Öffentlich-rechtliches Fernsehen:"Günther Jauch soll zur Marke der ARD werden"

Der scheidende ARD-Chef und Intendant des Bayerischen Rundfunks, Thomas Gruber, spricht über das neue Star-Fernsehen, die Narrenfreiheiten eines Harald Schmidt - und über die Rückkehr von Günther Jauch.

Hans-Jürgen Jakobs und Claudia Tieschky

SZ: Herr Gruber, eingangs eine These: "Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen." Der Zuschauer wisse nicht, welchen Sender er gerade eingeschaltet habe und wähle Sendungen nach Inhalt oder Personen aus. Richtig?

Jauch, Werbung

Hier wirbt Günther Jauch mit den Gottschalk-Brüdern für eine Kampagne von KarstadtQuelle und DHL

(Foto: Foto: ddp)

Thomas Gruber: Griffig, aber falsch. Das kann nur jemand sagen, der weder fernsieht noch Radio hört - oder der bestimmte Interessen verfolgt.

SZ: Sind Sie enttäuscht, dass das Zitat aus einem aktuellen Zeitungsinterview mit der ARD-Galionsfigur Harald Schmidt stammt?

Gruber (lacht): Nein, wer Harald Schmidt kennt, weiß, dass man Schmerzen erdulden muss. Narrenfreiheit gehört zum Geschäft der Unterhaltung.

SZ: Schmidt und eine Reihe anderer bekannter Fernsehleute wurden für viel ARD-Geld angeworben. Sind die Intendanten solchen vermeintlichen Stars hörig, die Einschaltquoten bringen sollen?

Gruber: Wir werden uns immer die Freiheit nehmen, Nein zu sagen und uns von Stars auch wieder zu trennen.

SZ: Nicht nur Harald Schmidt glaubt, der Star sei wichtiger als der Sender, der ihn gerade zeigt. Nehmen Sie Günther Jauch, der bei RTL ein Ratequiz macht, einer Boulevard-TV-Sendung vorsteht, als Werbefigur auftritt und von September 2007 an in der seriösen ARD die wichtigste politische Talkshow moderiert.

Gruber: Weil er einfach gut zu dieser seriösen ARD passt. Wir nehmen schließlich nicht jeden, sondern suchen gezielt nach Mitarbeitern, die unseren hohen Ansprüchen gerecht werden. Was Jauch angeht, wollen wir ihn überzeugen, dass er mit seinen journalistischen Formaten bei uns besser aufgehoben ist.

SZ: Günther Jauch, das ARD-Gesicht?

Gruber: Ich würde mir wünschen, dass er zur Marke der ARD wird, was er ja schon einmal als junger Kerl im Bayerischen Rundfunk war. Wir arbeiten an einem neuen ARD-Informationsmagazin, das vielleicht auch etwas für ihn wäre.

SZ: Warum eigentlich gehen Leute von der ARD weg, wenn sie jung sind - und kommen zurück, wenn sie 50 werden oder eine Lebenskrise haben?

Gruber: Weil es zur Biografie von Menschen gehört, dass man mal das Haus verlässt - und später seine Wurzeln wieder sucht und auch findet.

SZ: Welche Mindestbedingungen kann man stellen, wenn einer wie Jauch auf Wurzelsuche ist? Oder muss man sich da einfach nur großzügig zeigen?

Gruber: Es bringt wenig, irgendwelche Bedingungen zu stellen. Man muss zusammenfinden. Wenn die Wellenlänge nicht stimmt, werden Sie sich niemals einig.

SZ: Also darf so einer weiter werben, obwohl die Moderation einer politischen Talkshow das eigentlich ausschließt?

Gruber: Rein juristisch betrachtet wäre das wohl nicht ausgeschlossen. Er kennt uns aber genau. Er weiß, wo wir unsere Sensibilitäten haben. Da werden die Probleme, die öffentlich diskutiert werden, nach meiner Einschätzung gar nicht entstehen.

SZ: Das wirkt so, als sitze der Star wirklich am längeren Hebel.

