Öffentlich-rechtliche Schleichwerbe-Affäre:So flimmert das Chaos

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In der ersten Reihe, da, wo der TV-Zuschauer der ARD sitzen soll, tun sich seltsame Dinge. Staatsanwälte, Kriminalbeamte, interne Revisoren und andere Ermittler haben da inzwischen Platz genommen. Es geht um Schleichwerbung.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Die 55 Jahre alte Rundfunk-Institution ist innerhalb weniger Tage spektakulär ins Gerede gekommen.

Warum auch nicht? Die Seriendarstellerin Nina Louise und ihr Kollege Simon-Paul Wagner halten am Rande der Dreharbeiten von 'Marienhof' ein paar Erfrischungsgetränke in ihren Händen. (Foto: Foto: dpa)

Was jetzt zu hören und zu sehen ist, reicht beinahe schon für eine Folge Tatort: Illegale Schleichwerbung im Programm, Produktions-Manager bei der ruhmreichen Tochterfirma Bavaria gefeuert oder abgemahnt, Starreporter Jürgen Emig im Frankfurter Untersuchungsgefängnis, der Leipziger Kollege Wilfried Mohren vom Dienst suspendiert, Razzien in Senderbüros - was ist eigentlich los bei dem öffentlich-rechtlichen Senderverbund, für den der Zuschauer monatlich brav seine Rundfunkgebühren bezahlt?

Die Verirrungen der Fernsehleute sind symptomatisch für eine Republik, die einer Philosophie der offenen Hand folgt. Offenbar haben nicht wenige in der ARD das medienpolitisch gewollte "Duale System" - Öffentlich-Rechtliche versus Private - reichlich missinterpretiert: als Einladung, im eigenen Sektor (für einen höheren Auftrag) Rundfunkgebühren zu kassieren und auch noch den letzten Cent aus kommerziellen Geschäften zu pressen.

Geschwindelt und geheuchelt

Unter den vielen Dächern dieser besonderen Welt konnten sich Personen ausbreiten, deren Talente besser zu Privatsendern passen. Es fügt sich ins Bild, dass die Firma Bavaria Film über einen ihrer vielen Ableger jüngst sogar einen werbefinanzierten Privatsender starten wollte. Auch hier wurde - wie bei der Schleichwerbung - geschwindelt und geheuchelt.

Die ARD hat es in den vergangenen Tagen tatsächlich zur Negativ-Meldung in den eigenen Tagesthemen gebracht, da, wo die Intendanten sonst gern schon mal ihre eigenen Beschlüsse unterbringen. Wenn es so weitergeht, müssen die Journalisten vom Ersten in eigener Sache bald einen jener verquast-berüchtigten Tagesthemen-Kommentare sprechen, der dann nicht ohne Verweis auf die Medienpolitiker dieses Landes auskommen könnte.

Diese Spezies hat es im jahrelangen Parteien- und Standortstreit verstanden, das Rundfunksystem recht ungeordnet sich selbst zu überlassen. Warum eigentlich sollen ARD und ZDF weiter um Werbegelder jeder Art buhlen, wo es doch genügend private Kanäle gibt? Wie ist es mit der Aufsicht durch Rundfunkräte bestellt, die vieles im Blick zu haben scheinen, nur nicht das eigene Programm? Wie kann es eigentlich sein, dass die neun ARD-Sender bei ihren monatlichen Intendantenversammlungen viele Entscheidungen nur vor sich herwälzen können? Der Fortschritt ist hier keine Schnecke, sondern ein Schneckenhaus.

System mit Schaden

20 Jahre lang hat die ARD nachgewiesenermaßen Schleichwerbung betrieben. Viele Jahre lang kassierte Sportchef Emig bei Sportverbänden ab, um deren Veranstaltungen dann zu übertragen. Es scheint sich auch hier um ein System zu handeln, um ein System mit Schaden. Welcher Politiker findet sich, der das flimmernde Chaos beendet und nicht lieber darauf achtet, wie telegen er im jeweiligen ARD-Heimatsender erscheint?

Natürlich, wahr ist auch: Noch immer sind viele Programme der ARD und ihrer Töchter sehens- und geldwert, vor allem im Vergleich mit den Privaten. Es gibt seriöse Nachrichten, gelungene Dokumentationen, lehrreiche Wissensmagazine, es gibt Arte und Phoenix. Und es gibt viele einsichtige Sachwalter des öffentlich-rechtlichen Grundgedankens, denen es schon vor geraumer Zeit ganz blümerant wurde bei all den pseudo-modernen Spielereien der sich kraftvoll gebenden Managertypen einer neuen Warenwirtschaft.

Die Skandale legen die Irrtümer jetzt offen. Es muss neu sortiert werden. Denn, bitteschön: In dieser ersten Reihe haben Polizeibeamte eigentlich nichts zu suchen.

© SZ vom 7.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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