanäle gibt es bereits seit mehreren Jahren. Der Art nach handelt es sich dabei ja nicht um Telemedien, sondern um Angebote der Sender, die sich durch ihre ausschließlich digitale Verbreitung unterscheiden. Im Übrigen sind die Veränderungen, die jetzt in den Konzepten vorgesehen sind - zumindest für die ARD - von eher begrenztem Ausmaß.

SZ: Das kann man anders sehen.

Giersch: Mag sein. Die Rundfunkräte aller Sender haben ja eingehend über die Programmkonzepte diskutiert und sie anschließend genehmigt. Ich will aber gerne einräumen: Der Gremienvorsitzenden-Konferenz wäre hier ein offenes Verfahren, also eines mit Dreistufentests, lieber gewesen. Denn das hätte die Möglichkeit eröffnet, die Konzepte später einmal an veränderte Marktbedingungen und Nutzerprioritäten anzupassen. Durch den Auftrag per Gesetz können die Programme nur durch einen neuen Rundfunkstaatsvertrag umgestaltet werden.

SZ: Haben die Gremien bei den Digitalsendern Einfluss genommen?

Giersch: Wir haben zum Beispiel beim Sender Eins Festival den Wunsch geäußert, das Programm stärker auf jüngere Zuschauer auszurichten, wie es jetzt zum Teil ja auch vorgesehen ist. Angesichts der geringen Reichweite der Öffentlich-Rechtlichen bei den unter 49-Jährigen ist dies aus unserer Sicht ein sehr wichtiges Anliegen. Denn der öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag hat letztlich ja zum Ziel, die Demokratiefähigkeit gerade auch der Jüngeren zu fördern.

SZ: Können die Gremien letztlich nur Wünsche äußern?

Giersch: Nein. Sie nehmen in vieler Hinsicht konkret Einfluss auf Entwicklung und Gestaltung der Programme. So haben sie die programmlichen Leitlinien für die kommenden beiden Jahre stark mitgeprägt: Besonders mit Blick auf mehr Orientierung zum jüngeren Publikum hin und auf eine Wirtschaftsberichterstattung, die stärker auf gesamtökonomische Zusammenhänge ausgerichtet ist. Über die Genehmigung der Haushalte entscheiden die Gremien darüber mit, ob die verfügbaren Budgets so in Programm umgesetzt werden, dass sich ein möglichst hoher gesellschaftlicher Wert ergibt.

SZ: Wo liegen Dissensen mit den Senderchefs?

Giersch: Wir waren und sind zum Beispiel in einer offenen Diskussion, wieweit der Sportetat künftig noch steigen darf und soll. Denn klar ist ja: Je mehr die ARD für Sport ausgibt, desto weniger bleibt für Information, Kulturangebote und eigenproduzierte Sendungen. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden.

SZ: Kontrollieren Rundfunkräte in Zukunft Intendanten?

Giersch: Sie kontrollieren sie gewiss nicht persönlich, aber sie kontrollieren die Programme und die Finanzen der Sender. Und hier ist anzumerken, dass der finanzielle Spielraum eng begrenzt ist: Gebührenbudgets, die weniger steigen als die Teuerung, die also real schrumpfen, bedeuten besonders auch für neue Online-Angebote eine Beschränkung.

SZ: Außer man schichtet Geld von Hörfunk und Fernsehen um.

Giersch: Die Gremien sind ebenso wie die Intendanten der Auffassung, dass es Hauptaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleiben muss, ein qualitativ hochwertiges Programm in den klassischen Bereichen Hörfunk und Fernsehen anzubieten. Internet-Angebote dürfen aus Gremiensicht nur Ergänzung sein, nicht aber zu Lasten des klassischen Rundfunks gehen. Für neue Online-Projekte gibt es weder mehr Gebührengeld noch Werbeeinahmen. Man muss also nicht fürchten, dass die Rundfunkanstalten damit private Angebote verdrängen.

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