Gruber: Nein, wer bei uns auf den Bildschirm darf, entscheiden wir. Aber natürlich: je größer der Star, desto schwieriger ist es, ihm Wunschvorstellungen zur Bedingung zu machen.

SZ: Wieso baut die ARD Talente wie den WDR-Moderator Frank Plasberg nicht im eigenen System zu Stars auf?

Gruber: Manche Talente könnten schneller Karriere machen. Daran wollen wir arbeiten. Viele unserer Stars haben wir auch schon in der Vergangenheit selbst aufgebaut. Um nur zwei beispielhaft herauszugreifen: Anne Will und Tom Buhrow sind deutsche Stars - freilich ohne die entsprechenden Allüren. Das ist für mich aber keine zwingende Voraussetzung, um jemanden als Star zu bezeichnen.

SZ: Am Anfang Ihrer Zeit als ARD-Vorsitzender klangen Sie ganz anderes. Damals waren Sie kritisch gegenüber dem System von Stars wie Reinhold Beckmann oder Sabine Christiansen, die sich für viel Geld mit eigenen Firmen selbst produzieren dürfen. Das wollten Sie auf den Prüfstand gestellt haben.

Gruber: Das ist geschehen. Die federführenden Sender haben mir versichert, dass die bewussten Verträge in Ordnung sind, und ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Im Übrigen hat ein solches Outsourcing auch Vorteile. Wenn Sabine Christiansen im Sommer 2007 aufhört, haben wir nicht das Problem, ihre vielen Mitarbeiter anderswo unterzubringen.

SZ: Einige Monate danach wurde bekannt, dass Beckmann für einen Versicherungskonzern wirbt und in seiner Talkshow zufällig auch über Vorsorge und Versicherung reden ließ.

Gruber: Da fragen Sie jetzt den falschen, nur soviel: Der Vertrag an sich war in Ordnung!

SZ: Sie sind immerhin bis Jahresende offiziell ARD-Vorsitzender.

Gruber: Richtig, und es heißt Vorsitzender, nicht Vorgesetzter.

SZ: Was darf ein ARD-Vorsitzender?

Gruber: Geduld üben. Man muss schauen, dass man die vielen Meinungen im System auf einen Nenner bringt.

"Günther Jauch soll zur Marke der ARD werden"

SZ: Warum blieben Sie so still, als Spekulationen um eine Stasi-Vergangenheit des langjährigen Sport-Koordinators Hagen Boßdorf die Medien beherrschten?

Schmidt, dpa

Kam zur ARD zurück: Harald Schmidt

(Foto: Foto: dpa)

Gruber: Weil es genug gab, die sich geäußert haben. Ich bin keiner, der interne Dinge nach draußen trägt. Es sollten unsere Programme sein, die sich an die Öffentlichkeit richten.

SZ: Haben Sie in zwei Jahren als ARD-Chef etwas über den Senderverbund gelernt, was Sie vorher nicht wussten?

Gruber: Nein.

SZ: Hätten Sie sich vorstellen können, dass so ausgiebig und schamlos Schleichwerbung in der ARD läuft wie in der Vorabendserie Marienhof? Oder dass im Hessischen Rundfunk oder im MDR Sportsendezeit gewissermaßen an Dritte gegen Geld verkauft wurde?

Gruber: Marienhof entsteht in der Produktionsfirma Bavaria. Nein, das alles war unvorstellbar. Ich habe mich auch nie gefragt, ob der Sportchef eines ARD-Senders kriminell sein könnte. Leider war es so.

SZ: Wie konnte es passieren, dass im Oktober - 15 Monate nach Marienhof - wieder Schleichwerbung in der ARD entdeckt wird? Es ging um Filmchen rund um die Margarine Becel und Walking, und die Sportredaktion Ihres eigenen Senders war involviert.

