Occupy-Wall-Street beschuldigt Unternehmen:Die Twitter-Zensur

Zensiert Twitter die Occupy-Wall-Street-Bewegung? Auf der Liste der meist debattierten Themen tauchen die Banken-Proteste sie so gut wie nicht auf, so der Vorwurf. Dabei ist der Twitter-Streit Teil eines größeren Problems.

Michael Moorstedt

Mehr als 100 Millionen Nachrichten werden täglich über Twitter versendet. Um seinen Nutzern in diesem Gewimmel einen Überblick zu verschaffen, hat das Unternehmen schon vor langer Zeit die Trending-Topic-Funktion eingeführt. Dort werden die meist debattierten Themen vorgestellt. Nun wurde der Vorwurf laut, Twitter zensiere die Occupy-Wall-Street-Bewegung.

Occupy-Wall-Street beschuldigt Unternehmen: Die Netzgemeinde schwenkt bei den Protesten gerade von Twitter auf Vibe um.

Die Netzgemeinde schwenkt bei den Protesten gerade von Twitter auf Vibe um.

(Foto: AP)

Während die etablierten Medienorganisationen die Proteste zu Beginn nur ignoriert haben, spiele der Micro-Blogging-Dienst, so der Verdacht, eine wesentlich aktivere und schmutzigere Rolle. Denn obwohl die Demonstrationen in Lower Manhattan und im Rest des Landes beinahe ausschließlich über Twitter organisiert werden, sind die "offiziellen" Hashtags #occupywallstreet und #ows in den Trending Topics der US-Version von Twitter nie aufgetaucht, stehen aber in so gut wie jeder anderen Lokalisierung ganz weit oben. Dass sich die Investmentbank JP Morgan im Frühjahr mit knapp 400 Millionen Dollar an Twitter beteiligt hat, führt nicht gerade dazu, die Paranoia zu befrieden.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich kontroverse, speziell die junge Netzgemeinde bewegende Ereignisse nicht in den Twitter-Trends widerspiegeln. So schaffte es Wikileaks - während der Rest der Welt damals scheinbar nur noch über das Thema Cablegate redete - ebensowenig auf die Trendliste wie die Reaktionen auf den Beschuss der türkischen Gaza-Flottille durch das israelische Militär.

Wie schon bei diesen Vorfällen wies ein Twitter-Sprecher auch jetzt die Vorwürfe als absurd zurück. Das Unternehmen habe sich immer wieder aktiv für den Schutz der Meinungsfreiheit eingesetzt. Ob ein Thema in den Trending Topics auftauche, entscheide nicht nur die Anzahl der Nachrichten, die sich mit ihm befassen, sondern auch sein Neuigkeitswert oder der Weiterverbreitungsgrad. Wie die Trends zustande kommen, wurde aber nicht verraten. Schließlich hat Twitter ein Geschäftsmodell zu schützen.

Der Streit um Occupy Wall Street ist Symptom eines größeren Problems - nämlich der Frage, was passiert, wenn eine dezentrale Bewegung sich auf ein zentrales Werkzeug zur Verbreitung ihrer Botschaften verlässt. Der Diskurs im Internet findet immer öfter auf einer kleinen Gruppe privater Plattformen statt, deren Anbieter Algorithmen verwenden, um die Informationsflut zu verwalten. Bislang haben die Digital Natives diesen menschengemachten Code als naturgegebenen Maßstab zur Beurteilung der Wichtigkeit und Beliebtheit eines Themas betrachtet. Stattdessen ist dieser Algorithmus manipulierbar. Er ist nicht neutral, dient nicht nur dem Nutzer, sondern auch dem Anbieter und richtet sich vor allem nach dessen Geschäftsmodell.

Die Demonstranten sehen sich nun nach einer Alternative um. In einer App namens Vibe haben sie sie bereits gefunden. Das Programm ist eine Open-Source-Version von Twitter, die es den Nutzern zudem erlaubt, anonym zu kommunizieren.

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