Gruber: Die Frage ist sehr berechtigt, das war unsäglich. Immerhin haben wir nach dem Fall Bavaria alles selbst aufgedeckt. Ich bin sehr enttäuscht und böse, dass beim Bayerischen Rundfunk die Dinge durch die Lappen gegangen sind; Nonchalance statt Sorgfalt. Viele Köche rührten im Brei, und am Ende wollte es keiner gewesen sein. Es war eine bittere Erfahrung, aus der wir bereits Konsequenzen gezogen haben.

SZ: Vor zwei Jahren kündigten Sie an, die ARD vom Schreibtisch aus zu führen mit vielen Gesprächen in kleiner Runde.

Gruber: Die Rolle des Zampano liegt mir nicht. Ich mache es auf meine Art.

SZ: Womöglich kann man diese ARD mit ihren neun Rundfunkanstalten, den vielen Tochterfirmen und immer neuen Kommissionen auch gar nicht führen.

Gruber: Das ist in der Tat schwierig. Das liegt einerseits am erfrischenden Meinungspluralismus, aber auch an der Freude, die persönliche Meinung, wo und wozu auch immer, zu äußern.

SZ: Zur Vielfalt der Meinungen können nun die Aufseher in Ihren Sendern, die Rundfunkräte, mehr beitragen - ihre Macht ist in der Amtszeit Gruber gestiegen. Eine Hilfe für jeden Intendanten?

Gruber: Es war gut, dass wir die gesellschaftliche Kontrolle durch die Rundfunkräte früh gestärkt haben - bevor die Politik das auf Druck der EU regelt. In kurzer Zeit haben wir selbst die Strukturen geschaffen, dass die Gremien nun zum Beispiel beim gemeinsamen Ersten Programm ihre Kontrollfunktion viel effektiver wahrnehmen können.

SZ: Ihr Ziel war es, das öffentlich-rechtliche Profil zu schärfen. Und doch gibt es auf einmal ganz grundsätzliche Debatten, die an die öffentlich-rechtliche Existenzberechtigung gehen: So urteilt das Bundesverfassungsgericht 2007 über das System der Rundfunkgebühren, und die EU-Kommission geht Wettbewerbsfragen rund um die ARD nach.

Gruber: Diese Fragen haben dazu geführt, dass es nie langweilig wurde. Kein Mensch hatte gedacht, dass die Ministerpräsidenten von der bindenden Gebühren-Empfehlung der unabhängigen Kommission KEF abweichen würden. Da mussten wir für die Rundfunkfreiheit eintreten und nach Karlsruhe gehen. Und auch gegenüber der EU-Kommission werden wir diese demokratische Errungenschaft verteidigen. Wo es möglich ist, werden wir uns immer auf gute Kompromisse einlassen. Unsere journalistische Unabhängigkeit könne wir aber nicht preisgeben.

SZ: Die EU hatte den nachvollziehbaren Wunsch, dass die kommerziellen Aktivitäten von ARD und ZDF in Tochterfirmen klar vom öffentlich-rechtlichen Kern getrennt werden.

Gruber: Die getrennte Buchführung der Töchter ist gewährleistet, es gibt ein Höchstmaß an Transparenz, kontrolliert von Wirtschaftsprüfern oder den Rechnungshöfen. Brüssel reibt sich aber noch an der Frage, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag zu präzisieren ist und welche Rolle der Staat dabei spielt. Auch hier werden wir unsere journalistische Unabhängigkeit verteidigen.

SZ: Die Länderchefs wollen ohnehin ein neues Modell zur Finanzierung von ARD und ZDF. Die Rundfunkgebühr soll sich nicht mehr danach richten, ob man Empfangsgeräte hat oder nicht.

Gruber: Was einfach klingt, kann richtig kompliziert sein. Es wird nicht leicht fallen, ein neues Erhebungsverfahren zu finden, das gleichzeitig aufkommensneutral, verfassungskonform, europafest, einfach und gerecht ist. Wenn wir gefragt werden, werden wir unseren Sachverstand gerne in die Diskussion einbringen.

SZ: Es sollen künftig auch jene zur Kasse gebeten werden, die im Internet Programme sehen oder hören. War es ein Fehler, die PC-Gebühr partout zum 1. Januar 2007 einzuführen?

Gruber: Wir wollen nicht unsere Einnahmen erhöhen. Wir müssen aber beizeiten der Flucht aus der Rundfunkgebühr entgegentreten.

SZ: Warum haben Sie die PC-Gebühr nicht verschoben - bis das Internet-Fernsehen richtig etabliert ist?

Gruber: Wenn sich alle an die Gebührenfreiheit des PC-Empfangs gewöhnt haben, ist es zu spät. Statt der vollen Rundfunkgebühr von 17,03 Euro wird nur die Grundgebühr von 5,52 Euro verlangt, und wegen der Zweitgerätefreiheit ist von der Regelung ohnehin kaum jemand betroffen.

SZ: Welche Angebote wird die ARD in dieser digitalen Welt machen?

Gruber: Im Sinne der Entwicklungsgarantie sollten wir auf jeder wichtigen Plattform mitmachen dürfen. Die Politiker haben die bemerkenswerte Einsicht, dass die Deckelung unserer Online-Ausgaben - bei 0,75 Prozent des Gesamtbudgets - nicht zukunftsweisend ist.

SZ: Sie könnten also ein öffentlich-rechtliches YouTube machen, eine Plattform für Fotos und Filme Ihrer Nutzer?

Gruber: Möglich, aber nur mit redaktioneller Begleitung.

SZ: Auch Abruf von Filmen des Bayerischen Fernsehens gegen Geld? Das ZDF plant ja groß mit Video-on-demand.

Gruber: Das halte ich für schwierig. Schließlich sind die Programme vom Gebührenzahler ja alle schon einmal bezahlt worden.

SZ: Junge Leute nutzen die ARD kaum, surfen aber gerne im Internet. Kann der Bayerische Rundfunk, der den Aufbau eines eigenen Jugendradios auf UKW verpasst hat, online und digital mit einer neuen jungen Welle aufholen?

Gruber: Wir haben vor 15 Jahren eben mit Bayern 5 aktuell ein innovatives, erfolgreiches Wortprogramm gemacht. Weitere UKW-Frequenzen stehen nicht mehr zur Verfügung.

SZ: Ihre Hörer sind alarmiert: Erst gab es Unterschriften gegen eine Verschiebung von Bayern 4 Klassik ins Digitalradio - nun gibt es eine Aktion, die für den BR die Junge Welle auf UKW fordert.

Gruber: Das bringt nichts. Was zählt, sind Argumente, und nicht die Zahl von Unterschriften. Wir müssen selbst entscheiden und können eine solche wichtige Sache nicht zum Gegenstand eines plebiszitären Akts machen. Nein, wir machen jetzt auf digitalem Weg jungen Menschen ein neues Angebot. So sind wir besser am Puls der Zeit. Das ist nicht nur eine "junge Welle" - sondern ein multimediales Angebot, das auch Sendeplätze im Fernsehen nutzen wird. Online bieten wir zum Beispiel bei Konzerten Live-Bilder von der Backstage an.

SZ: Also ein bisschen digitale Euphorie in der guten alten Rundfunkanstalt.

Gruber: Alles wird digital. Ich selbst höre nun über DAB im Auto Bayern 4 Klassik und denke jedes Mal, ich säße im Konzertsaal. Viele Phänomene sind neu. Vor zwei Jahren noch kannte ich das Wort "Forecast", nicht aber "Podcast". So schnell geht es.

SZ: So schnell, dass eines nahen Tages Handyfernsehen kommt?

Gruber: Das gibt es ja schon. Seit Mai können Sie öffentlich-rechtliche Programme auch mobil empfangen. Ich persönlich bin da aber eher altmodisch, ich benutze das Handy zum Telefonieren. Wenn es manchmal vibriert, habe ich schon überlegt, ob man es vielleicht als Schlagbohrer benutzen kann. Bevor man mit dem Ding nicht tauchen kann, macht's eigentlich keinen Sinn.

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